«Souveräne Bauern – bevormundete Bürger»
"Der vorgeschlagene Verfassungsartikel zementiert die heutige Landwirtschaftspolitik, die auf Produzenten fokussiert", schreibt Ruedi Noser, FDP-Ständerat des Kantons Zürich. Der Artikel liefere den Bauern die Basis, um noch mehr Geld aus der Bundeskasse zu fordern.
Stellen Sie sich vor, Sie vertreten eine Branche in Bern. Diese Branche hat seit über 20 Jahren fast alle ihre Anliegen durchgebracht und sichert sich pro Betrieb direkte oder indirekte UnterstützungExterner Link von über 100’000 Franken.
Stellen Sie sich weiter vor, diese Branche reiche nun eine Initiative ein. Diese Initiative – so behaupten die Branchenvertreter – habe keinerlei gesetzliche Konsequenzen, wenn sie angenommen wird. Allerdings weist die Initiative einige handwerkliche Fehler auf.
Nun, da der Verband, den Sie vertreten, über eine solide Mehrheit verfügt, werden diese handwerklichen Fehler vom Parlament geflissentlich korrigiert und das Anliegen in Form eines Gegenvorschlages neu präsentiert. Allein, der Gegenvorschlag ist – genauso wie die Initiative – lediglich eine Wiederholung von Inhalten, die bereits heute in der Verfassung stehen.
Damit entlarvt sich der Gegenvorschlag selbst. Er ist zu einer Alibi-Übung verkommen mit dem einzigen Ziel, dass der Bauernverband sein Gesicht wahren kann, indem er seine eigene Initiative zurückzieht.
Wenn das so zutrifft, müsste jeder vernünftige Bürger Sie als Branchenvertreter doch fragen: Warum macht Ihre Branche so etwas? Eine Initiative einzureichen und einen Abstimmungskampf zu führen kostet schliesslich viel Geld; schätzungsweise 10 Millionen Franken. Und das alles, ohne dass für Ihre Branche dabei etwas herausschaut?
Drei Gründe liegen auf der Hand: Erstens hat der Bauernverband offenkundig zu viel Geld, sonst könnte er sich einen so teuren Leerlauf schlicht nicht leisten. Zweitens will der Verband mit der Initiative von internen Meinungsverschiedenheiten ablenken und nach aussen geeint auftreten. Denn gewisse kantonale Bauernverbände waren durchaus unzufrieden mit der beschlossenen Agrarpolitik 2014-17 und wollten ein Referendum ergreifen. Um sie ruhig zu stellen, hat man ihnen diese inhaltslose Initiative versprochen. Gewisse Sektionen durchschauen aber das Spiel des Bauernverbandspräsidenten. Unter der Oberfläche brodelt es gewaltig.
Diese beiden Begründungen brauchen den Stimmbürger nicht weiter zu kümmern. Umso mehr aber der dritte Grund, der sich hinter der Initiative verbirgt. Mit dieser Abstimmung will der Bauernverband nicht weniger als die alleinige Deutungshoheit über die Schweizerische Landwirtschaftspolitik erringen. Denn im Kern bedeutete eine Annahme der Vorlage, dass der Bauernverband künftig fordern kann, was er will. Er wird auf diese Volksabstimmung verweisen, den Volkswillen heraufbeschwören und verlangen, dass wir im Parlament sämtliche Anträge des Bauernverbandes durchwinken und die entsprechenden Gelder dafür abnicken.
Landwirtschaftspolitik wird damit zur Machtdemonstration des Bauernverbandes. Eine bedürfnisorientierte, vernünftige Verteilung von Bundesmitteln, die nötig ist, um den Strukturwandel abzufedern, wird verunmöglicht. Stattdessen wird weiter fleissig Geld verteilt, damit alles so bleiben kann, wie es ist.
Das führt zu höheren Kosten für die Steuerzahler, höheren Preisen für die Konsumenten und mehr landwirtschaftlichen Immissionen für die Wohnbevölkerung. Eine Initiative, die nichts anderes ist, als eine reine Machtdemonstration der Bauern, ist klar abzulehnen.
Zumal der Bauernverband mit seiner Landwirtschaftspolitik alles andere als erfolgreich ist. Das sieht man anhand zweier Zahlen. Obschon die Landwirtschaftspolitik den Bürger pro Hof über 100’000 Franken kostet, beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Landwirts lediglich rund 44’000 Franken. Paradoxerweise setzt sich der Bauernverband also nur dem Anschein nach in erster Linie für die Bäuerinnen und Bauern ein – ebenso wichtig scheinen ihm die Interessen der nachgelagerten Nahrungsmittelindustrie oder der vorgelagerten Bereiche. Dort landet denn auch ein grosser Teil unserer Steuergelder.
Das hat über die Jahre zu einem absurden System geführt, das Bauern überall da behindert, wo sie agil auf Konsumentenwünsche reagieren wollen. Oft sind Bauern in Produktionsketten eingebunden, die ihnen kaum Freiheiten lassen und können sich daher nicht selbständig dem Markt stellen, auf Konsumentenwünsche eingehen und anbieten, was Konsumenten verlangen und wofür sie gutes Geld zahlen würden.
Zwei reale Beispiele zur Illustration: Ein Jungbauer reagiert auf einen aktuellen Foodtrend und baut äusserst erfolgreich Süsskartoffeln an. Weil er Erfolg hatt, möchte er seine Anbaufläche ausbauen, doch kein anderer Bauer will ihm Land zur Pacht abgeben obschon er mit seinen Süsskartoffeln mehr Geld erwirtschaften könnte als die Nachbarn mit ihrer Produktion.
Einerseits geben die benachbarten Bauern ihr Land nicht ab, weil ihre Direktzahlungen hoch genug sind, dass es sich für sie lohnt, Direktzahlungen einzustreichen ohne ihr Land intensiv zu bewirtschaften und daneben extern arbeiten zu gehen.
Andererseits gilt im Landwirtschaftsgesetz der Grundsatz, dass ein Hof unter bestimmten Umständen selbst dann weitergeführt werden muss, wenn es sich nicht rechnet. So werden beispielsweise kleine, unrentable Höfe mit rund 15 Hektaren in gewissen Kantonen als weiterzuführende Familienbetriebe eingestuft.
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Dadurch wird der wirtschaftlich notwendige Strukturwandel aktiv behindert. Beides führt dazu, dass der Jungbauer, der innovative ist und neue Produkte erfolgreich auf den Markt bringt, kein zusätzliches Land bekommt.
Ein zweites Beispiel ist der Käsemarkt. Er ist voll liberalisiert und eigentlich ein Erfolgsmodell. Die Schweiz produziert ungefähr 180’000 Tonnen Käse pro Jahr, ein Drittel davon wird exportiert und generiert Einnahmen von knapp 600 Millionen Franken. Das Käseland Schweiz ist also ein erfolgreicher Exporteur in einem liberalisierten Käsemarkt, trotz Frankenstärke, hoher Rohstoffkosten und hohem Lohnniveau.
Das passt freilich nicht ins Bild des Bauernverbandes. Er argumentiert denn auch postwendend, dass mit der Liberalisierung auch die Importe auf ca. 350 Millionen Franken angestiegen seien. Dieser Einwand greift aber zu kurz. Denn nur, weil die hiesige Käseproduktion nicht liefert, was der Schweizer Konsument will, nehmen die Importe zu. Den grössten Teil der Importe in die Schweiz machen Weichkäse aus. Im Inland produzieren wir aber in erster Linie Hart- und Halbhartkäse, die Weichkäseproduktion macht gerade mal magere 3 % der Gesamtproduktion aus.
Warum produzieren wir also nicht mehr Weichkäse im Inland? Ganz einfach, die Käseproduzenten können sich auf marktstützende Massnahmen – sprich Subventionen – verlassen, sodass sie es sich leisten konnten, Konsumententrends im Heimmarkt während Jahrzehnten zu verschlafen. Anstatt auf die steigende Konsumentennachfrage nach Weichkäse zu reagieren, setzten die Produzenten weiterhin auf Hartkäse – die Weichkäse-Importe nahmen zu.
Das Schweizer Landwirtschaftssystem ist bestens finanziert und dadurch sehr träge. Deshalb finden kaum Produktionsumstellungen statt und wenn doch, dann kommen sie viel zu spät. Dieses System will man nun mit dem Verfassungsartikel in Beton giessen. Ernährungssouveränität gemäss Bauernverband heisst, der Konsument hat zu essen, was die Bauern produzieren – souverän sind dabei höchstens die Bauern, nicht aber der Konsument.
Der vorgeschlagene Verfassungsartikel zementiert die heutige Landwirtschaftspolitik, die auf Produzenten fokussiert und liefert den Bauern die Basis, um noch mehr Geld aus der Bundeskasse zu fordern. Für den Konsumenten hiesse das: noch höhere Preise für Lebensmittel. Schon heute sind Lebensmittel in der Schweiz mehr als 70% teurer als im europäischen Ausland. Die Schweiz ist teurer als der Inselstaat Island. Unabhängig davon, ob das Stimmvolk Ja oder Nein sagt zur Verfassungsänderung, wird sich die Situation für die Bauern dramatisch verändern, das darf der Bauer nicht ignorieren.
Selbstverständlich gibt es Konsumenten, die bereit sind für Produkte aus der Region mehr, ja bedeutend mehr, zu bezahlen. Aber es gibt wohl ebenso viele, die ausweichen und im Ausland einkaufen. Bereits heute kaufen Herr und Frau Schweizer Waren im Wert eines Jahresumsatzes eines Grossverteilers im grenznahen Ausland ein. Damit kostet uns die Landwirtschaft etwa 20´000 Arbeitsplätze, die statt im Ausland, in der Schweiz sein könnten; Tendenz zunehmend.
Es wäre naiv zu glauben, die Schweizer Wirtschaft, die auf offene Märkte angewiesen ist und im Wettbewerb zum Ausland steht, könne ihre Landwirtschaft zu 100 % abschotten, ohne dabei Schaden zu nehmen. Der Bauernverband gaukelt den Bauern mit seiner Initiative aber genau das vor. Er malt den Strukturwandel als Schreckgespenst an die Wand und will uns weismachen, eine Annahme der Initiative würde die Bauern davor bewahren. Ein kluger Verband würde die Bäuerinnen und Bauern mit wirksamen Mitteln beim Wandel unterstützen.
Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.
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