Stabiler Handel trotz politischen Querelen
Der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Deutschland wirkt sich nicht negativ auf die Handelsbeziehungen aus: Auch im letzten Jahr hat der Waren- und Dienstleistungsaustausch mit dem Nachbarn im Norden leicht zugelegt.
Wenn etwas die stabilen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz aufzeigt, dann ist es das Handelsvolumen. Trotz der zunehmenden Unstimmigkeiten rund um die Besteuerung deutscher Vermögen auf Schweizer Banken und des Jahre alten Streits um die Anflugrechte beim Flughafen Zürich, entwickelte sich das Handelsvolumen auch 2011 kontinuierlich und trotz EU-Konjunkturdelle zum Guten.
Inzwischen entfällt mehr als ein Viertel des gesamten internationalen Handelsvolumens der Schweiz allein auf Deutschland: Das sind 98,6 (2010: 95) von 372 Mrd. Franken. Bei den Importen sei das drei Mal mehr, bei den Exporten zwei Mal mehr als im Handel mit Italien, der Nummer 2, oder mit Frankreich, hiess es am jährlichen Medienanlass der Handelskammer Deutschland-Schweiz Anfang April in Zürich.
Politik und Handel – zwei unterschiedliche Welten
Während Baden-Württembergs Finanzminister wegen dem Schweizer Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder den Schweizer Banken droht, geht vergessen, dass allein auf dieses Bundesland ein Drittel des gesamten deutsch-schweizerischen Handelsvolumens entfällt – rund 33 Mrd. Franken.
Und auf Nordrhein-Westfalen, dessen Finanzminister weiterhin CDs mit Daten von Steuerhinterziehern kaufen will und dessen Finanzloch in der Landes-Staatskasse 2010 rund 150 Mrd. Franken betrug, entfallen weitere 12% des deutsch-schweizerischen Handelsvolumens – fast 10 Mrd. Franken.
Ausgerechnet auf diese beiden Bundesländer entfallen auch Schweizer Direktinvestitionen im Wert von einigen Dutzend Milliarden Franken, respektive Zehntausende von Arbeitsplätzen in Firmen von Schweizer Unternehmen.
Lokomotive Deutschland
«Während die Schweizer Exporte nach Deutschland 2011 um 5,7% zunahmen, fielen sie gegenüber Frankreich um 4,9% und gegenüber England sogar um 9,1% zurück», sagte Ralf Bopp, Direktor der Handelskammer.
Diese positiven Zahlen müssen laut Bopp vor einer Wechselkurs-Entwicklung betrachtet werden, bei der ein Euro 2007 noch 1,64 Franken wert war und seither kontinuierlich auf 1,23 Franken hochgeklettert sei.
Die guten Exportresultate der Schweiz seien somit auch mit Preiszugeständnissen erkauft worden – «eine Problematik, die nicht zu unterschätzen ist, obschon sie zur Zeit etwas aus den Schlagzeilen geriet», so Handelskammer-Präsident Eric G. Sarasin.
Wechselkurs: Überall spürbar
Die Handelskammer hatte ihre Mitglieder zum Wechselkursproblem befragt: Über 80% der Firmen hätten einen deutlichen Druck auf ihre Wettbewerbsposition gespürt, so das Ergebnis. Dennoch schätzen auch im laufenden Jahr 80% der Befragten die Entwicklung ihres Absatzes nach Deutschland nicht schlechter ein.
Am Augenfälligsten zeigt sich die Wechselkurs-Problematik offenbar im Tourismus: Während die deutschen Touristen 2011 10,5% weniger Übernachtungen in der Schweiz generierten (5,2 Mio. Logiernächte), stiegen die Übernachtungen von Schweizern in Deutschland um 13,8% auf 4,8 Mio.
Mehr exportiert, mehr übernachtet, mehr investiert
Die Schweizer haben 2011 nicht nur mehr nach Deutschland ausgeführt und dort häufiger übernachtet – sie haben auch sehr viel mehr in Deutschland direkt investiert (das heisst, unternehmensbezogene Immobilien und Sachwerte erworben).
Ende 2011 betrug die Summe der Schweizer Investitionen in Deutschland beachtliche 31,7 Mrd. Euro, womit die Schweiz dort der siebtwichtigste Investor ist. Im Vergleich dazu: Italien oder die USA figurieren mit Direktinvestitionen in Deutschland mit je 36 Mrd. Euro.
Schweizer Firmen besitzen somit in Deutschland 1552 Unternehmen mit 344’000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 117 Mrd. Euro.
Weniger deutsche Zuwanderer, mehr Schweizer Abwanderer
Während die Gesamtzuwanderung in die Schweiz mit 3,0% wieder etwas zugenommen hat, verlangsamte sich jene der Deutschen von im Vorjahr 5,5% auf 4,8%. 2011 war nur noch jeder vierte Zugezogene ein Deutscher – 2008 war es noch fast jeder zweite gewesen. Jeden zehnten deutschen Zuzüger zog es nach Zürich.
Die Zahl der deutschen Grenzgänger wuchs 2011 um fast 10% auf 54’500. Dieses hohe Wachstum ist, so Handelskammer-Vizedirektor Daniel Heuer, ein Zeichen für die gute Konjunktur, «zumal die Arbeitslosigkeit in der Schweiz trotz Import von ausländischen Arbeitskräften tief blieb».
2011 wurden 8517 Schweizer zu Auslandschweizern. Allein in Deutschland leben über 79’000 Auslandschweizer, die meisten sind Doppelbürger. Der Zuwachs jener, die nach Deutschland auswandern, liegt seit Jahren weit über jenem in andere europäische Länder.
«Auch dies spricht für die sehr intensive Verflechtung der beiden Länder, die neben Gütern, Dienstleistungen und Investitionen eben auch vermehrt Personen umfasst», sagt Heuer.
Die Schweiz exportierte für 39,9 Mrd. Fr. nach Deutschland (+5,7%), und importierte für 58,6 Mrd. aus Deutschland (+2,4%).
Am Gesamtimport der Schweiz aus allen Ländern entfällt der Anteil der Einfuhren aus Deutschland auf 33,7%.
Am Gesamtexport der Schweiz entfällt der Anteil nach Deutschland auf 20,2%.
Schweizer Direktinvestionen in Deutschland (2009): 31,7 Mrd. Euro
Deutsche Direktinvestitionen in der Schweiz (2009): 35,3 Mrd. Euro.
1912 gründeten einige deutsche Kaufleute in der Rhonestadt die «Deutsche Handelskammer in Genf».
Mit dem 1. Weltkrieg folgte ein Zusammenbruch des Handels. Gegen Kriegsende wurde der Name in «Deutsche Handelskammer in der Schweiz» umgenannt.
Seither ist die Handelskammer Deutschland-Schweiz ein moderner bilateralen Dienstleister.
Bilateral im Sinn, dass beiden Teilen eine Verwirklichung ihrer Wirtschafts-Interessen im jeweils anderen Land ermöglicht wird.
Die Handelskammer sieht sich als Anlaufstelle, die sich gegen Hemmnisse im Handels- und Dienstleistungsverkehrs einsetzt, in Streitfällen vermittelt und Behördenkontakte herstellt.
Sie ist unabhängig, frei von Subventionen und finanziert sich selber.
Die Handelskammer Deutschland-Schweiz begrüsst die Verhandlungen über einen Staatsvertrag zur Regelung des An- und Abflugverfahrens zum Flughafen Zürich.
Der Streit schwelt seit über einem Jahrzehnt, während dem die Verhandlungen blockiert blieben.
Der neuerliche Anlauf sei deshalb eine einmalige Chance.
Sollte der Staatsvertrag abgelehnt werden, ist «mit einer dauerhaften atmosphärischen Belastung der gegenseitigen Verhältnisses der Regionen beidseits der Rheins zu rechnen, während die Wirtschaftsstandorte dort immer mehr zusammen wachsen.»
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