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Touristenvisa-Sperre für Russ:innen spaltet Europa

Grossmünster Touristen
Eine Gruppe russischer Tourist:innen auf Sightseeingtour in Zürich im Jahr 2014. © Keystone / Petra Orosz

In der Schweiz kommt die Idee einer Visa-Sperre für russische Tourist:innen nicht gut an. Wenn die EU unter dem Druck der nördlichen und östlichen Länder eine solche beschliesst, müsste aber auch die Schweiz mitmachen.

Estland und Finnland haben Visa für russische Tourist:innen bereits limitiert; Polen, Lettland und Dänemark fordern einen EU-weiten Stopp. Auch unter deutschen Politiker:innen der Union gibt es entsprechende Voten, wie die Bild-ZeitungExterner Link berichtet, während sich der Bundeskanzler bisher gegen die Sperre aussprach mit dem Argument, es sei nicht der Krieg des russischen Volks, es sei Putins Krieg.

Zentrales Argument für eine Visa-Sperre, wie sie auch vom ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski gefordert wird, lautet: Es gehe nicht an, dass reiche Russ:innen Urlaub in Westeuropa machten, während ihr Land die Ukraine in Schutt und Asche lege. Mit einer Einreisesperre könne die russische Bevölkerung zum Nachdenken gebracht werden, damit sie in der Folge Druck auf das Regime ausübe, so die Hoffnung.

Es zeichnet sich in der EU bei dieser Frage ein Nordost-Südwest-Graben ab. Während die baltischen und skandinavischen Staaten auf Beschränkungen pochen, sind Frankreich, die Niederlande und südeuropäische Länder kritisch.

In der Schweiz gibt es Skepsis

Angefragte Aussenpolitiker:innen in der Schweiz äussern sich ebenfalls skeptisch zu einer Visa-Sperre: «Eine pauschale Visumsverweigerung ist nicht zielführend und würde Putin wohl kaum beeindrucken oder von seinem Kriegszug abhalten», sagt etwa Elisabeth Schneider-Schneiter (Die Mitte). Sie gibt zudem zu bedenken, dass auch viele russische Staatsangehörige in die Schweiz reisen, die dem Regime gegenüber kritisch sind. «Wir sollten die Visaerteilung vielmehr als Chance und nicht als Risiko sehen», so Schneider-Schneiter. «Der Austausch gibt uns die Möglichkeit, den in die Schweiz reisenden Russen aufzuzeigen, was für einen werte- und menschenverachtenden Krieg Putin führt.»

Auch Tiana Angelina Moser (Grünliberale) schreibt auf Anfrage: «Ich bin gegenüber dem Nutzen einer pauschalen Einreise-Sperre skeptisch. Das scheint mir zu pauschal.» Es liege aber auf der Hand, dass die Schweiz hier als Teil des Schengenraums nicht abseits stehen könnte.

«Eine generelle Visa-Sperre für Russ:innen im Schengenraum unterstütze ich nicht», sagt auch Claudia Friedl (Sozialdemokratische Partei). «Es ist Putins Krieg. Hingegen unterstütze ich die gezielten Sanktionen gegen die putinnahen Personen und Oligarchen. Der Krieg darf nicht von uns finanziert werden.»

Ähnliche Worte kommen von Sibel Arslan (BastA/Grüne): Viel wichtiger als eine Visa-Sperre wäre, dass Oligarchen auf die Sanktionsliste kämen und dass die Schweiz diesbezüglich rascher und klarer handle. «Symbolpolitisch ist es aber wichtig, verschiedene Varianten – wie über die Visasperre – zu diskutieren», sagt sie gegenüber swissinfo.ch. Arslan geht jedoch nicht davon aus, dass in der EU eine Visa-Sperre zustande kommt. «Es gibt andere Möglichkeiten, gegen den Aggressor vorzugehen und eine generelle Sperre würde wohl die falschen Leute treffen.» Bevor die EU entscheide, sei es schwierig, aus der Schweiz etwas zu sagen, weil die Schweiz eine solche Sanktion nicht allein treffen könne.

Yvette Estermann (SVP) findet, wer sich ernsthaft um Frieden in Europa bemühe, beschliesse keine neuen Sanktionen, sondern strebe eine Lösung des Konflikts an. «Ich bin  gegen eine solche Massnahme, sie löst keine Probleme, sie schafft dafür neue.»

Christa Markwalder (FDP) schreibt auf Anfrage: «Grundsätzlich bin ich gegen Sippenhaft, denn eine solche Visa-Sperre kann immer auch unbescholtene russische Bürgerinnen und Bürger treffen. Allerdings hat die estnische Premierministerin Kaja Kallas in einem Interview mit der ARD auf den Punkt gebracht: Europa zu besuchen ist ein Privileg und kein Menschenrecht. Das kann  aus westlicher Sicht ein Hebel sein, dem russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine möglichst bald ein Ende zu setzen.»

SRF, Echo der Zeit vom 16.08.2022: Schweiz diskutiert über Visa-Stopp für Russen

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Schweiz wäre ebenfalls betroffen

Ein Entscheid in der EU wird Ende August erwartet. Laut WatsonExterner Link ist die EU-Kommission kritisch; überdies lässt das Erfordernis der Einstimmigkeit das Anliegen als chancenlos erscheinen.

Sollte wider Erwarten ein EU-weiter Visa-Stopp zustande kommen, würde er auch für die Schweiz gelten, die Mitglied des Schengen-Raums ist. Einzig die Ausstellung nationaler Visa für bewilligungspflichtige Aufenthalte von mehr als 90 Tagen bliebe der Schweiz unbenommen, wie das Staatssekretariat für Migration SEM auf Anfrage von swissinfo.ch bestätigt.

Die Schweiz ist bei Russ:innen nach wie vor eine beliebte Destination, trotz des Ukraine-Krieges. Seit Jahresbeginn hat die Schweiz über 7000 Visa an Russ:innen ausgestellt, wie das Staatssekretariat für Migration gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen SRFExterner Link sagte. Damit ist Russland in den Top Ten der Schweizer Visa-Statistik (genauer: auf Platz acht). Die häufigsten Motive für eine Reise in die Schweiz sind: Freunde und Familie treffen, Geschäftsreisen oder touristische Ferien. Im Jahr 2018 besassen allerdings nur etwa 30% der russischen Bevölkerung einen gültigen Reisepass der einen oder anderen Art.

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