Thailand wird für Schweizer Unternehmen attraktiv
Politische und wirtschaftliche Probleme in China zwingen westliche Firmen, sich nach alternativen Standorten umzuschauen. Ein solcher ist Thailand. Seit über 100 Jahren sind Firmen aus der Schweiz dort tätig. Ortstermin.
Wie David Stauffacher die Zukunft Chinas sieht? Er runzelt die Stirn. «Wer weiss, was da noch kommt.» Stauffacher ist Chef der schweizerisch-thailändischen Handelskammer in Bangkok. Er ist nicht der Einzige, der die Entwicklung Chinas skeptisch beobachtet.
Lange feierten westliche Unternehmen China als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Inzwischen aber hat sich die Euphorie gelegt. Immer mehr Firmen zweifeln an der Nachhaltigkeit ihrer Präsenz in Peking oder Schanghai.
Wachsende Probleme in China
«Aus unternehmerischer Sicht ist China zu unsicher geworden», sagt Stauffacher zu swissinfo.ch. Die letzten Jahre seien gezeichnet gewesen von einer Reihe von Problemen: restriktive Covid-Politik, unterbrochene Lieferketten, steigende Lohnkosten und geschlossene Häfen.
Die Probleme gehen tief. Die Machthaber in China sehen sich mit einem wachsenden Schuldenberg und einer überalterten Bevölkerung konfrontiert. Gleichzeitig kämpfen Peking und Washington immer offener um die Vormachtstellung im Pazifik. Das hat direkte Folgen für die westliche Wirtschaft.
Für Stauffacher ist jedenfalls klar: «Heute macht es wirklich nur noch Sinn in China präsent zu sein, wenn man den dortigen Markt direkt beliefert.» Wer nur für den Export produziere, für den gäbe es bessere Möglichkeiten – eben etwa in Südostasien.
Werbetrommel für Thailand
Als Leiter der schweizerisch-thailändischen Handelskammer hat Stauffacher natürlich ein direktes Interesse, den Zusammenschluss der südostasiatischen Nationen ASEAN in einem guten Licht zu zeigen.
Er weiss aber auch von mindestens zehn kleineren und mittelgrossen Schweizer Unternehmen, die sich in den letzten Monaten entweder komplett aus China zurückgezogen oder in einem südostasiatischen Nachbarland ein zweites Standbein aufgebaut haben. Eine Schweizer Firma, die Medizinaltechnik herstelle, habe «ihre Fabrik in China komplett zusammengepackt und in Malaysia wieder aufgebaut», erzählt er.
ASEAN hat viele Gesichter
Das klingt aber einfacher als es ist. Wer sich den Umzug in die Region ASEAN überlegt – sei es von einem anderen Standort in Asien oder direkt aus der Schweiz – macht besser seine Hausaufgaben. Die zehn zu ASEAN gehörenden Länder sind alles andere als ein homogener Block. Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam sind kulturell und politisch sehr unterschiedlich und komplex.
Eine solche Vielfalt bringt zwar wirtschaftliche Chancen – 670 Millionen Konsument:innen mit Hunger auf westliche Produkte – aber laut Stauffacher auch ihre eigenen Herausforderungen für schweizerische Unternehmer, die dort Fuss fassen wollen.
Ortstermin bei Bangkok
Ein Geruch von Plastik und Farbe hängt in der klinisch sauberen Produktionshalle. Mit einer Präzisionsmaschine druckt eine junge Frau Namen und Logo auf ein Stück ikonischen Schweizer Designs: «Skross». Tausende dieser Weltreiseadapter laufen hier pro Woche vom Band.
Unternehmer Anis Rifai erzählt, Thailand sei für ihn ein weisser Fleck auf der Landkarte gewesen, als er vor 14 Jahren in Bangkok gelandet sei. «Wir dachten, man esse hier mit Stäbchen», sagt er lachend. «Doch wir wurden bald eines Besseren belehrt». In Thailand isst man traditionell mit Löffel und Gabel.
Ein Standbein in Südostasien
Rifai ist Geschäftsführer der Schweizer Noventa-Gruppe. Das Familienunternehmen ist auf die Herstellung hochwertiger Plastik-Spritzgussteile spezialisiert. Der Firma war vom Nähmaschinenhersteller Bernina – einem ihrer wichtigsten Kunden – empfohlen worden, ein Standbein in Südostasien aufzustellen. Nach der Prüfung von Malaysia, Vietnam und anderen Ländern der Region fiel die Wahl auf Thailand.
In einem Industriepark zwei Stunden nordöstlich der Hauptstadt Bangkok richteten er und sein Team eine Fabrik ein. «Der Standort war perfekt für uns: in Reichweite sowohl von Flughafen als auch Seehafen». 13 Jahre später arbeiten hier heute über 200 Mitarbeiter:innen.
Geschätzte Schweizer Werte
Nebenan pressen tonnenschwere Maschinen Plastik für die Verschalungen von Nestlé-Kaffeemaschinen und Kärcher-Dampfreinigungsgeräten.
«Am Anfang hatten wir gedacht, wir könnten uns hier mit Schweizer Qualität und Zuverlässigkeit einen neuen Markt erschliessen. Wir merkten aber bald, dass wir gegen asiatische Hersteller nicht wettbewerbsfähig sind», sagt Rifai, «doch wir sahen, dass es in dieser Region viele europäische Firmen gibt, die einen europäischen Hersteller suchen». Einen zuverlässigen, verlässlichen, pünktlichen: einen schweizerischen eben.
«Viele sind Zulieferer für andere Schweizer Firmen in der Region, die Schweizer Qualität fordern, aber zu einem günstigeren Preis», erklärt David Stauffacher. Für Nestlé etwa. Neben der politischen Stabilität, einer gut funktionierenden Logistik und zuverlässigen Lieferketten sei die geografische Lage besonders attraktiv. «Innert drei bis vier Stunden ist man von Bangkok aus in jedem Land der Region, inklusive China.»
Aufbauarbeit
Dazu kämen vergleichsweise niedrige Gehälter und ein gutes Arbeitsrecht, das die Arbeitnehmer schütze. Letzteres sei Schweizer Unternehmer:innen wichtig. Und dann hätten die Thai noch ein entscheidendes Attribut: «Ihre erstaunliche Fingerfertigkeit.» Deshalb würden etwa bekannte Schweizer Uhrenunternehmen Teile ihrer Uhrwerke in Thailand zusammenbauen lassen.
Für langjährige Südostasien-Kenner wie Anis Rifai ist es entscheidend, dass man sich als Unternehmer vor einer eventuellen Expansion einen lokalen Partner sucht. Und es braucht Offenheit. «Wir mussten selbst spüren, wie Thailand funktioniert.» So liess Rifai 18 Manager aus der Schweiz nach Thailand fliegen, um den neuen Standort aufzubauen.
«Wir haben dann aber rasch gelernt, dass man die Schweizer Firmenkultur nicht einfach übertragen kann.» Er denkt an den Tag zurück, als im neuen Werk die Produktion begann. «Ganz stolz gingen wir am Abend essen, so wie Schweizer es halt tun», erinnert sich Rifai. «Als wir uns danach noch die Arbeit der Nachtschicht ansehen wollten, war die halbe Mannschaft am Schlafen.»
Mix der Traditionen
Es dauerte einige Zeit, bis der Geschäftsführer seine Belegschaft davon überzeugen konnte, dass traditionelle schweizerische Werte wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit auch für Mitarbeitende positiv sein können. «Wir lebten es vor», meint er, «wir durchbrachen Traditionen wie etwa die strikten Hierarchien, die den Arbeitsalltag in Thailand normalerweise prägen».
Rifai ist überzeugt, dass eine auf Qualität fokussierte, auf Fairness basierende Unternehmenskultur der Grund ist, weshalb Noventa im gesamten Industriepark heute die niedrigste Fluktuationsrate unter Mitarbeitenden hat. Aber: «Natürlich hilft es auch, wenn wir ab und zu mal eine Schweizer Schokolade teilen.»
Die ASEAN-Länder (Association of Southeast Asian Nations) sind für Schweizer Firmen nicht nur ein interessanter Produktionsort, sondern auch ein Absatzmarkt. Die Region hat eine Bevölkerung von über 670 Millionen Menschen und ein Bruttoinlandsprodukt von mehr als 2,5 Billionen US-Dollar. Beobachter gehen davon aus, dass die Wirtschaft in der Region in den nächsten Jahren weiterwachsen wird, da viele der Länder ihre Infrastruktur modernisieren und bestrebt sind, ihre Wirtschaft zu diversifizieren.
Mit einer stetig expandierenden Mittelschicht sind die ASEAN-Länder einer der grössten und attraktivsten Binnenmärkte der Welt. Viele Unternehmen nutzen ein ASEAN-Land auch als Brückenkopf zwischen den umliegenden Wirtschaftsregionen. Schliesslich haben die ASEAN-Länder eine Freihandelszone eingerichtet. Unternehmen können so ihre Präsenz in der Region relativ rasch und unbürokratisch erweitern.
Dieser Artikel wurde am 19. September 2023 geringfügig angepasst. Unter anderem hat David Stauffacher präzisiert, dass die genannte Medizinaltechnik-Firma in Malaysia, und nicht auf den Philippinen neu gestartet ist.
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