Eine Identität kann vielschichtig sein
Was bedeutet es, Schweizer zu sein? Diese Frage versucht Ada Marra, Schweizer Parlamentarierin italienischer Herkunft, in einem kürzlich erschienenen Buch zu beantworten.
Wenn es in der Geschichte der modernen Schweiz einen «roten Faden» gibt, dann ist eines davon sicherlich das Recht auf Staatsbürgerschaft.
Bei der ersten Volksabstimmung 1866, achtzehn Jahre nach der Gründung des Bundesstaates, ging es genau um dieses Thema: die Gleichstellung von Juden und Eingebürgerten. Bis dahin hatten eingebürgerte Personen nicht die gleichen Rechte wie jene, die als Schweizer geboren wurden. So wurden sie zum Beispiel erst wählbar, wenn sie seit fünf Jahren im Besitz des roten Passes waren.
In den letzten Jahrzehnten rückte dieses Thema mehrmals ins Rampenlicht. Die jüngsten Entwicklungen gehen auf den Februar 2017 zurück, als das Stimmvolk ein Dekret zur Erleichterung der Einbürgerung für Ausländer der dritten Generation annahm, das am 15. Februar 2018 in Kraft tritt. Anfang Jahr trat jedoch das neue Bürgerrechtsgesetz in Kraft, das strengere Kriterien für die Einbürgerung vorsieht, insbesondere im Hinblick auf die Integration. So verlangen die neuen Regeln etwa, dass die Bewerberinnen und Bewerber ein gewisses sprachliches Niveau nachweisen müssen.
Im Gegensatz zu Zeit vor anderthalb Jahrhunderten haben Eingebürgerte genau die gleichen Rechte wie jene, die von Geburt an Schweizer sind. Gewissen Kreisen genügt der Pass jedoch nicht, um die Nationalität zu legitimieren. Der Eingebürgerte ist noch kein 100%iger Schweizer, höchstens ein Schweizer auf dem Papier, ein «Papierlischweizer», sagen manche.
Ada Marra wurde in der Schweiz als Kind apulischer Eltern geboren und hat diese Situation selber erlebt. Aus dieser Erfahrung heraus sei dann die Idee eines Buches entstanden, wie sie im Interview erklärt. Die Nationalrätin ist bei Fragen im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft besonders sensibilisiert und engagiert. Sie war es auch, die 2008, als sie erst seit Kurzem im Nationalrat sass, eine Parlamentarische Initiative vorlegte, die dann zur vereinfachten Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation führte.
In ihrem Buch, das mit Zeichnungen von Denis Kormann illustriert ist, fragt sich die sozialdemokratische Abgeordnete aus dem Kanton Waadt, wer «Teil der Familie» sei und was es bedeute, Schweizer zu sein, in einer Zeit, in der es «eine Verhärtung der Identitätsfrage» gebe.
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Eine Verhärtung, präzisiert Ada Marra, durch welche «so viele Menschen ausgeschlossen werden, indem ihnen die Möglichkeit verwehrt wird, sich verschiedenen Kulturen zugehörig zu fühlen».
«Man kann Schweizer sein, gleichzeitig aber auch links oder rechts, homosexuell oder heterosexuell, gläubig oder nicht gläubig, christlich, jüdisch, muslimisch, atheistisch…Manche wollen nur eine einzige Definition des Schweizers, andere wollen jedoch zu verstehen geben, dass wir vereint sind und weiterhin vereint sein sollen, auch wenn wir unterschiedlich sind», betont Marra.
Ada Marra kennt dieses Gefühl der doppelten Zugehörigkeit gut, was für manche Menschen auch bedeutet, dass sie sich nirgends richtig zugehörig fühlen. «Das ist für Kinder von Einwandern normal. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich Schweizerin bin und dass ich das, was ich an Italien liebe, nicht das Land selbst, sondern meine Familie ist. Aber das macht mich nicht zu einer unrechtmässigen Schweizerin».
Ius Soli
Ada Marra, die auch einen italienischen Pass besitzt, bedauert, dass das italienische Parlament das Ius Soli nicht anerkennt. (Der Staat verleiht allen Kindern die Staatsbürgerschaft, die auf seinem Gebiet geboren werden.)
«Ich hätte den italienischen Parlamentariern gerne gesagt, was die Kinder ihrer Landsleute in der Schweiz mitmachen müssen. Vielleicht hätten sie dann mehr Verständnis für das, was sie den Kindern von Einwanderern in Italien antun», betont sie.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)
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