Nötige, aber etwas späte Umkehr bei Credit Suisse
Die Schweizer Presse begrüsst den Umbau bei der Schweizer Grossbank Credit Suisse. Für viele Kommentatoren aber hat die Bank zu lange gewartet und sich auf den Lorbeeren ausgeruht, in der Meinung, die Finanzkrise ohne grössere Probleme umschifft zu haben.
Schneller, schlanker und profitabler. So soll die Schweizer Grossbank Credit Suisse nach dem radikalen Umbau aussehen, den der neue Chef Tidjane Thiam umsetzen will. In drei Jahren sollen in der Schweiz 1600 Stellen gestrichen werden – ohne Entlassungen, wie es heisst.
Trotz dem erneuten Abbau will die CS das Bankgeschäft in der Schweiz ausbauen, unter anderem mit dem Börsengang eines Minderheitsanteils der neu geschaffenen «Swiss Universal Bank». Begleitet wird der Umbau von einer Kapitalerhöhung um insgesamt 6,05 Mrd. Franken und einem neuen Sparprogramm. Zudem strebt die CS auch einen Ausbau der Vermögensverwaltung in Schwellenländern an.
Unter dem Titel «Der Anti-Dougan räumt auf» vergleicht die Handelszeitung die CS mit einer Wohnung, die der neue Konzernchef Tidjane Thiam übernommen hat: «Thiam ist bereit zum Einrichten seiner vier Wände.» Zwischen den Zeilen habe man bei Thiams Rede heraushören können, «wie dreckig die Wohnung vorher war. Wie wenig er von der alten Organisation unter seinem Vorgänger Brady Dougan hält».
Leute zum Mittagessen einzuladen sei kein Geschäftsmodell, habe der neue Boss seine Banker wissen lassen. «Der Umbau der Credit Suisse fällt dementsprechend radikal aus – radikaler als erwartet. Thiam nutzte ganz offensichtlich das Momentum als neuer Chef und hielt sein Versprechen, bei der Neuorganisation ’schonungslos› zu sein. auch gegenüber den Geschäftsleitungsmitgliedern. Im Top-Management rollen Köpfe.»
Allgemein wolle Thiam mehr Kontrolle und weniger Risiko, so die Handelszeitung. Und sie bleibt beim Fazit bei ihrem Bild der neu eingerichteten Wohnung: «Die neuen Top-Manager der Credit Suisse müssen nun aber ackern – sonst explodiert der Topf, und die Wohnung ist wieder schmutzig wie zuvor.»
Die CS trete endlich «in die neue Banken-Ära ein», schreibt die Westschweizer Zeitung Le Temps. Sie sei nicht die einzige Grossbank, die in letzter Zeit in Schwierigkeiten geraten sei, wie etwa die Deutsche Bank. «Dass die Credit Suisse nun eine Kehrtwende macht, hat auch damit zu tun, dass Thiams Vorgänger keine Veränderungen vorgenommen hat. Nachdem die CS mit höherem Kopf als die UBS aus der Krise gekommen ist, hat sie sich von ihrer Rivalin wieder überholen lassen.»
Die Credit Suisse habe «gar keine andere Wahl. In den letzten fünf Jahren machte die zweitgrösste Schweizer Bank laut Angaben von Bloomberg eine der schlechtesten Kursentwicklungen des Sektors».
Gleichziehen mit der Konkurrenz
Statt einem Konzernumbau habe Dougan lediglich einige Justierungen vorgenommen, schreibt die Neue Luzerner Zeitung. Man habe zu lange «darauf gesetzt, dass die Märkte zum Vorkrisenmodus zurückkehren und die Milliardengewinne wieder sprudeln werden».
Denn eigentlich habe alles für die Credit Suisse gesprochen: «Die zweitgrösste Schweizer Bank hat die Finanzkrise im Gegensatz zu ihrer Konkurrentin UBS und anderen Grossbanken aus eigener Kraft gemeistert. Doch die gute Ausgangslage hat die Grossbank nicht genutzt. Sie hat es versäumt, ihre Marktposition zu stärken und die mit staatlichen Geldern gestützte Konkurrenz hinter sich zu lassen.»
Auch die Neue Zürcher Zeitung ist überzeugt, dass Brady Dougans Modell ausgedient hat. Mit den grundlegenden Veränderungen zeige die neue Führung «endlich Willen und Mut, konsequenter und radikaler als bisher die offensichtlich gewordenen Probleme aus dem Weg zu räumen».
«Die Bank beschreitet damit einen eigenen Weg. Ob dieser ans angestrebte Ziel führen wird und die grossen Versprechungen eingehalten werden können, werden erst die erwirtschafteten Ergebnisse zeigen. Die CS hat eine neue Wette offen.»
Die neue Strategie sei zwingend nötig, meint die Basler Zeitung, «schon allein deshalb, weil längst klar war, dass die notorisch kapitalschwache Credit Suisse (CS) ihre Aktionäre um frisches Geld angehen muss». Die beschlossene Kapitalerhöhung «scheint zunächst in der Tat vor allem dem einen Zweck zu dienen: die CS punkto Kapitalkraft wieder auf Augenhöhe mit der direkten Konkurrenz zu bringen».
«Immerhin» verspreche Thiam noch einiges mehr, als nur die Kapitalbasis des Konzerns zu stärken: «Mit der Regionalisierung und Dezentralisierung der Organisation setzt er klare Akzente, wo das Wachstum zu forcieren sein wird», so die BAZ.
Eine Bank für die Schweiz?
Das Boulevardblatt Blick greift diese Regionalisierung auf: Auf ihrer Front lächelt Tidjane Thiam unter einer kultigen SKA/CS-Skimütze hervor (Fotomontage), daneben in grossen Lettern: «Die Credit Suisse wird zur Volksbank!» Dass die CS plane, in Zürich eine Schweizer Bank für Kunden aus dem Heimmarkt aufzubauen, sei zu begrüssen: «Zumindest theoretisch wird dies eine Bank für das Volk, an der sich auch der kleine Mann beteiligen kann. Bis zu einem Drittel des Kapitals soll an die Börse kommen. Aktien kaufen darf jedermann.»
Den Börsengang eines Minderheitsanteils der neugeschaffenen Swiss Universal Bank thematisiert auch das St. Galler Tagblatt: «Das schafft nicht nur frisches Kapital, sondern auch neues Selbstbewusstsein im Heimmarkt Schweiz. Es ist ein Schritt aus dem Schatten des internationalen Business, das teilweise nach anderen Regeln tickt.»
Doch das Blatt warnt auch: «Mit dem separaten Börsengang wird aber ein eigener Gradmesser für das hiesige Geschäft eingeführt. Sinkt der Börsenkurs, wird der Druck auf das bereits angespannte Geschäft noch grösser. Dann würde die Chance zur Hypothek.»
Zu lange gewartet?
Der angekündigte Totalumbau der Grossbank sei radikal und führe «zu einem klaren Bruch mit der Vergangenheit», schreibt die Aargauer Zeitung. «Der Ausflug nach Amerika ins Investmentbanking ist zu einem schönen Teil zu Ende.» Die neue Traumdestination der Bank sei nun Asien. «Der Abschied von der Ära Grübel und Dougan, so richtig er ist, wird schmerzhaft. Es wird zu einem Stellenabbau kommen, auch in der Schweiz.»
Mehr Eigenmittel
Der Bundesrat will die Anforderungen für systemrelevante Banken verschärfen. Damit soll verhindert werden, dass der Staat bei einer Finanzkrise einspringen muss.
Die ungewichtete Eigenkapitalquote (Leverage Ratio) für Grossbanken wird von 3,1 auf 5% erhöht.
Der Bundesrat hat am 21. Oktober die Eckwerte für eine entsprechende Verordnungsänderung verabschiedet und das Finanzdepartement (EFD) beauftragt, die Details zu den neuen «Too-big-to-fail»-Bestimmungen auszuarbeiten.
Durch die Massnahmen werde sich die Widerstandsfähigkeit der systemrelevanten Banken weiter erhöhen, schreibt das EFD.
Laut der Finanzmarktaufsicht Finma beträgt die Leverage Ratio der UBS gegenwärtig 3,6%, jene der Credit Suisse 3,7%.
Doch der Schritt komme zu spät, man habe bis zum letzten Moment gewartet, nämlich bis klar war, wie die neuen Kapitalregeln des Bundesrats aussehen würden (siehe Kasten).
«Zu lange wähnte man sich bei der CS auf der sicheren Seite. Als Gewinner der Finanzkrise schien man unangreifbar. Diese Unachtsamkeit, dieses falsche Einschätzen der Entwicklungen, ja dieser Hochmut, rächt sich nun. Die Bank muss im dümmsten Moment frisches Kapital aufnehmen. Eine Position der Stärke sieht anders aus. Statt agieren, muss sie reagieren», so die Aargauer Zeitung
Auch Der Bund und der Tages-Anzeiger meinen: «Der Neustart hätte schon vor zwei Jahren erfolgen sollen – aber das ist nicht Thiams Versäumnis.» Immerhin habe Thiam noch einen kleinen Coup «in petto» gehabt: «Bis zu 30 Prozent der inländischen Einheit, der Credit Suisse (Schweiz) AG, will er an die Börse bringen. Das könnte sich als kluger Schachzug erweisen.»
Tidjane Thiam habe sich mit dem radikalen Umbau viel vorgenommen. Dies werde Zeit beanspruchen, «zumal in einem so widrigen Marktumfeld wie dem heutigen». Fazit: «Die CS-Aktionäre werden viel Geduld aufbringen müssen.»
«Kapitalistische Logik»
Grundsätzlicher betrachtet La Regione Ticino den Umbau und die Entlassungen. «Es wird eine starke Abmagerungskur. In der Schweiz sind bis zu 1600 Arbeitsplätze gefährdet, im Rest der Welt weitere 5000. Das ist die Eigenlogik des Kapitalismus, der immer und mit allen Möglichkeiten versucht, Gewinne zu maximieren und gleichzeitig Kosten einzudämmen.»
«Der Kern der Geschichte – der nicht nur für die Credit Suisse gilt, sondern auf jede wirtschaftliche Tätigkeit ausgedehnt werden kann – ist, dass mit weniger Ressourcen mehr gemacht werden muss. Einfach ausgedrückt, wettbewerbsfähiger und produktiver werden.»
Die Tribune de Genève fragt sich, ob «der Spagat zwischen dem Weiterführen der Schweizer Aktivitäten, eher bescheiden, und der Eroberung der asiatischen Eldorados länger anhalten» wird. «Wird er fruchtbar sein? Antwort in einigen Monaten.»
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