Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Die ökonomische Bedeutung des Finanzplatzes wird überschätzt»

Fussgänger und Trams am Paradeplatz in Zürich
Der Zürcher Paradeplatz, wo UBS und CS ihre Hauptsitze haben. © Keystone / Ennio Leanza

Nach dem Ende der Credit Suisse: Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann über die Schweiz und ihre Grossbanken.

Herr Straumann, ist das Ende der geschichtsträchtigen Credit Suisse ein Bruch oder Wendepunkt für die Schweiz?

Tobias Straumann: Es ist zumindest ein Ereignis. Die Credit Suisse war die älteste noch existierende Schweizer Grossbank. Ein bedeutender Wendepunkt ist ihr Untergang aber nicht. Schon in den 1990er-Jahren verschwanden Grossbanken.

Vor gut dreissig Jahren hatte die Schweiz fünf Grossbanken, jetzt bleibt noch eine übrig. Die globale Finanzkrise 2008 mit der Rettung der grössten Schweizer Bank UBS durch den Staat und später der Wegfall des Bankgeheimnisses für ausländische Kunden waren viel heftigere Brüche.

Die UBS retten, die CS zwangsfusionieren: Gleich zweimal musste der Staat in den letzten fünfzehn Jahren strauchelnden Grossbanken zu Hilfe eilen. Dabei ist die Schweiz ein Land, das die freie Marktwirtschaft hochhält. Wie passt das zusammen?

Die Schweiz ist gar nicht so marktwirtschaftlich. Wir haben viele Staatsbetriebe oder Pseudostaatsbetriebe. Im Bankensektor gibt es die Kantonalbanken, das sind auch Staatsbetriebe.

Ausserdem sind Staatsinterventionen für Grossbanken aus meiner Sicht kein Tabubruch mehr. Seit den 1990er-Jahren sehen wir international, wie verletzlich das stark globalisierte und liberalisierte Bankensystem geworden ist.

Tobias Straumann gestikuliert mit der Hand
Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an den Universitäten Zürich und Basel. © Keystone / Marcel Bieri

Dass Staaten immer wieder eingreifen mussten, ist völlig normal geworden. Es geht gar nicht anders, weil es sonst jedesmal eine grosse internationale Finanzkrise gäbe. Auch das Ausland erwartet von der Schweiz, dass von ihr nicht Ereignisse ausgehen, die das ganze Bankensystem anstecken.

Das Parlament wollte aber nach der UBS-Rettung mit dem «Too-big-to-fail»-Gesetz verhindern, dass Staat und Steuerzahlende nochmals so grosse finanzielle Risiken eingehen müssen. Ein böses Erwachen für die Politik?

Als Historiker bin ich weniger überrascht, dass das nicht geklappt hat. In einer Krise braucht man sehr einfache Pläne. Die «Too-big-to-fail»-Regelung war zu kompliziert, nicht erprobt und etwas weltfremd. In so einem Fall sind immer auch ausländische Behörden involviert, die ihrerseits politisch Rücksicht nehmen müssen. Bis sie zustimmen, kann es dauern.

Gewisse Banker:innen scheint nur noch Geldgier anzutreiben, für die sie jedes Risiko eingehen. Wo ist die Unternehmerbank von einst geblieben, die das Land voranbrachte?

Den unternehmerischen Teil gab es bei der CS bis zuletzt. Im Firmenkreditgeschäft machte sie einen sehr guten Job. Es stimmt, die Bankengründer um Alfred Escher im 19. Jahrhundert investierten in die Infrastruktur. Doch das Eisenbahngeschäft war auch schon riskant.

Die Kreditanstalt hatte eine stürmische Entstehungszeit, die Börsenkurse der Eisenbahngesellschaften gingen rauf und runter. Wenn es gut lief, verdienten auch die Banker gut. Lief es schlecht, bezogen sie allerdings keine Boni.

Das ist der Unterschied zu heute. Die Fehler bei der CS geschahen schon auch aus Gier, aber vor allem wegen der Inkompetenz des Verwaltungsrats und des Managements.

Worin lag die Inkompetenz?

Was ab den 1990er-Jahren neu dazukam, war die starke Internationalisierung der Schweizer Grossbanken. Auf den Finanzplätzen London und New York ist es jedoch für ein schweizerisches Management extrem schwierig zu bestehen. Die angelsächsischen Investmentbanker haben eine völlig andere Mentalität, die mit der schweizerischen Geschäftskultur schlecht vereinbar ist.

Zudem arbeiteten oft zweitklassige Banker für die Schweizer Grossbanken in London und New York, die sich wie Söldner verhielten und nur kurzfristig maximalen Profit für sich herausschlagen wollten.

Die UBS hat die CS im Juni übernommen. Kommt das gut mit dieser Riesenbank?

Die neue Grossbank ist kleiner als die UBS vor der Finanzkrise und wird wohl noch ein wenig schrumpfen. Dies nur so zum Vergleich. Aber klar, sie ist immer noch sehr gross, von der Bilanzsumme her doppelt so gross wie das Schweizer Bruttoinlandsprodukt. Ob es gut kommt, weiss ich nicht.

Die Wahrscheinlichkeit, dass auch diese Grossbank einmal ein Problem haben wird und der Staat eingreifen muss, ist jedoch sehr hoch. Eine stärkere Regulierung wird da nicht ausreichen. Das kann man jetzt schon sagen.

Jetzt liegen aber politische Forderungen auf dem Tisch, systemrelevante Banken stärker zu regulieren. Was vermag Bundesbern in globalisierten Finanzmärkten überhaupt noch zu bewirken?

Einiges. Der Staat kann und muss sehr viel machen, wenn es darum geht, Banken zu stabilisieren. Im Falle der UBS hat er es gut gemacht. Die Bank wurde temporär teilverstaatlicht, am Schluss verdiente der Bund gar noch etwas daran. Und die UBS passte ihre Risikokultur an. Bei der Credit Suisse hielten die Behörden nun eine Fusion für sicherer. Ob es die richtige Lösung war, wird sich erst noch zeigen.

Wer oder was ist hauptverantwortlich für den CS-Kollaps?

Das Management und der Verwaltungsrat. Die CS war seit Jahren schlecht geführt. Aber auch die Behörden müssen sich Fragen gefallen lassen. Seit Oktober 2022 wusste man, dass die Bank in einer schwierigen Situation war. Trotzdem dauerte es diesen März nochmals lange, bis ein Rettungsplan stand. Das Ganze wirkte improvisiert, anders als damals bei der UBS. Das hat mich überrascht.

Spiegelungen mit den Markenlogos von UBS und Credit Suisse
Die beiden Markenlogos der Banken UBS und Credit Suisse: Im Juni 2023 hat die UBS die Übernahme der Credit Suisse formell vollzogen. © Keystone / Ennio Leanza

Noch wissen wir nicht genug, um das Behördenverhalten zu beurteilen. Die Parlamentarische Untersuchungskommission wird Erkenntnisse bringen. Die Bank selber sollte jedoch auch etwas beitragen, und zwar von sich aus: mit einem umfassenden Bericht, was bei der CS schiefgelaufen ist. Das ist sie der Schweiz schuldig.

Noch etwas mehr Puffer zu verlangen, also einen höheren Anteil Eigenkapital, fände ich sinnvoll. Aber selbst dann ist die UBS nicht sicher, das muss man einfach wissen. Das globale Finanzsystem ist sehr anfällig. Die CS war angeschlagen, aber so schlecht dran auch wieder nicht. Alle Kennzahlen der Finanzmarktaufsicht waren eingehalten.

Dann passiert irgendwo etwas, und die Ansteckung nimmt ihren Lauf. Staaten können eine Finanzkrise weder voraussehen noch verhindern, nur rechtzeitig eindämmen, um katastrophale Folgen zu verhindern. Festzulegen, wann der richtige Zeitpunkt zum Eingreifen ist, ist jedoch schwierig.

Kann sich die kleine Schweiz angesichts solcher Risiken noch eine global tätige Grossbank leisten?

Es hat Vorteile, am eigenen Finanzplatz eine Grossbank zu haben, die alle Leistungen anbietet. Müsste die UBS nun politisch gewollt die problematischen internationalen Geschäfte abspalten oder würde sie ihren Sitz verlegen, gingen diese Vorteile verloren. Dafür wäre mehr Stabilität gewonnen.

Tobias Straumann argumentiert und zeigt beide Hände
Tobias Straumann. © Keystone / Marcel Bieri

Für gewisse Geschäfte gäbe es ausländische Filialen, ähnlich wie bei der Fluggesellschaft Swiss, die zur deutschen Lufthansa gehört. Es würde gehen. Auch der Wegfall des Bankgeheimnisses hat uns ja überhaupt nicht geschadet. Zürich ist nicht verarmt. Im Gegenteil.

Wie wichtig war es für den Wohlstand der Schweiz, ein internationaler Finanzplatz zu sein?

Die ökonomische Bedeutung wird überschätzt. Die Schweiz wurde mit dem Ersten Weltkrieg zum internationalen Finanzplatz, war aber schon 1914, gerade vor dem Krieg, das reichste Land auf dem europäischen Kontinent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Dafür war vor allem die Industrie verantwortlich. Diese war sehr dynamisch und machte den Wohlstand der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert bis heute aus.

Der Finanzplatz kam erst infolge der Industrialisierung und gewann mit der Vermögensverwaltung eine ganz neue, reichlich sprudelnde Einnahmenquelle. Volkswirtschaftlich hatte dies immer Vor- und Nachteile.

Was waren die Nachteile?

Die hohen Löhne im Bankensektor zogen viele gut ausgebildete Leute an, die dann in anderen, innovativeren Bereichen fehlten. Nun gibt es ohne die grosse Sogwirkung des Bankensektors wieder mehr Raum für andere Branchen und Innovationen. Zürich ist ausserdem als Versicherungsstandort sehr erfolgreich. Dieses Geschäft ist berechenbarer und stabiler. Ich finde, es passt viel besser zur Schweizer Mentalität.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Schweizer RevueExterner Link.

Sehen Sie hier unsere Let’s Talk-Debatte zum Thema:

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft