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2016 bringt Schweizer Wirtschaft keine Verschnaufpause

Ein Problem der Schweizer Wirtschaft, aber nicht das einzige: Das Verhältnis zwischen Schweizer Franken und Euro. Keystone

Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses gegenüber dem Franken bekam die Schweizer Wirtschaft im Jahr 2015 schmerzhaft zu spüren. Fast wäre das Land in eine Rezession gerutscht. Für das Jahr 2016 sagen die wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute ein Wachstum von 1 bis 1,5 Prozent voraus. Für Wirtschaftsprofessor Sergio Rossi von der Universität Freiburg hängt die Zukunft der Schweizer Wirtschaft vor allem von der Wirtschaftspolitik im Euro-Raum und den bilateralen Beziehungen mit der EU ab, wie er im Interview mit swissinfo.ch betont.

swissinfo.ch: Als die Schweizer Nationalbank (SNB) am 15.Januar 2015 den Mindestkurs des Euro gegenüber dem Schweizer Franken aufhob, sagten viele Experten eine Rezession voraus. Welche Bilanz lässt sich ein Jahr nach diesem Entscheid ziehen?

Sergio Rossi: Die Entwicklung hat sich im Laufe des Jahres verändert. Im ersten Semester 2015 war der SNB-Entscheid nur schwach spürbar. Dies lag daran, dass Industrie und Tourismus hauptsächlich von Aufträgen und Verträgen lebten, die zu einem Zeitpunkt abgeschlossen waren, als der Wechselkurs noch bei 1,20 Franken zum Euro lag.

Europa und die EZB bestimmen weitgehend die Gangart der Schweizer Wirtschaft, sagt Ökonomieprofessor Sergio Rossi von der Universität Freiburg. Universität Freiburg

Viel stärker waren die Konsequenzen des SNB-Entscheids in der zweiten Jahreshälfte spürbar. Viele Unternehmen trafen Entscheide, die eine gewisse Angst spiegelten. Der Druck auf die Löhne nahm zu, teilweise wurde Anteile der Löhne in Euro statt Franken bezahlt, auch Arbeitsplätze wurden gestrichen und gewisse Geschäftsaktivitäten ins Ausland verlagert.

Die Schweizer Wirtschaft kam so ins Stocken, der Konsum ging zurück; viele Personen setzten aufs Sparen und gingen im Ausland einkaufen. Dazu kam, dass die europäische Konjunktur im Jahr 2015 lahmte. Das half unserer Wirtschaft ebenfalls nicht.

swissinfo.ch: Im Laufe des Jahres ist der Wechselkurs für einen Euro wieder auf 1,10 Franken gestiegen. Wird dieser Wechselkurs ausreichen, um die Rückstände aufzuholen?

S.R.: Der Wechselkurs stellte nicht das Hauptproblem dar. Viel entscheidender ist das Problem der Währungsschwankungen, denn diese wirken sich negativ auf das Vertrauen der Unternehmungen aus. Anders gesagt: Wenn der Wechselkurs stabil ist, spielte es keine so grosse Rolle, ob ein Euro zu 1,10 Franken oder 1,05 Franken erhältlich ist. Stabilität ist wichtig, damit die Unternehmungen verlässlich ihre Zukunft und ihre Investitionen planen können. So lassen sich Fehlerquoten und Risiken verringern.

Der Wechselkurs stellt für Unternehmen einen von mehreren Faktoren dar, aber nicht notwendigerweise den wichtigsten. Noch wichtiger wird die Fähigkeit der Unternehmungen sein, sich zu erneuern sowie auf Forschung und Innovation zu setzen. Wenn sich die Gewinnmargen deutlich verringern, so wie es nach dem BNS-Entscheid vom Januar 2015 geschehen ist, stellt dies einen Anreiz für viele Unternehmungen dar, stark zu investieren, um die Rentabilität wieder zu erhöhen.

Kreative und innovative Unternehmungen vermögen es, in Märkte ausserhalb des Euro-Raums vorzudringen, um so die negativen Folgen des starken Frankens aufzufangen.

swissinfo.ch: Der starke Franken hatte 2015 kaum Folgen auf die Arbeitslosigkeit. Die Rate blieb bei etwas über 3 Prozent konstant. Wird sich dies 2016 ändern?

S.R.: Ganz bestimmt. Je länger die Überbewertung des Schweizer Frankens anhält, desto schwieriger wird es für Schweizer Unternehmungen werden, Alternativen zum Arbeitsplatzabbau zu finden, um die Kosten im Griff zu halten. Noch mehr als der starke Schweizer Franken wird aber die Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone für die Schweiz von Bedeutung sein. Ich meine eine nutzlos expansive Geldpolitik, gekoppelt an eine sehr restriktive Haushaltspolitik. 

Politische Agenda 2016

Die Umsetzung der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» wird auch 2016 eines der Hauptthemen der nationalen Politik bleiben. Die Schweizer Regierung will die europäischen Partner überzeugen, Verhandlungen aufzunehmen, um einen Kompromiss zu erreichen. Dieser soll eine Umsetzung der Initiative ermöglichen, ohne die bilateralen Verträge mit der EU zu gefährden.

Am 28. Februar 2016 wird das Volk über die «Durchsetzungsinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer» befinden, die wie die Masseneinwanderungsinitiative ebenfalls von der rechtsnationalen Volkspartei (SVP) lanciert worden war. Gemäss der Schweizer Regierung stellt auch diese Initiative eine Verletzung internationalen Rechts dar und insbesondere einen Verstoss gegen die bilateralen Verträge mit der EU.

Das Parlament muss sich weiter mit der Energiestrategie 2050 befassen, welche den Ausstieg aus der Atomenergie vorsieht. Die Energiewende wird von den Mitte- und Mitte-Rechts-Parteien bekämpft. Schon jetzt wird mit dem Referendum gedroht.

Von einem weiteren Referendum – dieses Mal von Seiten der Linken – ist auch in Bezug auf die Unternehmenssteuerreform III die Rede, die vom Nationalrat noch abgesegnet werden muss. Mit dieser Reform werden die Sonderregimes der Besteuerung ausländischer Unternehmungen aufgehoben, die der EU und der OECD ein Dorn im Auge sind.

Hingegen ist ein Ende des Steuerstreits zwischen Schweizer Banken und der US-amerikanischen Justiz in Sicht. Die meisten Finanzinstitute haben Abkommen mit Washington abgeschlossen. Frankreich, Deutschland und andere Länder drohen ihrerseits aber mit Verfahren.

Im Juni wird der neue Gotthard-Basistunnel eröffnet, der längste Eisenbahntunnel der Welt. Er ist Ausdruck des Schweizer Volkswillens, den Verkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Am 28. Februar 2016 entscheidet das Schweizer Volk hingegen an der Urne über einen zweiten Gotthard-Strassentunnel.

Von der Austerität wollen wir hier gar nicht sprechen, die sich negativ auf das Konsumverhalten in Europa auswirkt und damit die Schweizer Exporte bremst. Es ist wahrscheinlich, dass diese Situation noch lange anhält. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in einer Publikation selbst eingeräumt, dass es noch mindestens 10 Jahre braucht, um die positiven Folgen dieser Politik zu sehen.

swissinfo.ch: Im Dezember hat das Fed, die US-Notenbank Federal Reserve, beschlossen, die Leitzinsen zu erhöhen, die seit dem Jahr 2008 zwischen 0 und 0,25 Prozent gelegen hatten. Wird es in der Schweiz mit Niedrig – oder sogar Negativzinsen noch lange weitergehen?

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S.R.: Das ist wahrscheinlich, weil die Schweizer Nationalbank auch in Zukunft dazu gezwungen ist, die eigenen Zinsen tiefer zu halten als die Europäische Zentralbank. Dies ist nötig, um den Zufluss von Kapital und damit eine weitere Aufwertung des Frankens zu verhindern. Die EZB wird die Zinsen sicherlich so bald nicht anheben, zumindest solange es keine klaren Signale einer nachhaltigen Erholung der Wirtschaft im Euroraum gibt.

Diese Gesamtsituation dürfte negative Auswirkungen auf die Schweiz haben. Denken wir nur an die viele Sparer, die ihr Geld bei einer Bank deponiert oder einer Pensionskasse anvertraut haben. Diese Personen müssen auf Sparzinsen verzichten oder hohe Risiken eingehen, um mit ihren Ersparnissen etwas zu verdienen. Doch die grösste Gefahr für die Schweizer Wirtschaft geht von einer weiteren Überhitzung des Immobilienmarktes aus. Diese Tendenz ist seit Jahren feststellbar und könnte in eine echte Krise in diesem Sektor münden.

swissinfo.ch: Die Umsetzung der SVP-Masseneinwanderungsinitiative könnte zudem die bilateralen Verträge mit der EU kompromittieren. Wie wichtig sind diese Verträge für die Schweizer Wirtschaft?

S.R.: Es ist durchaus möglich, dass die Schweizer Wirtschaft auch ohne diese Verträge gar nicht so schlecht gelaufen wäre, wie teilweise behauptet wird. Doch nun ist es eben so, dass die Schweiz mit mehr als 120 bilateralen Verträgen an die EU gebunden ist. Sie sind Teil des Unternehmensalltags geworden. Würden diese Verträge aufgegeben oder auch nur ein so wichtiger Vertrag wie derjenige über die Personenfreizügigkeit, hätte dies über Jahre negative Folgen für die Schweizer Wirtschaft.

Ich wage zu hoffen, dass sich sowohl auf Schweizer Seite als auch auf Seiten der EU die Überzeugung durchsetzt, dass diese Verträge Vorteile für beide Seiten gebracht haben. Die Umsetzung dieser Verträge muss jedoch mit griffigeren flankierenden Massnahmen verbessert werden, die vor allem den Arbeitsmarkt betreffen, sowie weiteren Massnahmen, die dem Schutz der Grenzregionen dienen, darunter insbesondere dem Kanton Tessin.

swissinfo.ch: Nachdem das Schweizer Parlament im Dezember der Einführung des Automatischen Informationsaustausches in Steuersachen (AIA) zugestimmt hat, neigt sich ein alter Streit zwischen der EU und der Schweiz dem Ende zu. Welche Zukunft wird der Bankenplatz Schweiz ohne Bankgeheimnis haben?

S.R.: Rund 30 bis 40 Jahre lang konnten sich die Schweizer Banken auf dem Bankgeheimnis ausruhen: Das Kapital floss praktisch von alleine in die Schweiz. Die Banken mussten keine oder wenig Initiative ergreifen. Das Bankkundengeheimnis hat einerseits zum Erfolg des Finanzplatzes Schweiz beigetragen, doch andererseits in gewissem Sinne auch eine Erneuerung verhindert. Dagegen haben andere Finanzplätze, vor allem in Asien, in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht.

In Zukunft müssen sich die Schweizer Banken daher mehr anstrengen, um neue Kunden anzulocken. Sie müssen ebenfalls auf Innovation setzen. Wenn man es so betrachtet, kann das Ende des Bankgeheimnisses durchaus positiv gesehen werden, auch wenn es mit einiger Verspätung kommt.

In den kommenden Jahren stehen die Schweizer Banken vor grossen Herausforderungen. Diese hängen mit der Umsetzung des Automatischen Informationsaustausches zusammen. Dafür braucht es eine hochgradige Spezialisierung und eine vertiefte Kenntnis der ausländischen Steuersysteme. Diese sind komplex und von Land zu Land verschieden.

Ebenfalls ist mit höheren Ansprüchen der Kundschaft zu rechnen. Wer sein Vermögen neu dem Fiskus offen legen muss, wird eine höhere Rentabilität auf sein Kapital verlangen, das bei Banken deponiert ist. Zumal diese Kunden die Möglichkeiten des Kapitaltransfers zwischen konkurrierenden Finanzplätzen kennen.

Unter dem Strich lässt sich sagen, dass für den Finanzplatz Schweiz eine Phase der Restrukturierung beginnt, welche für kleine und mittlere Banken eine harte Probe darstellen wird und wahrscheinlich auch zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen wird.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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