«Schweizer» Produkte sind in Nordamerika äusserst beliebt
In den USA und in Kanada verkaufen sich Taschen und Rucksäcke mit dem Schweizerkreuz drauf wie warme Wecken. Ein gewinnbringendes Geschäft mit der Swissness. Nur: Mit der Schweiz hat das allerdings herzlich wenig zu tun.
In der Schweiz kennt man sie kaum, aber die Nordamerikaner reissen sich darum: Von Quebec bis Kalifornien sind Taschen, Rucksäcke und Koffer mit dem Schweizerwappen schwer angesagt und verkaufen sich unter Studierenden und Geschäftsleuten zu Zehntausenden.
Das weisse Kreuz auf rotem Grund, das die Marken benutzen, verspricht Praxistauglichkeit und Robustheit. Die Marken nennen sich Swiss Gear, Swiss Travel Products, Alpine Swiss, Swisswin oder sogar Swiss Alps.
Trotzdem wurde dieses Erfolgsgepäck weder in der Schweiz noch von Schweizern noch für Schweizer hergestellt. Die Gepäckstücke stammen meist aus Asien und werden fast ausschliesslich in Nordamerika vertrieben. Dieses spezielle Geschäft der «Schweizer Taschen» läuft über mehrere Zwischenhändler und zeigt eine ultraglobalisierte Seite des Handels, der den Appetit der Nordamerikaner auf die Swissness zu nutzen versteht.
Ein gutes Beispiel ist die Marke Swiss GearExterner Link, Pionierin und Marktführerin in diesem Bereich. Ihr Logo ist ein rotes Wappen mit Schweizer Kreuz, und sie nennt einzelne Produkte «Geneva», «Oberland» oder sogar «Clarens», nach einer Kleinstadt am Genfersee. Ihre Rucksäcke präsentiert die Firma in Dekors, die ans Heidiland erinnern. In der Werbung bezieht sie sich oft auf das gute alte Schweizer Offiziersmesser. Und das aus gutem Grund: Die Marke ist rechtlich im Besitz der Schweizer Firma WengerExterner Link, die wiederum VictorinoxExterner Link gehört.
Nationales Symbol, globalisierter Markt
Trotzdem ist Swiss Gear kommerziell gesehen ein nordamerikanisches Unternehmen: Seine beiden lizenzierten Händler sind Group III International mit Sitz in den USA und Holiday Group mit Sitz in Kanada. Laut ihrer Website liefert Swiss Gear nur nach Nordamerika, Indien, Russland und China (wo die Rucksäcke hergestellt werden). Wer hierzulande Swiss Gear kaufen möchte, ist bei Wenger aber an der falschen Adresse: Auf ihrer Internet-Plattform erwähnt die Schweizer Firma ihre nordatlantische Tochterfirma mit keinem Wort.
Doch diese Diskretion hält Wenger nicht davon ab, ihr nordamerikanisches Revier aktiv zu verteidigen. So zerrten die Firma und ihre Tochtergesellschaften (Group III und Holiday Group) Ende 2017 einen weiteren wichtigen Akteur im «Schweizer» Taschengeschäft vor ein kanadisches Bundesgericht: Swiss Travel Products. Dieser benutzt ebenfalls das Schweizer Kreuz und wurde von seinen Konkurrenten bezichtigt, sein Logo so abgeändert zu haben, damit eine Verwechslung mit jenem von Swiss Gear möglich wird.
Das Branding von Swiss Gear, das den Run auf «Schweizer» Taschen und Rucksäcke in Gang brachte, scheint den Appetit von Konkurrenten zu wecken. So entstanden in den letzten Jahren weitere kleine Gepäckmarken, die sich ein Stück des Kuchens abschneiden möchten: Alpine SwissExterner Link (Franchise in Kalifornien), SwissbrandExterner Link (in Panama) oder SwisswinExterner Link (vornehmlich in Australien und Brasilien). Das Rezept ist überall gleich: Man nehme ein Schweizer Kreuz, lasse in Asien herstellen und verkaufe an angelsächsische Kundschaft.
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Zeugen schweizerischen Erfindergeistes
Falsche Herkunftsbezeichnung?
Wenn der Bezug von Swiss Gear zu Wenger bereits schwach erscheint, so haben diese weiteren Marken überhaupt keinen Bezug zur Schweiz. Swiss Travel Products etwa gehört dem kanadischen Unternehmen Travelway Group. Dieses vermarktet Gepäck mit verschiedenen Labels, wie etwa Disney oder Marvel. Alles wird in Asien hergestellt, und «jedes Produkt wird vom Designteam von Travelway entworfen, gezeichnet und vermarktet […], in Montreal, New York und Hongkong», kann man auf der Internetsite des Unternehmens lesen.
So durchläuft das «Schweizer» Taschengeschäft viele Orte… Nur nicht die Schweiz. Kann man deshalb von falscher Herkunftsbezeichnung sprechen? Die Frage ist heikel. Grundsätzlich «sind die Verwendung des Begriffs ‹Swiss› und des Schweizer Wappens nur in Verbindung mit tatsächlich aus der Schweiz stammenden Produkten erlaubt», sagt David Stärkle, Jurist beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum.
«Taschen und Koffer zum Beispiel gelten dann als schweizerisch, wenn mindestens 60% der Kosten für diese Produkte in der Schweiz generiert wurden und der wichtigste Herstellungsschritt in der Schweiz stattgefunden hat», so Stärkle. Eine Bedingung, welche die Produkte von Swiss Travel Products höchstwahrscheinlich nicht erfüllen, da sie zwischen Asien und Amerika entworfen und hergestellt werden.
Rechtliches Vakuum
Doch genau hier liegt das Problem, denn während die «Swissness»-Regeln im Heimatland von Wilhelm Tell strikt umgesetzt werden, ist es im Ausland anders. «Was die Nutzung des Namens ‹Swiss› auf Produkten betrifft, hat die Schweiz keinerlei Abkommen mit den USA oder mit Kanada abgeschlossen. Deshalb gilt in dieser Frage deren nationales Recht», sagt Stärkle.
Es wäre deshalb an Washington und Ottawa, in dieser Frage vorzugehen, zum Beispiel aus Gründen des Konsumentenschutzes oder des unlauteren Wettbewerbs. Allerdings, sagt der Anwalt, «sind die Behörden dieser Länder in der Regel geneigter und aktiver beim Schutz ihrer eigenen Labels (‹Made in USA›, ‹Made in Canada›) als jenen von anderen Ländern». Momentan aber lassen sich nordamerikanische Konsumenten, die auf der Suche nach «Swissness» sind, weiterhin gerne «an der Nase herumführen», zu ihrem Vor- oder Nachteil.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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