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Tunesische Pflegeheime buhlen um Schweizer Betagte

Des séniors dans un hôtel tunisien transformé en EMS
Senior:innen in einem tunesischen Hotel, das in eine Pflegeheim umgewandelt wurde. RTS

Weil Tourist:innen ausbleiben, verwandeln sich immer mehr tunesische Hotels in Pflegeheime. Mit gehobenem Service und drei Mal niedrigeren Preisen richten sie sich speziell an eine Schweizer Kundschaft. Das französischsprachige Schweizer Radio und Fernsehen (RTS) hat diese neuartigen Residenzen besucht.

In der Stadt Hammamet, einem Badeort im Osten Tunesiens, gibt es 160 Hotels. Eines davon ist das Fünfsterne-Hotel Russelior. Dieses ist teilweise in ein Pflegeheim umgewandelt worden und gehört nun zu den Carthagea-Residenzen. In 24 der insgesamt 220 Hotelzimmer werden ältere Menschen betreut.

«Man merkt gar nicht, dass es ein Altersheim ist», sagt Christiane, eine 85-jährige Genferin, die ihren Ex-Mann besucht, der in dem Hotel wohnt.

Sie wollte sich selbst von den Bedingungen überzeugen, unter denen ihr Ex-Ehepartner lebt. Dieser leidet an kognitiven Störungen, die eine tägliche Betreuung erfordern.

>> Die vollständige Reportage in der Sendung Mise au Point von RTS (auf Französisch):

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Personalisierte Betreuung

Die betagten Gäste im Russelior und anderen tunesischen Einrichtungen dieser Art werden von morgens bis abends von persönlichen Mitarbeitenden betreut.

Die vor sechs Jahren gegründeten Wohnheime nehmen hauptsächlich ältere Menschen mit neurologischen Störungen auf. Sie werden von Spezialist:innen überwacht.

Die Hotelzimmer werden nach den Bedürfnissen des einzelnen Gastes entsprechend den Krankenakten eingerichtet.

Dieses personalisierte Angebot, das in Europa nicht üblich ist, kommt gut an bei Senior:innen und deren Angehörigen.

Ein Dutzend Schweizer Familien haben bereits ihre betagten Eltern in diesen tunesischen Pflegeheimen untergebracht, wo mittags Tourist:innen mit den Bewohner:innen zusammenkommen.

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In den Zimmern wurden auch Kameras angebracht, damit die Familien ihre Angehörigen über eine App live sehen können. Laut dem Direktor der Einrichtung, Théophile Cormillot, vermittelt diese Technologie den Angehörigen ein Gefühl von Sicherheit.

Leere Hotels füllen

Wenn viele Menschen aus Europa sich von diesem personalisierten Angebot in Tunesien überzeugen liessen, wäre dies ein Segen für die lokalen Hotels. Viele Gäste blieben Tunesien seit den Krisen wie dem arabischen Frühling oder den Terroranschlägen von 2015 fern.

Deshalb sind Unternehmer:innen auf die Idee gekommen, Wohnanlagen wie die von Carthagea zu entwickeln: «Die Hotels haben über das Jahr gesehen eine Auslastung von weniger als 50% oder sogar nahe 30%. Die Idee war, Win-Win-Partnerschaften anzubieten, indem wir den Hotels eine lineare jährliche Auslastung garantieren», sagt der Geschäftsführer Alexandre Canabal.

Hinzu kommt, dass die Lohnkosten in Tunesien «drei- bis viermal tiefer» sind als in Europa. «Wenn die Angestellten auf europäischem Niveau bezahlt würden, müssten wir die Leistung für 15’000 oder 20’000 Euro pro Monat verkaufen. Das wäre unmöglich», sagt Canabal.

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Ein neuer Schweizer Markt

Seit kurzem haben die tunesischen Residenzen besonders Rentner:innen aus der Schweiz im Visier, weil hier Pflegeheime sehr teuer sind. Carthagea rühmt sich damit, «hochwertige» Leistungen für einen Betrag anzubieten, der deutlich unter jenem der Schweizer Altersheime liegt.

Die Bewohner:innen der tunesischen Einrichtungen zahlen je nach Pflegebedürftigkeit durchschnittlich zwischen 1800 und 2300 Euro pro Monat und erhalten dafür eine persönliche Betreuung. «Hier kostet ein Platz [im Wohnheim] mit Pflege und Verpflegung nur ein Viertel dessen, was man in der Schweiz bezahlen würde», sagt Werner Amsler, ein Rentner aus dem Kanton Zug. Er wohnt jetzt mit seiner an Alzheimer erkrankten Frau in einem Wohnheim in der Hafenstadt Sousse.

Es fällt auf, dass sich viele Seniorenpaare für diese tunesischen Pflegeheime entscheiden. Sie können dort weiterhin gemeinsam leben, auch wenn nur eine Person auf Unterstützung angewiesen ist. Die Lage am Strand ermöglicht es ihnen auch, das Mittelmeer zu geniessen.

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Schweizer Staatsangehörige, die ausserhalb der Europäischen Union leben, verlieren ihre Grundversicherung. Aufgrund von Abkommen mit der Schweiz können sie jedoch der Caisse des Français de l’étranger (CFE) beitreten und sind somit in Tunesien versichert, insbesondere im Falle eines Spitalaufenthalts.

Für Canabal ist dies ein «grosser Fortschritt, der den Schweizer Markt weiterentwickeln wird». Auch andere Anbieter freuen sich über die Neuerung. Einige möchten das Konzept der tunesischen Pflegeheime noch weiter ausbauen und den Mangel an geeigneten Einrichtungen in Frankreich, Belgien oder der Schweiz beheben.

TV-Beitrag: Loïc Delacour, RTS / Adaptierung fürs Web: Isabel Ares, RTS / Adaptiert ins Deutsche: Sibilla Bondolfi

Sibilla Bondolfi

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