Lukas Hässig: «Die Credit Suisse hat sich selbst zerstört»
Im Dezember letzten Jahres reichte die Credit Suisse eine Strafanzeige gegen die Website Inside Paradeplatz ein und forderte die Löschung von 52 Artikeln sowie 300'000 Franken Schadenersatz vom Herausgeber, dem Journalisten Lukas Hässig. Dann brach die CS an einem Wochenende zusammen. Wer ist schuld daran, und haben die Medien den Untergang der zweitgrössten Bank des Landes beschleunigt?
Gotham City: Vor knapp drei Monaten verklagte Sie die Credit Suisse auf die Löschung von 52 Artikeln, das heisst aller Artikel, die den Namen der Bank enthalten. Sie verlangte auch die Löschung von 200 Kommentaren von Leserinnen und Lesern sowie eines Interviews mit dem Wirtschaftsprofessor Hans Geiger. Ein derart weitreichender Angriff auf ein Medium ist in der Schweiz nicht alltäglich. Was hat die CS Ihrer Meinung nach zu diesem Schritt veranlasst?
Lukas Hässig: Sie sagten mir, sie handelten zum Schutz ihrer Angestellten. Aber dahinter steckte die Absicht, meinen Blog zu zerstören.
Ich erhalte meine Informationen aus verschiedenen Quellen, auch von meinen Leserinnen und Lesern. Mit dem Angriff auf mich wollten sie vor allem diese Quellen zum Schweigen bringen.
Die Credit Suisse zielte auch auf die auf Ihrer Website veröffentlichten Leser:innenkommentare ab. Was steht in diesen Kommentaren?
Einige beschrieben die Bank als Titanic. Was durchaus zutreffend war. Und einige bezeichneten deren Führungskräfte als Idioten, was vielleicht nicht sehr freundlich war.
Aber das ist doch das, was heute allgemein gesagt wird, oder?
Das Veröffentlichen von Kommentaren auf meiner Website ist eine sehr schwierige Aufgabe und eine grosse Verantwortung. Es ist eine Menge Arbeit.
Im Moment warten 1400 Kommentare darauf, veröffentlicht zu werden, und ich muss sie alle lesen. Aber ich kämpfe dafür, meinen Leserinnen und Lesern diese Meinungsfreiheit zu bieten.
*Gotham City
Gotham City wurde von Marie Maurisse und François Pilet gegründet und ist ein auf Wirtschaftskriminalität spezialisierter Newsletter.
Jede Woche berichten die beiden ihren Abonnent:innen über Fälle von Betrug, Korruption und Geldwäsche im Zusammenhang mit dem Finanzplatz Schweiz, die Recherche fusst schwergewichtig auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Gerichtsdokumente.
Einmal pro Monat wählt Gotham City einen Artikel aus, erweitert ihn und bietet ihn den Leser:innen von SWI swissinfo.ch an.
Und es kann passieren, dass Sie sich irren.
Es gibt Grenzen für die freie Meinungsäusserung. Deshalb muss ich alles lesen. Ich tue mein Bestes. Aber natürlich: Ich kann mich auch irren.
Wenn das der Fall ist, dann rufen Sie mich an oder schicken Sie mir eine E-Mail, um mir mitzuteilen, dass ein bestimmter Kommentar gelöscht werden muss. Das tue ich auch, wenn die Äusserungen übertrieben sind.
Aber hier geht es um etwas anderes: Die Credit Suisse wollte eine Publikation zerstören, die in ihrer Branche einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hatte – dank wichtigen Informationen.
«Strafanzeige zu erstatten, war sehr gefährlich, sehr feindselig, und ich würde sogar sagen, sehr unschweizerisch.»
Glauben Sie im Nachhinein, dass der Angriff der Credit Suisse eine Panikreaktion war?
Nein, das war Dummheit und Arroganz. Ich hatte in den letzten elf Jahren einige Gerichtsverfahren aufgrund von Äusserungen, die ich in meinem Blog gemacht hatte.
Aber indem die Credit Suisse neben dem Zivilverfahren auch ein Strafverfahren angestrengt hat, ist sie viel weiter gegangen als alle anderen. Meiner Meinung nach hat sie eine rote Linie überschritten.
Wäre es denn legitim gewesen, einfach 300’000 Franken Schadenersatz zu verlangen – von einem Medium, das von einer einzigen Person herausgegeben wird?
Das ist am Ende ihre Entscheidung. Sie haben ihr Unternehmen, ich habe meines. Es ist zwar Gross gegen Klein, aber Richterinnen und Richter sind normalerweise nicht dumm und wollen in der Regel auch nicht ein kleines Medium zerstören.
Eine Strafanzeige zu stellen, war hingegen sehr gefährlich, sehr feindselig, und ich würde sogar sagen, sehr unschweizerisch. Sie haben einen Staatsanwalt dazu gebracht, einen Journalisten zu kriminalisieren, der Kritik äussert. Und mit ihm die Verfasserinnen und Verfasser von Kommentaren, die sich über diese Bank ärgern.
Seit der Einreichung dieser Anzeige tut der Staatsanwalt alles, was er kann, um die Autorinnen und Autoren aufzuspüren. Das widerspricht völlig der Vorstellung, die ich von diesem Land habe.
Glauben Sie, dass der Angriff wirklich auf die negativen Kommentare abzielte oder eher auf die Unterbindung des Informationsflusses?
Die Führungskräfte der Credit Suisse erhielten in normalen Zeiten zehn Millionen Franken pro Jahr. Es handelt sich um Grossverdiener. Die haben keine Zeit, um blöde Kommentare in einem Blog zu lesen.
Nein, was sie wirklich wollten, war, meine Quellen zum Versiegen zu bringen. Und dafür bekamen sie Unterstützung von einem Staatsanwalt.
Nun ist es die Credit Suisse, die in der Opferrolle ist. Man zeigt mit dem Finger auf die sozialen Netzwerke und die Hetze der angelsächsischen Medien. Die Hand von Uncle Sam.
Wir wissen nicht genug darüber. Was wir meiner Meinung nach vor allem sehen, ist eine sehr unfähige Regierung. Die Schweiz war hoffnungslos schlecht vorbereitet. Was nach all dem, was gesagt und geschrieben wurde, wirklich seltsam ist.
Die Financial Times und Bloomberg berichteten live von den Geheimverhandlungen, die am vergangenen Wochenende im Bernerhof stattfanden. Die Schweizer Medien waren völlig überfordert. Wie kann man das erklären?
Das ist einer der Gründe, warum viele Menschen hier in der Schweiz glauben, dass es eine Hetze gegeben hat. Die Realität ist jedoch, dass bereits im Oktober letzten Jahres klar war, dass sich diese Bank in grossen Schwierigkeiten befand. Man wusste, dass etwas passieren würde, auch wenn niemand sagen konnte, wann.
Vielleicht haben diese Medien einfach den Ernst der Lage erkannt, während die Schweiz und ihre Behörden abwarteten?
Das ist richtig. Und wenn ein Medium zeigt, dass es verstanden hat, bekommt es auch leichter Feedback. Wurden sie trotzdem manchmal gelenkt? Ja, das kann sein. Und die Schweizer Medien? Vielleicht auch.
Nehmen Sie die Neue Zürcher Zeitung. Ich liebe diese Zeitung, ich lese sie jeden Tag. Schauen Sie sich an, wie hart sie heute berichtet. Aber war sie vorher kritisch genug? Nein, sie hätte es aber sein müssen. Sie versteht Englisch.
Die Financial Times ist eine wichtige Publikation. Sie war immer wichtig für den Schweizer Finanzplatz. Es gibt also keine Entschuldigung. Aber es ist die Schweiz. Wir haben immer den Reflex, die Mächtigen zu schützen. Solange, bis alles zusammenbricht.
«Wir sind mit einer politischen Krise konfrontiert. Die Situation, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, zeigt, dass wir der Aufgabe nicht gewachsen sind.»
Am Montagmorgen sind wir mit einer ultimativen Mega-Bank aufgewacht. Welche Folgen wird das haben?
Wir waren schon einmal in dieser Situation, allerdings mit zwei Banken, die zu gross waren, um in Konkurs zu gehen. Seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und dem Beinahe-Zusammenbruch der UBS sind Jahre vergangen, und wir dachten, dass beim nächsten Mal eine Lösung gefunden werden könnte.
Doch seit Sonntag wissen wir, dass dies ein Irrglaube war. Wir haben uns in der Annahme geirrt, dass es möglich ist, eine Bank abzuwickeln. Vielleicht wäre es bei der Raiffeisen im Kanton Thurgau möglich. Vielleicht ist aber auch es schlichtweg unmöglich.
Einige sagen, man hätte die Credit Suisse vorübergehend verstaatlichen sollen. Ja, nur dass es die Schweiz ist. Das Vereinigte Königreich hat es getan, Deutschland auch. Wir haben es nicht getan.
Wir sind ein dezentralisiertes, föderalistisches Land, ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen, seien es intellektuelle oder kommerzielle Ressourcen. Die Regierung ist schwach. Sie will sich stark zeigen, mit Notstandsgesetzen und solchen Dingen. Doch das ist nur der Schein, wie man sieht.
Die Finanzmarktaufsicht war in diesem Fall nutzlos. Das ist keine Überraschung. Nur die Politik kann mit so mächtigen Interessen umgehen. Aber Bundesbern muss stärker werden. Wir sind mit einer politischen Krise konfrontiert.
Die Situation, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, zeigt, dass die Schweiz nicht auf der Höhe der Zeit ist. Wenn die USA uns anrufen und uns sagen können, was wir tun sollen, ist das eine Katastrophe. Wir müssen unbedingt politisch stärker werden.
Wie sieht es mit den Medien aus? Werden sie in der Lage sein, ihre Arbeit gegenüber einer so gigantischen UBS richtig zu machen?
Das hoffe ich doch. Immerhin gibt es auf dem Zeitungsmarkt noch Konkurrenz. Und wenn die grossen Medien nicht mithalten können, gibt es noch die kleinen. Das Problem ist, dass sie leicht zerstört werden können.
Wird die UBS eines Tages gegen ein kleines Schweizer Medium klagen?
Das will ich mir nicht ausmalen.
Wie haben die Leser:innen von Inside Paradeplatz diese Woche reagiert?
Es ist eine neue Situation für mich, denn ich merke, dass viele Leute denken, ich hätte etwas mit dem Fall der Credit Suisse zu tun. Sie sehen mich als einen Zerstörer. Ich wusste, dass einige so denken, aber nicht in diesem Ausmass.
Ich nehme das ernst. Natürlich stimme ich damit nicht überein. Ich denke sogar, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich habe immer und immer wieder versucht, zu warnen. Vielleicht sind nicht alle meine Artikel erstklassig. Aber im Grossen und Ganzen habe ich wirklich versucht, darauf hinzuweisen, dass es ein riesiges Problem gibt.
Als die Führungskräfte der Credit Suisse Strafanzeige gegen mich und die Verfasser der Kommentare erstatteten, waren sie davon überzeugt, dass dies das Richtige war. Die Staatsanwaltschaft Zürich auch. Sie sagten sich: Dieser Blog ist für unser Schicksal verantwortlich, er wird uns unsere Jobs kosten.
Aber wie konnte es dazu kommen? Die Realität ist, dass sich die Credit Suisse selbst zerstört hat. Das ist passiert, weil ihre Führungskräfte nicht verstanden haben, was wirklich vor sich ging. Und ich denke, dass das zum Teil eine Frage der Kultur ist.
Was ist unser Problem in der Schweiz? Warum sind wir nicht in der Lage, Kritik zu akzeptieren, auch wenn sie manchmal brutal ist? Wollen wir wirklich nur eine Meinung haben? Müssen wir immer nett sein und sagen, dass alles in Ordnung ist? Sie wissen, dass das nicht möglich ist. Weil die Welt existiert und Dinge passieren.
Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger
Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger
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