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Die Wichtigkeit von Testpersonen im Zeitalter des Online-Handels

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Eine immer seltenere Szene: Die zunehmende Digitalisierung im Banken- und sonstigen Dienstleistungssektor hat zu einer grossen physischen Distanz zu Kunden geführt. Keystone / Martin Ruetschi

Die Globalisierung und der Online-Handel haben eine wachsende Distanz zwischen Unternehmen und ihren Kunden geschaffen. Ein Zürcher Startup schliesst diese Lücke. Es hat die grösste europäische Plattform zu Vermittlung von Testpersonen geschaffen. So können Firmen die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Kunden kennenlernen.

«Im Jahr 2014, als ich für die Abschlussarbeit meines Masterstudiums im Silicon Valley war, suchte ich einige Testpersonen, um die App einer Design Firma auszuprobieren. Ich habe eine Anzeige aufgeschaltet und es kamen alle möglichen Leute, die dem publizierten Anforderungsprofil überhaupt nicht entsprachen und die nur am Geld interessiert waren. Es gab sogar eine ganze Familie mit Kindern, Onkeln und Tanten», erzählt Reto Lämmler, CEO von TestingTimeExterner Link.

«Da habe ich mich gefragt, wie ist es möglich, dass heutzutage für jegliche Dienstleistung ein Online-Service besteht, während es keinerlei Angebot gibt, um auch nur fünf geeignete Personen zum Testen eines Produkts zu finden? Dies war für mich der erste Auslöser, der mich dazu brachte, etwas zu tun.»

Reto Lämmler
Der Gründer des Zürcher Start-ups: Reto Lämmler. swissinfo.ch

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz und dem Abschluss des Master Studiengangs «Mensch-Computer Interaktion Design» machte sich der St. Galler daran, diese Lücke zu schliessen. Innerhalb weniger Wochen entwickelte er eine erste Version einer Plattform, welche interessierten Unternehmen kurzfristig Personen vermitteln konnte, die zu einer Teilnahme an Tests bereit waren.

Innert kürzester Zeit nutzten mehrere Unternehmen dieses Angebot, darunter Swisscom und SBB. «Ich habe so gemerkt, dass ich einen Nerv getroffen hatte», sagt Lämmler. 2015 gründete er mit ein paar Kollegen das Start-up TestingTime in Zürich. Heute hat das Unternehmen rund tausend Kunden – hauptsächlich in der Schweiz, Deutschland, Österreich, Grossbritannien und Frankreich – die bei ihren Tests auf eine Auswahl von über 300’000 Personen aller Altersgruppen zählen können. Das Zürcher Start-up ist in Europa die Nummer eins in der Vermittlung von Testteilnehmern.

Unbrauchbare Applikationen

Als Folge des Internets und der zunehmenden Digitalisierung des Dienstleistungs- und Industriesektors ist weltweit die Zahl vollkommen neuer Produkte förmlich explodiert. Diese Produkte müssen getestet werden, bevor sie auf den Markt gelangen.

«Bis vor einigen Jahren begnügten sich viele Unternehmen mit einer Online-Umfrage und schon waren sie überzeugt zu wissen, was ihr Kundinnen und Kunden wünschen. Sie liessen ihre Ingenieure an einem Produkt herumbasteln und vergassen dabei vollständig, dass es am Ende den Kunden nützen soll. In vielen Fällen entstanden Anwendungen, die aus Kundensicht ein Desaster waren. Wir alle sind mit schlecht gestalteten Websites oder Anwendungen konfrontiert worden, die schwer zu bedienen sind und uns keine Freude bereiten», sagt Lämmler.

Wer heute Ideen oder Prototypen entwickelt, erprobt diese immer häufiger zuerst an einigen Testpersonen, fügt der Ceo von TestingTime hinzu. «Es wird dann beobachtet, wie die Testpersonen das Produkt nutzen, ob sie das Angebot und die Nutzerführung verstehen. Und falls nicht, geht man über die Bücher, und erprobt das weiter entwickelte Produkt erneut an Testpersonen aus. So kann man wirklich verstehen, was die Leute wollen und ob sich das jeweilige Produkt an den Bedürfnissen der Kunden orientiert.»

Der wachsende Einsatz von Testpersonen hängt auch mit dem boomenden Online-Handel zusammen. In den vergangenen 20 Jahren wurde versucht, Personal abzubauen, während der Verkauf über digitale Plattformen zunahm. Doch nun haben viele Unternehmen gemerkt, dass sie sich von ihren Kunden sehr weit entfernt haben. Sie versuchen, die entstandene Lücke durch Testpersonen, aber auch durch Service-Dienste oder via Social Media, wieder zu schliessen.

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Jeder Schritt ist wichtig

TestingTime stellt Firmen und Marktforschungs-Agenturen Testpersonen mit einem jeweils gewünschten Anforderungsprofil zusammen. Sie werden für quantitative Studien eingesetzt, beispielsweise für Telefon- oder Online-Befragungen, und vor allem für qualitative Tests, die in der Regel mit nur 5 oder 10 Teilnehmern durchgeführt werden. Gerade diese letztgenannten Tests werden für die Entwicklung und den Verkauf eines Produktes immer wichtiger.

Unter den Kunden des Zürcher Startup-Unternehmens hat es Firmen, die eine spezifische Funktion einer neu entwickelten App testen möchten. Banken, die wissen wollen, ob ihre Kunden in der Lage sind, mit Leichtigkeit ein elektronisches Konto zu eröffnen. Oder Telekommunikations-Dienstleister, welche schlicht herausfinden möchten, ob sich die Nutzer auf ihrer Homepage zurechtfinden und das für sie geeignete Abo wählen können. Die Tests können bei den Firmen erfolgen oder in einer Alltagssituation der Testpersonen, auch zu Hause.

«Viele Unternehmen möchten das Kauferlebnis durch den Kunden in jedem Schritt nachverfolgen. Man will wissen, ob der Kunde den Eindruck hat, gut behandelt zu werden und im Bedarfsfall genügende Hilfe zu erhalten. Denken wir an den Online-Handel, in dem die Aufsplitterung des Kaufprozesses immer extremer wird. Wer ein Produkt erwirbt, erhält zuerst eine Bestätigung der Bestellung, dann eine Nachricht, dass der wünschte Artikel versendet wurde, schliesslich eine Mitteilung zur Lieferung», sagt Lämmler.

«Dann geht es darum, zu überprüfen, wie das Paket zugestellt wird: Es kommt oft an, wenn man nicht zu Hause ist und man muss es irgendwo abholen. Und schliesslich will man auch herausfinden, wie der Kunde das Paket öffnet, was er über die erhaltene Ware denkt, wie er sie zurücksenden kann, wenn er nicht zufrieden ist.»

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Laut dem CEO von TestingTime kann sich heute kaum eine Branche diesem Ansatz gegenüber den Kunden entziehen. «Schauen wir nur mal die Banken an, die lange in einer Komfortzone gelebt haben. Sie führten das Online-Banking ein, wobei sie überzeugt waren, dass es ausreiche, eine Art virtuellen Bankschalter im Internet zu schaffen.»

«Doch in den letzten Jahren sind neue Konkurrenten in den Markt eingetreten, reine Online-Anbieter, welche ganz auf ʹNutzererfahrung̍ setzen und rasch wachsen. Die traditionellen Banken haben Angst bekommen und eine Vielzahl von Innovation Labs eröffnet. Dann kommen sie zu uns auf der Suche nach Testpersonen, weil sie fürchten, den Anschluss an die Entwicklungen zu verpassen.»

Freiwillige Testpersonen

Das Zürcher Startup möchte in den kommenden Jahren noch in weiteren europäischen Ländern Fuss fassen. Der Pool an Testteilnehmern soll auf eine Million Personen anwachsen. Im Moment nimmt die Zahl der Testpersonen monatlich um 15’000 bis 20’000 Individuen zu. Ein Teil dieser Personen wird über Social-Media-Kampagnen rekrutiert, aber die meisten Teilnehmer melden sich spontan online an. Die Honorierung hängt von der Laufzeit der Tests und ihrer jeweiligen Art ab.

Lämmler erklärt, wie die Auswahl der Testpersonen erfolgt: «Um die gesuchten Anforderungsprofile unserer Kunden erfüllen zu können, führen wir ein Screening der Testpersonen durch, die sich bei uns gemeldet haben. Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf, Wohnort, Interessen oder weitere Kriterien spielen eine Rolle. Das Profil wird dann immer weiter vervollständigt mit jedem Test, an welchem die Testperson teilnimmt. So kann die Fehlerwahrscheinlichkeit reduziert werden.»

Zudem versucht TestingTime herauszufinden, ob eine Testperson möglicherweise lügt oder Angaben macht, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, beispielsweise einen falschen Beruf angibt. Doch warum melden sich überhaupt all diese Personen, um sich in den Dienst von Unternehmen zu stellen und ihre Produkte zu testen?

Laut Lämmler gibt es vielfältige Gründe: «Für junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen vor allem der finanzielle Aspekt im Vordergrund. Personen mittleren Alters stellen sich zumeist aus Neugier als Testpersonen zur Verfügung, um zu sehen, wie ein Unternehmen funktioniert oder auch nur um aus der Routine der eigenen Arbeit auszubrechen. Für die über 60-Jährigen spielt es eine wichtige Rolle, ihre eigenen Erfahrungen einbringen zu können. Sie wollen zudem, dass ihre Altersklasse nicht übergangen wird.»

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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