Politikerin will Behandlungstourismus stoppen
Geht es ihnen schlecht, wandern Auslandschweizer:innen zurück ins Schweizer Gesundheitssystem. Es ginge auch anders, sagt die Parlamentarierin Elisabeth Schneider-Schneiter. Ihre Idee ist politisch breit abgestützt.
Die Schweizer Bevölkerung ächzt unter stetig steigenden Gesundheitskosten. Gemäss einer Umfrage der Tamedia-Zeitungen von letzter Woche sind diese auch das drängendste Problem, das die Schweizer Politik anzugehen hat. Für Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter liegt ein Teil der Lösung bei den Auslandschweizer:innen.
Denn unter ihnen befinden sich besonders viele Pensionierte, und diese brauchen häufiger kostenintensive Behandlungen. Rentner:innen, die im Ausland leben, kommen für Behandlungen oft zurück in die Schweiz. Vor allem dann, wenn planbar ein grösserer Eingriff oder eine Kur ansteht.
«Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer melden sich für ein halbes Jahr in der Schweiz an und lassen sich hier aufwändig operieren», sagt sie, «das ist eine echte Herausforderung für das System.» Die Nationalrätin der Mitte ist auch Vorstandsmitglied der Auslandschweizer-Organisation ASO.
Das Problem bei diesem Behandlungstourismus: Patient:innen beziehen von den Schweizer Krankenkassen Leistungen, für die sie streng genommen nicht bezahlt haben.
Legal das System ausnutzen
Denn wer auswandert, verlässt zwangsläufig auch das Schweizer Gesundheitssystem mit seinen Pflichten und Rechten. Man bezahlt zwar keine Krankenkassen-Prämien mehr, verliert aber auch das Anrecht, sich in der Schweiz behandeln zu lassen.
Dies ist aber einfach zu umschiffen, denn sobald man wieder Wohnsitz in der Schweiz nimmt, wird augenblicklich die obligatorische Krankenversicherung fällig – und damit reaktiviert sich in vollem Umfang auch der Versicherungsschutz.
Man kann sich mit einer kurzfristigen Wohnsitznahme in der Schweiz also praktisch zum Nulltarif in eines der teuersten und besten Gesundheitssysteme der Welt einreihen. Das ist legal. Der Fehler – so es einer ist – liegt im System.
«Wenn sich jemand in Thailand behandeln lässt, sind die Behandlungskosten markant tiefer.»
Elisabeth Schneider-Schneiter
Wie oft es vorkommt, ist schwer zu eruieren. Es gibt aber einen deutlichen Hinweis, dass die etwas zweifelhafte Praxis weit verbreitet ist. Die Schweizer Krankenversicherung KPT, welche traditionellerweise die meisten Internationalen Krankenversicherungen von Auslandschweizer:innen abschliesst, stellt keinen wesentlichen Unterschied ihrer übernommenen Kosten fest, egal ob die Versicherungsnehmer:innen in teuren Ländern wie Japan wohnen, oder in solchen, wo Behandlungen günstiger sind wie Tunesien oder Brasilien. Das deutet darauf hin, dass Auslandschweizer:innen, die in einem Land mit einer zweifelhaften Gesundheitsversorgung wohnen, häufig zur Behandlung in die Schweiz kommen, recherchierte SWI swissinfo.ch schon 2019.
Spezialfall Thailand
Wer sich in der Community umhört, erfährt zudem rasch, dass ein Behandlungstourismus vor allem aus der Auslandschweizer:innen-Gemeinschaft in Thailand, teils auch aus den Philippinen festzustellen ist.
Dafür gibt es drei Gründe.
Das Problem stellt sich erstens nur, wenn das Gesundheits- und Krankenversicherungssystem des Wohnlands so unterschiedlich ist, dass ein starker Anreiz für Behandlungstourismus besteht. In EU- und Efta-Ländern fällt dieser Weg weg.
Thailand ist zweitens deshalb besonders, weil es vor allem bei Schweizer Rentnern und Frührentnern – die männliche Form ist bewusst gewählt – sehr beliebt ist. Tiefe Lebenshaltungskosten, warmes Klima, einfache Visavergaben; ein weiterer Faktor ist wohl auch Sexarbeit.
Rund 6000 Schweizer:innen sind als Rentner:innen oder Frührentner:innen in Thailand zu Hause. Viele von ihnen haben – drittens – infolge der Pandemie ein Problem: Denn seit Dezember 2022 brauchen sie für den legalen Aufenthalt in Thailand zwingend eine Krankenversicherung, welche Behandlungskosten bis 100’000 US-Dollar abdeckt. Als Covid-19 grassierte, stiess Thailands Gesundheitssystem nicht nur an seine Grenzen– es blieb danach auch auf vielen unbeglichenen Rechnungen sitzen.
Nun sind die privaten Auslands-Krankenversicherungen, die es in Thailand braucht, für Menschen über 70 grundsätzlich teuer. Je älter die Versicherungsnehmenden, desto höher sind die Prämien. Bei einer 80-jährigen Person können sie bis zu 40’000 Franken im Jahr ausmachen.
Gerade Rentner:innen, die auswandern, weil ihr Budget für die teure Schweiz nicht reicht, sind auf solche Kostenblöcke selten vorbereitet. Sie können diese auch kaum stemmen. Wenn Vorerkrankungen bestehen, ist es auch oft nicht möglich, überhaupt eine Krankenversicherung abzuschliessen.
Unfreiwillige Rückkehr
In Thailand bleibt solchen Renter:innen jetzt nur das Abtauchen in den illegalen Aufenthalt – oder die unfreiwillige Rückkehr ins Heimatland.
Schon einige Zeit lobbyiert die Schweizer Community in Thailand darum für eine Lösung auf politischer Ebene.
Den Ball aufgenommen hat Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie schlägt in einem PostulatExterner Link vor, dass betroffene Auslandschweizer:innen freiwillig in der Schweizer Grundversicherung bleiben könnten. Diese ist zwar auch nicht billig. Sie hat aber gegenüber privaten Auslandsversicherungen den Vorteil, dass sie mit zunehmendem Alter nicht ständig teurer wird.
Der Bundesrat solle dazu Wege aufzeigen, fordert Schneider-Schneiter, denn die Mitte-Politikerin findet es «stossend, dass die Auslandschweizerin oder der Auslandschweizer ein Leben lang Prämien in die Grundversicherung einbezahlt und eventuell nie Leistungen bezogen hat.»
Krankenkassen profitieren
Das Argument, das sie damit anführt, lässt sich gar beziffern: Schweizer Rentner:innen in Thailand überlassen den Schweizer Krankenkassen rund 250 Millionen Franken.
Die Rechnung stammt von Josef Schnyder, er ist Vizepräsident der Swiss Society in Bangkok. Schnyder legt dar, dass jüngere Versicherte grundsätzlich einen Solidaritätsvorschuss an ältere Versicherte zahlen. Sie zahlen Prämien für Leistungen, die sie nicht, bzw. erst im Alter beziehen würden.
Wandert jemand aber aus, bevor er oder sie ab etwa 60 ins Alter von teuren Gesundheitskosten kommt, hat diese Person zwar einbezahlt, wird aber nie profitieren. «Bis zu diesem Zeitpunkt lässt sich aufgrund statistischer Daten für die Versicherung einen Gewinnüberschuss von knapp CHF 42’500 pro Versicherungsnehmenden errechnen», rechnet Josef Schnyder vor. Bei 6000 ausgewanderten Rentner:innen nach Thailand kommt er so auf 250 Millionen Franken.
Lesen Sie hier unser Interview mit Josef Schnyder:
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Schnyder berichtet von Schweizer:innen, die aus gesundheitlichen Gründen ihre Angehörigen in Thailand zurücklassen mussten, weil sie zur Behandlung in die Schweiz zurückkehren. Er kennt auch solche, denen kein Langzeitauftenhalts-Visum mehr erteilt wird, weil sie den Versicherungsnachweis nicht mehr vorbringen können.
Tiefere Behandlungskosten
Elisabeth Schneider-Schneiter ist als Mitglied des Auslandschweizer-Rats den Schweizer:innen im Ausland eng verbunden, sie hat mit ihrem Postulat aber vor allem die Schweizer Gesundheitskosten im Visier. «Wenn sich jemand in Thailand behandeln lässt, sind die Behandlungskosten markant tiefer», sagt sie.
Damit hat sie auch Politiker:innen sämtlicher relevanten politischen Parteien überzeugt. 35 Parlamentsmitglieder haben ihr Postulat unterzeichnet, darunter Parteipräsident:innen und Fraktions-Chefs mehrerer Bundesratsparteien. «Alle haben realisiert, dass das zu einer Entlastung des Schweizer Gesundheitssystem führen wird», gibt sich Schneider-Schneiter überzeugt.
Die Baselbieter Parlamentarierin wartet nun gespannt, wie der Bund ihre Idee beantworten wird. Denn es gibt noch ein weiteres Kostenargument: Wenn ältere, verarmte Schweizer:innen aus Thailand zur Rückreise in die Schweiz gezwungen werden, können sie hier auch dem Sozialsystem zur Last fallen.
Dann wird die erzwungene Rückkehr nicht nur für das Gesundheitssystem, sondern auch für die Schweizer Steuerzahler:innen teurer.
«Der Staat wird entlastet»
Als swissinfo.ch den ehemaligen Schweizer Chefdiplomaten Johannes Matyassy vor einem Jahr auf das Thema ansprach, antwortete dieser: «Die Leute gehen bewusst ins Ausland, in Länder, wo man mit einer Schweizer Rente sehr gut lebt. Und wenn es dann nicht klappt, soll der Staat doch wieder schauen?» Matyassy sah darin eine «problematische Erwartungshaltung».
Schneider-Schneiter aber sagt: «Im Gegenteil: Der Staat muss für sie nicht sorgen. Er wird von ihnen entlastet.»
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