Der Digitalmagier
Als Kind wollte er einst wie David Copperfield werden. Heute ist der Zürcher Marco Tempest der bekannteste Digitalzauberer der Welt und arbeitet auch für die Nasa. Regelmässig tritt er auf den grössten Bühnen der Welt auf und verzaubert das Publikum an grossen Konferenzen mit digitalen Tricks. Tempest ist der fünfte Digitalpionier den wir in unserer Serie "Swiss Digital Pioneers" porträtieren.
«Die Magie von heute ist die Technologie der Zukunft,» sagt Marco Tempest lächelnd. «Es gibt eine lange Tradition von Zauberern, die gleichzeitig Erfinder waren.» Insofern steht der Digitalzauberer Tempest in einer Reihe von Magiern, die schon seit jeher versuchten, der aktuellen Technologie einen Schritt voraus zu sein.
Aber Marco Tempest ist nicht nur Zauberer mit technologischen Mitteln, er ist auch Designer, Filmemacher, Coach und Storyteller. Sein Business sind Geschichten, Illusionen und Inspirationen.
Der Zürcher erzählt auf der Bühne faszinierende Geschichten, um zu simulieren, was vielleicht technisch bald möglich sein wird. Er führt uns hinters Licht, um uns zu inspirieren. Als Junge träumte er von einer eigenen Zauber-Show am Broadway oder am Fernsehen. Heute ist er Creative Technologist bei der Nasa bei Los Angeles, Directors Fellow am MIT Media Lab in Boston und leitet ein Innovations-Lab bei Accenture in Zürich.
Magische Erfrischung
An der ersten «TEDxZurich»-Konferenz im Jahr 2010 erlebe ich ihn erstmals live. Zwischen anspruchsvollen Referaten erscheint Marco Tempest als magische Erfrischung auf der Bühne. Mit einer überaus positiven und spielfreudigen Ausstrahlung fesselt er mit raffinierten digitalen Tricks auf Touchscreen-Geräten das technologie-affine Zürcher Publikum.
Er ist so etwas wie der Hauszauberer an globalen TED-Konferenzen und gern gesehen am World Economic Forum. Diese Auftritte auf den grossen Bühnen der Neuzeit sind aber nur der sichtbarste Teil seiner Arbeit und ergänzen seine Arbeitspensen bei der Nasa und bei Accenture. Seine Tage sind lang, und er gönnt sich selten mal einen freien Tag.
An einem Schweizer Hitzetag erreiche ich ihn in New York per Video-Skype. Wie viele technologische Pioniere aus der Schweiz hat es ihn früh in die USA verschlagen. Begonnen hat aber alles noch in der Schweiz.
«Meinen ersten coolen Computer habe ich von Steve Jobs erhalten.» Er wohnt noch bei seinen Grosseltern in Zürich, als er 1992 einen Brief an «NeXT»Externer Link verfasst, ein IT-Unternehmen, das der spätere Apple-Chef gegründet hat. Der Brief muss Eindruck hinterlassen haben. Jedenfalls erhält der junge Tempest zahlreiche Pakete.
Der Traumcomputer kann aber viel weniger, als sich der junge Zauberer erhofft hat. Schon bald beginnt er, den Computer so zu programmieren, damit es aussieht, als könne er mit dem Bildschirm interagieren: über Touch-Funktionen und Gesten. Diese beiden Technologien sind vor knapp 30 Jahren Zukunftsmusik, heute kaum mehr wegzudenken.
Über das Gerät hinausdenken
Ähnlich geht Marco Tempest vor, als 2007 das erste iPhone auf den Markt kommt. Er denkt sich aus, was man mit dem Gerät später – ausser telefonieren – alles würde tun können. «Das ist das Hauptthema meiner Arbeit: Ich verwende bestehende Technologie und nutze dafür Storytelling und Zauberei, um damit die Zukunft dieser Technologie greifbar zu machen.»
Sein damaliges Video ist noch heute eines der erfolgreichsten. Alles wirkt spontan, leichtfüssig und gut gelaunt, aber dahinter steckt harte technologische Recherchearbeit.
Wie verbringt er seine Tage? Bei der Nasa in der Nähe von Los Angeles hilft er, die «Mission Narratives» zu schärfen. Auch da geht es letztlich um Technologie und Storytelling: Wie erzählt man die Geschichte, warum die USA wieder auf den Mond sollen? Wie kann man damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler motivieren, über mehrere Jahre für ein gemeinsames Ziel am gleichen Strick zu ziehen? Dem Nasa Jet Propulsion Laboratory hilft er bei Experimenten mit Mond-Robotern.
Für Accenture betreibt er in Zürich ein Innovationslabor. Da er nur selten vor Ort sein kann, «beamt» er sich jeweils morgens in das Studio. Mithilfe eines Roboters bewegt er sich zu den Tischen seiner Mitarbeitenden.
«Es gibt viele Technologien, aber sie sind nicht sonderlich nützlich. Man sucht nach Anwendungen für bestehende Technologien.» Dafür brauchen auch Grossfirmen Querdenker wie Marco Tempest. Seine neusten Projekte befassen sich mit Mensch-Maschine-Zusammenarbeit, Extended Reality und mit Drohnen.
Zuverlässigkeit als «Superkraft»
Warum gehen so viele Schweizer Technologie-Talente in die USA? Tempest beschreibt sein Leben als eine Abfolge glücklicher Fügungen, die in einem Land die den USA viel besser möglich sei als in der Schweiz.
Heute lebt er mit seiner Partnerin in New York City, aber er schätzt viele Schweizer Eigenschaften nach wie vor sehr. Er sagt sogar: «In den USA sind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit regelrechte Superpowers.» Er könnte sich auch gut vorstellen, New York wieder zu verlassen und in die Schweiz zurückzukehren.
Was hält er von digitaler Demokratie? «Die Schweiz ist eine Pionierin der direkten Demokratie. Wir haben die technologischen Talente und sollten unbedingt die Vorteile des kleinen Landes nutzen, um zu experimentieren.»
Auch eine globale E-Identität hält er für ein wichtiges Thema, das die Schweiz vorantreiben könnte. «Das wäre fantastisch, wenn man die Datensicherheits- und Datenschutzprobleme gelöst hätte.» Vielleicht müsste ihn der Bundesrat abwerben und in die Schweiz zurücklocken: Nach dem E-Voting-Debakel braucht die Schweiz dringend einen «Swiss Federal Creative Technologist».
In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial des Internets erkannt haben und es für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah GennerExterner Link ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch «ON | OFF».
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