Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Steuerbetrüger werden sich nirgends mehr verstecken können»

Patrick Odier, Präsident von SwissBanking, musste seine Geschäftspraktiken überdenken. Keystone

Dieses Wochenende werden die Finanzminister der G20-Staaten den automatischen Informationsaustausch (AIA) verabschieden. Die Schweiz, die lange an ihrem Bankgeheimnis festgehalten hatte, hat an den Standards der OECD mitgearbeitet und begrüsst deren Einführung. Doch interne politische Debatten sind programmiert.


«Beinahe über Nacht verloren legale Geschäftspraktiken ihre Akzeptanz», sagte Patrick Odier, der Präsident der Schweizerischen BankiervereinigungExterner Link vor wenigen Tagen an deren Generalversammlung.

«Ich sage es unmissverständlich: Die Banken in der Schweiz akzeptieren den AIA. Wir tun dies nicht, weil er die beste Lösung darstellt. Sondern wir tun dies, weil er sich internationaldurchgesetzt hat», stellt Claude-Alain Margelisch, CEO der Bankiervereinigung, fest.

Damit bringen die beiden Top-Shots des Finanzplatzes den rasanten Paradigmenwechsel auf den Punkt, der im April 2013 einsetzte, als die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Regeln für den automatischen Informationsaustausch ausarbeitete: Die Schweiz hat ihren Widerstand und damit das noch vor wenigen Jahren vermeintlich in Beton gegossene Bankkundengeheimnis gegenüber ausländischen Kunden definitiv aufgegeben.

Sonderfall am Ende

Wie es funktioniert

Gemäss dem OECD-Standard sollen die Banken einmal jährlich die Daten aller Bankkunden erfassen und an die Steuerbehörden ihres Landes weiterleiten. Die Steuerbehörden leiten die verschlüsselten Daten an die Steuerbehörden des jeweiligen Heimatlandes der Kontoinhaber weiter.

Gemeldet werden unter anderem Name, Adresse und Kontonummer sowie die Kontostände von Depots und Einlagekonten. Zinsen, Dividenden und Wertpapierkäufe und -verkäufe werden getrennt ausgewiesen. Erfasst werden Privatpersonen, Stiftungen und einige Firmenkonten, die Privatpersonen zugeordnet werden können.

Meldepflichtig sind unter anderem Banken, aber auch Händler, Investmentfonds und Versicherungen.

Vermögenswerte wie Edelmetalle, Kunst oder Immobilien werden auch nach der Einführung des AIA aus Sicht der Steuergerechtigkeit eine Grauzone bleiben.

Das habe sich «in den letzten drei, vier Jahren abgezeichnet. Ich denke, keine Bank war wirklich überrascht über die Veränderungen an sich, sondern höchstens über deren Geschwindigkeit», sagt Peter V. KunzExterner Link, Ordinarius für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern, gegenüber swissinfo.ch. «Ich denke, dass wahrscheinlich ein nicht unerheblicher Teil der Banken gehofft hat, dass die Schweiz sich als Sonderfall weisen wird. Das war eine Hoffnung, die nun enttäuscht wurde.»

«Hinter vorgehaltener Hand haben einige Bankdirektoren bereits vor drei oder vier Jahren gesagt, man müsse sich wohl mit dem AIA arrangieren und ihn antizipieren, um nachher nicht ins Hintertreffen zu geraten. Offiziell jedoch hat die Bankiervereinigung Widerstand geleistet und am Mythos des Bankgeheimnisses festgehalten», sagt Sergio RossiExterner Link, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg: «Es ging vor allem darum, den ausländischen Kunden nicht zu viel Angst zu machen und so ihr Vertrauen zu behalten.»

Angst vor schwarzen Listen

Die Zeiten, da Schweizer Spitzenpolitiker und Top-Banker das Bankgeheimnis für unumstösslich und Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt bezeichneten und die Schweiz deshalb auf der grauen Liste der Steuerparadiese der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Externer Link(OECD) fungierte, sind schon einige Jahre Vergangenheit.

Um weitere Reputationsschäden zu vermeiden und nicht auf der schwarzen OECD-Liste zu landen, brach die Landesregierung im März 2009 das Tabu und kündete an, künftig auch bei Steuerhinterziehung und nicht wie bisher nur bei Steuerbetrug Amtshilfe zu leisten.

Seither ging alles schnell. Mit dem Fatca-Abkommen wurde der AIA gegenüber den USA einseitig eingeführt. Das Modell einer Abgeltungssteuer, bei der die Steuersünder anonym bleiben, scheiterte Ende 2011 am wichtigsten Handelspartner der Schweiz, an Deutschland.

«Erfolg der Finanzdiplomatie»

Im Juni 2013 erklärte der Bundesrat, die Schweiz als Mitgliedsland werde innerhalb der OECD an einem Standard für den AIA mitarbeiten und dabei ihre Forderungen einbringen. «Man kann von einem Erfolg der Schweizer Finanzdiplomatie sprechen», sagte Staatssekretär Jacques de Watteville, nachdem die OECD im Juni 2014 die Standards für den AIAExterner Link definiert und veröffentlicht hatte.

Die Schweiz habe auf einen einzigen globalen Standard mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit gepocht. Zudem habe sie sich mit Erfolg dafür eingesetzt, dass auch die wirtschaftlich Berechtigten hinter Konstrukten wie Trusts offengelegt werden müssten, dass die Informationen nur für Steuerzwecke genutzt werden dürften und dass der Datenschutz eingehalten werden müsse.

Der AIA bringe «uns einer Welt näher, in der Steuersünder keine Versteckmöglichkeiten mehr haben», sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Veröffentlichung des Standards im Juni und kündete einen ambitionierten Zeitplan für dessen konkrete Umsetzung an. Am Wochenende werden die Finanzminister der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen in Australien den AIA als politisch verbindlich erklären. Ende Oktober wird er in Berlin von der G20 offiziell unterzeichnet.

Referendum nicht ausgeschlossen

Mehr als 60 Staaten haben sich bisher dazu bekannt, darunter die Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Deutschland und Frankreich aber auch Singapur und alle bekannten Steueroasen auf karibischen Inseln und britischen Überseegebieten wie die Cayman- Islands, Bermuda oder Gibraltar.

Die OECD will den AIA als weltweit geltenden Standard einführen, aber es gibt noch Lücken. So ist auffallend, dass in der gemeinsamen Erklärung zur Annahme des OECD-Standards vor allem asiatische und lateinamerikanische Staaten und bedeutsame Steueroasen wie Hongkong und Monaco fehlen.

Die USA haben mit FATCA mit mehr als 100 Staaten den einseitigen Informationsaustausch eingeführt. Die Frage der Gegenseitigkeit haben die USA bisher jedoch nicht beantwortet.

Ab 1. Januar 2017 – so der Fahrplan der OECD – soll der AIA umgesetzt werden. Der Bundesrat wird voraussichtlich noch im Oktober ein entsprechendes Mandat an das Parlament überweisen. In der Konsultation stiess der AIA bei den zuständigen Kommissionen der beiden Parlamentskammern zwar grundsätzlich auf Zustimmung. Dennoch sind innenpolitische Debatten programmiert, und auch ein Referendum und damit eine Volksabstimmung liegen im Bereich des Möglichen.

Zweifel am Ausland

«Ursprünglich habe ich gesagt, der AIA werde von der Schweiz ab 2018 umgesetzt. Der Zug hat jedoch inzwischen erheblich an Fahrt aufgenommen. So gesehen ist der Januar 2017 realistisch, aber immer unter der Voraussetzung, dass kein Referendum dagegen ergriffen wird. Politisch wird es sicher noch viel zu reden geben», sagt Peter V. Kunz.

Er habe keine Zweifel, dass die Schweizer Banken bis 2017 technisch und administrativ soweit vorbereitet seien, um die Standards zu applizieren, so Kunz. » Die Schweiz hat sich – was die Behörden und die Finanzinstitute anbelangt – immer als Musterknabe erwiesen. Aber ich habe meine Zweifel, ob das im Ausland auf gleichem Niveau und mit der gleichen Geschwindigkeit wie in der Schweiz passieren wird.»

«Ich glaube, dass wir jetzt ans Ziel kommen», sagt Sergio Rossi, der seit Jahren prognostizierte, es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis die Schweiz den AIA übernehmen müsse. «Meine einzige Sorge ist, dass sich alle Länder an die Regeln halten werden. Da braucht es Kontrollen.»

Kontrollieren soll die Einhaltung der Standards das Global Forum der OECD, dem rund 120 Staaten – darunter auch die Schweiz – angehören. Ende Oktober werden sich seine Mitglieder in Berlin verbindlich dazu äussern, ob sie den neuen Standard umsetzen wollen.

Die OECD will den legalen Steuertricks multinationaler Konzerne einen Riegel schieben. Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer haben sich auf ein erstes Massnahmenbündel gegen Steuerflucht geeinigt. Die offizielle Schweiz begrüsst die Pläne der OECD.

Künftig soll es nicht mehr so leicht möglich sein, Gewinne so lange zwischen mehreren Firmenstandorten in der Welt hin und her zu verschieben, bis kaum oder keine Steuer mehr anfällt. «Wir setzen diesen Steuertricks ein Ende», sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría in Paris.

Die OECD-Vorschläge sollen am Wochenende von den Finanzministern der G20-Staaten bei einem Treffen im australischen Cairns verabschiedet werden.

«Die Schweiz ist in allen Arbeitsgruppen des Projekts vertreten und bringt ihre Interessen für einen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte aktiv ein», schreibt das schweizerische Staatssekretariat für internationale Finanzfragen in einer Mitteilung.

International koordinierte Lösungen seien besser als eine Vielzahl unilateraler Massnahmen, weil Letztere zu Doppelbesteuerungen führen könnten. Die Schweiz begrüsse, dass sich das Projekt nicht auf ein Land oder eine besondere Gruppe von Ländern beziehe. «So können gleich lange Spiesse für alle geschaffen werden.»

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft