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Countdown zur Fussball-WM in Katar: «Es wurden Kühe eingeflogen»

Flaggen Fussball Weltmeisterschaft Doha im Hintergrund die Skyline und FIFA Worldcup
Schon seit Monaten schmücken die Flaggen der WM-Teilnehmenden die Hauptstadt von Katar. zVg

In knapp einem Monat beginnt die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar. Wie lebt es sich als Schweizer:in in einem Land, das im Vorfeld der WM so stark kritisiert wurde? Vier Auslandschweizer:innen erzählen es. Heute: Andreas Briner, Geologe bei einem grossen Ölförderkonzern in Katar.

219 Schweizer:innenExterner Link leben im Land der Gastgeberin der Fussball-Weltmeisterschaft 2022. Bis zum Anpfiff geht es noch 27 Tagen. Bis dahin erzählen uns jede Woche eine Auslandschweizerin oder ein Auslandschweizer, wie es ist, in Katar zu leben, zu arbeiten und wie die Stimmung wenige Wochen vor WM-Beginn ist. Den Anfang macht Andreas Briner, 53-Jährig, Geologe, verheiratet, drei Kinder.

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zVg
Andreas Briner lebt seit sechs Jahren in Doha. Er freut sich auf den Fussball-Event. zVg

«Schon seit meinem Doktorat als Geologe an der Universität Bern im Jahr 1997 lebe ich im Ausland. Seither arbeite ich für Shell, zuerst in Afrika, dann in Borneo und schliesslich im mittleren Osten. Mittlerweile bin ich für Bodenuntersuchungen bei der Öl- und Gasförderungen zuständig.

Seit sechs Jahren lebe ich mit meiner Familie in Doha, fast alle Expats leben hier in der Hauptstadt. Meine zwei jüngeren Kinder – eine Tochter und ein Sohn – gehen hier zur Schule, der Älteste studiert in Europa. Im Berufsleben kommt man mit Kataris schon in Kontakt, privat fast nicht. Man bewegt sich in Expat-Kreisen.

Mit anderen Schweizer:innen vor Ort komme ich kaum in Berührung – von all meinen Posten in den letzten Jahren hat es in Katar zwar die grösste Schweizer Gemeinschaft. Die Schweizer Botschaft ist sehr aktiv und es gibt regelmässig Events.

Weil es im August zu heiss ist und in dieser Zeit die meisten das Land verlassen, lädt die Botschaft meist erst Monate später zur 1.-August-Feier ein. Die Schulen sind über den Sommer zudem zwei Monate geschlossen. Gegen Ende Oktober wird es wieder angenehmer. Im Moment ist es tagsüber immer noch über 30 Grad warm.

Skyline Katar Fussball Weltmeisterschaft FIFA
Die Fussballweltmeisterschaft findet im November statt: Zu heiss wäre es in den Sommermonaten, wenn das Thermometer locker auf über 40 Grad klettert. Keystone / Robert Ghement

Das Leben in Katar wurde in den letzten sechs Jahren sehr von den Vorbereitungen für die Fussball-Weltmeisterschaft geprägt. Als wir hier ankamen, brauchte ich für meinen Arbeitsweg von einem Aussenquartier ins Zentrum wegen den fehlenden Strassen und den vielen Baustellen über 50 Minuten. Unterdessen wurde das Strassennetz so gut ausgebaut, dass ich nur noch 20 Minuten brauche.

Baustellen, Staub, Lärm und Chaos auf den Strassen. Alles im Hinblick auf die Weltmeisterschaft. Was die hier in dieser Zeit aber erreicht haben, ist unglaublich. Es gibt jetzt eine Metro, neue Museen. Die ganze Infrastruktur ist besser geworden.

Die grösste Herausforderung der letzten Jahre war die politische Blockade, die von Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten bestand. Man konnte nicht mehr in diese Länder fliegen und man konnte sie nicht einmal überfliegen. Jede Reise hat länger gedauert.

Als Reaktion auf diese Blockade, die fast drei Jahre gedauert hat, wurde Katar autarker. Bei den Lebensmitteln war man zuvor stark abhängig. Mittlerweile wurden Kühe eingeflogen und es wird Gemüse angebaut – in gekühlten Gewächshäusern. Jedes andere Land wäre wohl zusammengebrochen – aber hier ist Geld vorhanden. Das ist jedoch ein politisches Thema, darüber sollte man in Katar nicht zu viel sagen.

Schon seit über sechs Monaten spürt man in Doha eine grosse Vorfreude auf das Fussballturnier. Überall hängen Fahnen, an den Fassaden der Wolkenkratzer sind übergrosse Fussballposter befestigt, ringsum wird der Countdown angezeigt. Viele freuen sich auf die Fussball-Weltmeisterschaft.

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Sie hat aber auch einen immensen Einfluss auf das tägliche Leben. Die Schulen werden vier Wochen lang geschlossen, 80% der Belegschaft soll im Homeoffice bleiben und viele Strassen werden ab 11 Uhr gesperrt. Businesstrips werden während des Turniers fast nicht mehr möglich sein, die Hotels sind ausgebucht. Ich weiss von einigen Expats, die das Land verlassen, um diesem Tamtam zu entgehen. Es gibt sicher viele Leute, die negativ über das Turnier sprechen. Aber das mache ich lieber nicht.

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Katar ist ein sehr kleines Land, und es konnte in den letzten Jahren aus dem Schatten der Nachbarländer heraustreten. Auch mit dem Formel-1-Rennen und anderen Sportevents bereitet sich das Emirat auf die Zukunft nach Öl und Gas vor. Katar will sich damit ein positives Image in der Welt aufbauen und eine moderne Nation werden – so meine Interpretation. Ich will aber kein rosiges Bild malen, es gibt, wie überall, immer noch Verbesserungspotential. Doch die WM hat die Konditionen hier im Land fairer gemacht und vieles hat sich zum Guten verändert. 

Wir werden alle Gruppenspiele der Schweiz besuchen. Da hatten wir in der Lotterie um die Tickets grosses Glück – wohl auch weil die Spiele der Schweizer Nationalmannschaft nicht sehr gefragt waren. Meine Frau ist Britin, trotzdem schlägt mein Herz an dieser WM ganz klar für die Schweiz.»

Katar sieht sich seit der WM-Vergabe mit heftiger Kritik konfrontiert. Zwar haben sich die Bedingungen für Wanderarbeiter:innen seit dem Austragungsentscheid des Weltfussballverbandes FIFA verbessert. Aber die Kritik reisst nicht ab.

Einen Monat vor Anpfiff der Fussball-WM hat Amnesty International einen neuen BerichtExterner Link publiziert, indem die NGO noch vor dem WM-Start von Katar und dem Fussballverband Fifa drastische Verbesserungen fordert. Die Missstände sind laut Amnesty International noch lange nicht behoben: Homophobe Gesetze, Einschränkungen der Pressefreiheit und arbeitsrechtliche Mängel.

«Tausende Arbeitsmigrant:innen stehen weiterhin vor dem Problem, dass ihre Löhne verspätet oder gar nicht bezahlt werden, ihre Ruhetage gestrichen und ein Jobwechsel verunmöglicht wird. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich gegen diese Verstösse rechtlich zu wehren», schreibt Amnesty International. Zudem seien die Todesfälle von tausenden Arbeitsmigrant:innen in Katar ungeklärt.

Im Land am Persischen Golf leben rund 3 Millionen Menschen, wovon allerdings nur 15% Kataris sind. Den Hauptteil der Bevölkerung machen Arbeitsmigrant:innen ohne katarische Staatsbürgerschaft aus. Das Land hat eine der höchsten Ausländer:innenquote der Welt.

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