Raoul Weil: «Zu hoch in der Hierarchie, um davon zu wissen»
Raoul Weil war in den 2000er-Jahren die Nummer 3 der UBS. Am Mittwoch verteidigte er sich vor einem Gericht in Paris gegen Vorwürfe von Gesetzesverstössen der Grossbank in Frankreich. "Die Informationen sind nicht bis zu mir vorgedrungen", behauptete Weil.
Zeit für die Schweizer: Nachdem sie Verantwortliche der UBS France angehört haben, konzentrieren sich die Richter des Pariser Strafgerichtshofs nun auf die ehemaligen Kader und Manager der UBS AG, denen illegale Geldbeschaffung und Waschen von Steuerbetrugsgeldern vorgeworfen wird.
Als Erstes ist Raoul Weil dran, der in den 2000er-Jahren als Leiter des Global Wealth Managements die Nummer 3 der Grossbank war. Weisse Strähnen, einen Schal um den Hals, eine Süssgetränk-Dose in der Hand – so stellt er sich der Gerichtspräsidentin. Der Angeklagte Weil hat bereits eine gewisse Erfahrung mit der Justiz.
Führungskräfte vor Gericht
Letzte Woche haben die Richter des Strafgerichts in Paris ehemalige Verantwortliche von UBS France angehört. Unter ihnen Patrick de Fayet, ehemalige Nummer 2 von UBS France.
Im Jahr 2013 wurde der ehemalige Grossbanker in Bologna verhaftet und verbrachte zwei Monate im Gefängnis, bevor er an die USA ausgeliefert wurde. «60 Tage Hölle», erzählt er dem Gericht, seien das gewesen. Anschliessend verbrachte er zehn Monate unter Hausarrest in Florida, mit einer elektronischen Fussfessel. «Meine einzige Genugtuung war, vom Bundesgericht von Fort Lauderdale nach einer Stunde Beratung freigesprochen zu werden», sagt Raoul Weil.
Die französische Justiz macht ihm ähnliche Vorwürfe wie zuvor die amerikanische, nämlich dass er die UBS France als «Schaufenster» benutzt habe, um Kunden in die Schweiz zu locken.
Er wettert gegen seinen Übersetzer
Vor dem Pariser Gericht spricht der deutschsprachige Weil Englisch, was ihm bereits in Florida recht gut gelungen ist. Während drei Stunden verlor er nur einmal die Beherrschung, als er gegen seinen Übersetzer wetterte, der offensichtlich mit Wirtschaftsenglisch wenig vertraut ist. In der Sache versuchte das ehemalige Mitglied des Topkaders, die Richter davon zu überzeugen, dass die Geschäftslogik der 2000er-Jahre weit davon entfernt war, Kunden in die Schweiz locken zu wollen.
Der Fall UBS France
2008-2009: Entlassene Führungskräfte der UBS France reichen bei Arbeitsgerichten Klage ein. Sie prangern betrügerische Praktiken an und allarmieren die Bankenaufsichtsbehörde.
2012: Gegen UBS France und UBS AG wird wegen illegaler Kundenakquisition ermittelt. Der Journalist Antoine Peillon deckt in seinem Buch «Ces 600 milliards qui manquent à la France» (Editions du Seuil) Praktiken der Bank auf, die eine Steuerflucht in die Schweiz erleichterten.
2013: Gegen die UBS AG wird wegen eines schweren Falls der Geldwäscherei von Steuerbetrugsgeldern ermittelt. Sie musste 1,1 Milliarden Euro Kaution zahlen.
2014: Stéphanie Gibaud, die den Skandal aufdeckte und in ihrem Buch «La femme qui en savait vraiment trop» (Editions Cherche Midi) veröffentlichte.
2018: Eröffnung des UBS-Prozesses am 8. Oktober in Paris.
Damals sei der französische Markt rasant gewachsen, sagte Weil. Gleichzeitig habe sich der Schweizer Auslandsmarkt – französische oder europäische Kunden, die bereits Konten in der Schweiz besitzen – eher in einer «Konsolidierungsphase» befunden. Die Konsequenz: UBS France hatte ein grosses Interesse, neue Kunden zu finden, während die UBS AG eher versuchte, die bestehenden Grosskunden zu behalten und deren Erträge zu steigern.
Zwei verschiedene Logiken also. Gut. Aber wenn das so ist, fragt die Gerichtspräsidentin, Christine Mée, warum wurden in den Jahren 2004 bis 2008 Synergien und Kooperationen zwischen den beiden Unternehmen entwickelt, in zahlreichen Seminaren, die häufig von Weil geleitet wurden? «Diese Synergien konzentrierten sich vor allem auf die Ausbildung, die Kundenberatung und das Management», antwortet Weil. «In Wirklichkeit», so Weil weiter, habe es keine Synergien gegeben. «Der Kundenberater ist ein egozentrisches Tier, das die Kunden als sein Eigentum betrachtet.» Fälle von Kollegen zu erhalten sei ok, aber niemals etwas abgeben.
Zu hoch in der Hierarchie, um alles zu wissen
Die Gerichtspräsidentin bringt präzise Zeugenaussagen vor, von Kadermitgliedern der UBS France, die berichteten, dass zu ihrem Erstaunen Schweizer «Geschäftsführer» um den Sitz der Bank in Paris herumgeschlichen seien. Weil versteckt sich nun hinter seiner hohen Position in der Hierarchie. Nummer 3. Er war für 63’000 Angestellte in rund sechzig Ländern verantwortlich. Diese allfälligen Verstösse seien nicht bis zu ihm vorgedrungen. Die gleiche Antwort gibt er, als die Gerichtspräsidentin ihn an die «Ereignisse» erinnert, die von beiden Unternehmenseinheiten gemeinsam organisiert und an denen manchmal von den Marketingverantwortlichen Listen eingeladener Klienten geteilt wurden.
Ein Name bringt Weil aus dem Konzept: Bradley Birkenfeld, der ehemalige UBS-Mitarbeiter, der die Praktiken der Bank den amerikanischen Behörden gemeldet hat, was zu den rechtlichen Schritten gegen die UBS geführt hat. «Er bezeichnet sich selbst in seinem Buch als Banker von Luzifer. Das ist wohl wahr. Bei meinem Prozess wollte der Staatsanwalt nicht das Risiko eingehen, ihn als Zeugen zu nehmen. Er ist ein unverbesserlicher Lügner», sagt Weil.
Der Staatsanwalt hat Herrn Weil keine grossen Umstände gemacht. Ganz so, als ob er seine Pfeile für jene Führungskräfte der UBS AG reservieren möchte, die in direkterem Kontakt mit Frankreich stehen, insbesondere für jene der Abteilung «France International».
(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)
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