Prozess einer vergangenen Epoche?
Die UBS und ihre französische Niederlassung stehen ab Montag vor dem Pariser Strafgericht. Der Bank droht eine horrende Busse von fünf Milliarden Euro. Es sei denn, sie wird mangels Beweisen freigesprochen.
Es ist der erste grosse Prozess im neuen Gerichtsgebäude, das im April im 17. Arrondissement in der Nähe der Ringautobahn eingeweiht wurde und das zu einem «Schaufenster» für die Justiz des 21. Jahrhundert werden soll. Die UBS hätte wohl gerne auf diese Ehre verzichtet.
Auf der Anklagebank sitzen die Grossbank, ihre Filiale UBS France sowie sieben ihrer ehemaligen verantwortlichen Mitarbeiter. Der Vorwurf: Geldwäscherei in Verbindung mit Steuerbetrug und illegaler Kundenanwerbung. Der Prozess dauert rund fünf Wochen.
Bei dem Prozess in Paris gehe es um eine Welt von gestern, die Zeit des Bankgeheimnisses, sagt Philippe Kenel, Waadtländer Anwalt für Steuerrecht. Eine Ära, die noch nicht allzu lange zurückliegt. Zwischen 2004 und 2011 sollen die grösste Schweizer Bank und ihre Filiale in Frankreich hunderte französische Kunden auf sehr diskrete Weise bei exklusiven Anlässen angeworben haben. Ziel war es, sie zu überzeugen, ihr Geld am französischen Fiskus vorbei in Genf, Lausanne oder Zürich anzulegen.
Die beiden Untersuchungsrichter Guillaume Daïeff und Serge Tournaire sind keine Unbekannten. Insbesondere Tournaire untersuchte mehrere Fälle, in die der ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy verwickelt war. Überhaupt sind es die «Stars» der Pariser Justiz, die sich zu diesem Prozess einfinden: Die UBS wird durch den Anwalt Jean Veil verteidigt. Er vertrat bereits die französische Geschäftsbank Société Générale oder auch den ehemaligen Minister Jérôme Cahuzac, der wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde.
Mitarbeiterin klagt an
Golfturniere, Jagdpartien in herrlichen Landgütern des Pas-de Calais, Opernabende, Galadiners und Nachmittage am Tennisturnier Roland-Garros: der Kontakt zur französischen Kundschaft, dem «potenziellen Kunden», so die Wortwahl der UBS, wurde während dieser Events geknüpft, und die Kosten übernahm voll und ganz die Bank.
Es dauerte fast zehn Jahre, bis Stéphanie Gibaud, damalige Kommunikations- und Marketingchefin von UBS France, begriff, dass neben dem legalen Vorgehen noch eine Anwerbungsstrategie im Versteckten vor sich ging: Geschäftsleute aus der Schweiz missionierten für ihr Mutterhaus und machten Jagd auf Schwarzgeld.
Im Juni 2008 wird das Büro des Direktors von UBS France durchsucht. Die Vorgesetzten von Gibaud verlangen von ihr, einen Teil ihrer Harddisk wie auch ihre Archive zu zerstören. Sie weigert sich und klagt ein Jahr später gegen ihren Arbeitgeber.
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Schweizer Banken
Gibaud gerät zwischen die Fronten. Auf der einen Seite fühlt sich die UBS France von der unbequemen Mitarbeiterin bedroht. Auf der anderen Seite «benutzte mich der französische Zoll als ihre ‹Agentin› im Unternehmen», erzählt die ehemalige Mitarbeiterin, die auch nach zehn Jahren immer noch sehr mitgenommen wirkt.
«Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin der Bank verfügte über Teilinformationen, ich setzte das Puzzle zusammen», erklärt Gibaud. Sie dachte, dass der französische Staat sie als Whistleblowerin unterstützen würde. «Dieser hat mich jedoch fallengelassen», beklagt sich die ehemalige, heute arbeitslose Kommunikationschefin.
Seltsame «Milchbüchlein»
Andere Mitarbeiter von UBS France berichteten der französischen Justiz von einer parallelen Buchführung mit Hilfe von sogenannten «Milchbüchlein», die von den Kundenberatern geführt werden mussten. Diese Hefte dienten dazu, die Leistungen der Kundenberater zu messen und, laut Anklage, die Höhe der Geldtransfers in die Schweiz zu belegen.
Laut der französischen Justiz beläuft sich die Summe von gewaschenem Geld auf über zehn Milliarden Euro. Während den Einvernahmen bestritten die Verantwortlichen der Bank jegliches illegales Handeln: ein Treffen am Tennisturnier Roland-Garros sei nicht gleich Synonym für Steuerhinterziehung. Und die Milchbüchlein? Das seien lediglich interne Dokumente zur Bewertung der Mitarbeiter.
Die Richter verfügen bloss über Indizien für eine Mitschuld. Beispielsweise die Anzahl der Anpassungen, die steuerpflichtige französische UBS-Kunden mit ihren Steuerbehörden eingegangen sind, seit die Schweiz das Bankgeheimnis auf internationaler Ebene aufgehoben hat: 2015 waren es 2983 mit einem Total an Vermögen von 3,7 Milliarden Euro.
2014 muss die UBS eine Kaution von 1,1 Milliarden Euro bezahlen, weigert sich aber, mit der französischen Justiz einen Deal einzugehen. Sie wird sich nicht durch einen Vergleich freikaufen, um einen Prozess zu umgehen, wie sie dies in den USA mit 230 Millionen Dollar und in Deutschland mit 302 Millionen Euro gemacht hat.
Laut der Zeitung Journal du Dimanche forderte die Staatsanwaltschaft von der UBS 1,1 Milliarden Euro (Summe der Kaution), um ein «gerichtliches Übereinkommen von öffentlichem Interesse» auszuhandeln, mit dem die Bank einen Prozess hätte verhindern können. «Die Busse ist nicht branchenüblich, sie ist ausgesprochen hoch», urteilte Markus Diethelm, damaliger Chefjurist der Bank.
«Man hat genug von dieser Schweiz, die immer nachgibt, sobald man sie bedroht.»
Philippe Kenel, Anwalt
«Üblicherweise verhandelt man über den Verzicht eines Prozesses, um einen Imageschaden zu vermeiden», unterstreicht Anwalt Kenel. «Doch hier ist der Schaden bereits da. In der Schweiz glauben gewisse Akteure aus der Wirtschaft, dass die UBS recht hat, sich zu widersetzen und zu prozessieren. Man hat genug von dieser Schweiz, die immer nachgibt, sobald man sie bedroht.»
Mangel an Beweisen?
Wenn die UBS verurteilt wird, müsste sie bis zu 50% der Gesamtsumme des gewaschenen Geldes bezahlen, das wären rund fünf Milliarden Euro. Oder hofft die UBS darauf, dass die Beweise für einen Schuldspruch der Richter nicht reichen?
Es fehlen Dokumente. Seit 2016 fordert Frankreich von der Schweiz Informationen von rund 45’000 UBS-Konti, die französischen Steuerzahlern gehören. Am 31. Juli 2018 kommt das Bundesverwaltungsgericht aber zum Schluss, dass «die Anforderungen auf ein zulässiges Amtshilfeverfahren nicht erfüllt sind» und lehnt das Amtshilfeersuchen der französischen Steuerbehörde ab. Das Bundesgericht hat das letzte Wort – allerdings erst lange nach dem Prozess.
Die Anwälte der UBS sind bereit, alle gesetzlichen Argumente in die Waagschale zu legen, um der Bank zu einem Sieg zu verhelfen. Ein Beispiel: Die ehemalige Nummer zwei von UBS France, Patrick de Fayet, wünschte ein separates Verfahren, in dem er sich schuldig bekannt hätte. Dieses Verfahren wurde jedoch von den Richtern nicht anerkannt. Der Verweisungsbeschluss, der dem bevorstehenden Prozess zugrunde liegt, wird nicht berücksichtigt. Ist das zulässig?
Die Affäre UBS France in Kürze:
2008 und 2009 erheben entlassene Mitglieder des Kaders von UBS France beim Arbeitsgericht Anklage. Sie prangern die betrügerischen Machenschaften an und verständigen die Aufsichtsbehörde der «Banque de France».
2012 wird gegen die UBS France und die UBS AG wegen illegaler Kundenanwerbung ermittelt.
Der Journalist Antoine Peillon enthüllt in seinem Buch «Ces 600 milliards qui manquent à la France» (Editions du Seuil) die Praktiken der Bank, wie man in der Schweiz einfach Steuern hinterziehen kann.
2013 wird gegen die UBS AG wegen «Geldwäscherei und Steuerhinterziehung in grossem Stil» ermittelt. Sie muss eine Kaution von 1,1 Milliarden Euro hinterlegen.
2014 Stéphanie Gibaud, die den Skandal aufdeckte, publiziert das Buch «La femme qui en savait vraiment trop» (Editions Cherche Midi).
2018, 8. Oktober, Eröffnung des Prozesses in Paris.
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
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