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Überleben Schweizer Uhrenhersteller ein weiteres turbulentes Jahrhundert?

Schweizer Uhrenindustrie soll nicht einzig auf Luxus setzen

Besucher auf der Watches and Wonders GENEVA in Genf, Schweiz
Fondation De La Haute Horlogerie/cyril Zingaro

Der Wert der Schweizer Uhrenexporte ist seit Anfang des Jahres stark angestiegen, angetrieben von der Nachfrage nach hochwertigen Zeitmessern. Eine Situation, welche die prestigeträchtigsten Marken der Branche erfreut, aber die gesamte Uhrenindustrie vor grosse Herausforderungen stellt.

Die Schweizer Uhren ticken unerschütterlich. Krieg in der Ukraine, Massenlockdowns in China, Inflation, fallende Aktienmärkte und stark schwankende Kryptowährungen: Kein politischer oder wirtschaftlicher Destabilisierungsfaktor kann den Uhrenexporten etwas anhaben. Zwischen Januar und Mai stieg der Wert der Exporte um fast 13% im Vergleich zum Jahr 2021, das bereits ein Rekordjahr für die Branche war.

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Der Anstieg der Exporte betrifft vor allem das obere Preissegment, also Uhren, die für mehr als 7500 Franken pro Stück verkauft werden. Im letzten Jahr machten diese bereits mehr als 73% des Gesamtwerts der Schweizer Uhrenexporte aus.

Die Gesamtzahl der exportierten Modelle blieb seit Jahresbeginn nahezu unverändert (+2,3%), wie aus den vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) zusammengestellten DatenExterner Link hervorgeht.

«Diese Begeisterung für die gehobene Uhrenindustrie ist beispiellos», sagte Olivier Müller, Uhrenberater bei «LuxeConsult», anlässlich eines Rundtischgesprächs über die Zukunft der Uhrenindustrie, das Mitte Juni auf der Messe für Unternehmen und Berufe der Uhren- und Schmuckindustrie, der Mikrotechnik und der MedizintechnikExterner Link (EPHJ) in Genf veranstaltet wurde. 

Rundtischgespräch mit Männern
Wird die Schweizer Uhrmacherei bald nur noch aus hochwertigen Uhren und Sammlerstücken bestehen? So lautete der Titel einer Podiumsdiskussion, die am 15. Juni auf der EPHJ in Genf stattfand. swissinfo.ch

Spekulation und Anstieg des Preisniveaus

Positiv sei, dass sich viele junge Leute wieder für «Swiss Made»-Luxusuhren interessierten, so Müller. «Aber auf der anderen Seite ist ein ungesundes Spekulationsphänomen zu beobachten, bei dem Käufe nur getätigt werden, um Wertsteigerungen auf dem Sekundärmarkt zu erzielen. Dies führt zu viel Frustration bei denjenigen, die diese Uhren wirklich erwerben und tragen möchten.»

Das Interesse konzentriert sich vor allem auf die Flaggschiffmodelle der «Big Four», d.h. der vier unabhängigen Marken Rolex, Patek Philippe, Audemars Piguet und Richard Mille, die mehr als die Hälfte der Gewinne der Branche erwirtschaften.

Romain Rea, ein Uhrenexperte des Genfer Auktionshauses AntiquorumExterner Link, sagte: «Wir haben schon früher einen solchen Hype um gebrauchte Modelle erlebt, aber es ist das erste Mal, dass er bei neuen Modellen so stark ausgeprägt ist.»

Am anderen Ende des Spektrums, bei den Herstellern von Zeitmessern im unteren und mittleren Preissegment, sind die Nachrichten hingegen weniger erfreulich. Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Gesamtzahl der exportierten Uhren von 30 Millionen Anfang der 2000er-Jahre auf 15 Millionen im Jahr 2021 halbiert.

Die Konkurrenz durch Smartwatches und der Erfolg ausländischer Modemarken (Guess, Puma, Armani usw.) bei der trendbewussten Jugend machen jenen Uhrenhäusern zu schaffen, die unter dem Label «Swiss Made» erschwingliche Uhren herstellen.

Fruchtbarer, aber brüchiger Boden

In den Augen von Müller kann die Uhrenindustrie jedoch nicht allein vom High-End-Segment leben. «Sie braucht eine starke industrielle Basis. Sie braucht Volumen, um die Investitionen zu amortisieren», sagte er am Runden Tisch.

Nach dem Vorbild von Rolex oder der Swatch Group wird denjenigen Uhrenmarken und -konzernen eine grosse Zukunft vorausgesagt, die über genügend Finanzkraft verfügen, in eine integrierte interne Produktion (Vertikalisierung) zu investieren. Kleine, unabhängige Marken könnten hingegen unter der Schwächung des industriellen Gefüges leiden.

«Was die Stärke der Schweizer Uhrenindustrie ausmacht, ist die Anzahl der hochqualifizierten Spezialistinnen und Spezialisten, die sich in diesem Sektor bewegen. Wir sind auf alle Zulieferer und Selbständigen angewiesen, um diesen fruchtbaren Boden zu bewirtschaften. Die fast ungeteilte Dominanz einiger weniger Marken über die gesamte Branche beunruhigt mich», sagte der Genfer Uhrmachermeister Jean-Marc Wiederrecht.

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Eine starke Industrie sei für alle von Vorteil, auch für die unabhängigen Uhrenhersteller, die einige Dutzend Stück pro Jahr für wohlhabende Liebhaber oder Liebhaberinnen fertigen, sagte Svend Andersen, Mitbegründer der Académie horlogère des créateurs indépendantsExterner Link (Uhrenakademie der unabhängigen Designerinnen und Designer).

«Je mehr Autos Sie haben, die sich ähneln, desto grösser ist die Zahl der Menschen, die einen aussergewöhnlichen Wagen fahren möchten. Bei Uhren ist es genau das Gleiche. Wir erfüllen die Nachfrage von Sammlerinnen und Sammlern, die auf der Suche nach einem Objekt sind, das aus der Masse heraussticht.»

Trotz all dieser Warnungen gehörte das optimistische Schlusswort Kari Voutilainen, einem renommierten finnischen Uhrmachermeister, der im Kanton Neuenburg lebt. «Die Uhr hat etwas Magisches an sich, denn sie ist quasi der letzte mechanische Gegenstand, den wir besitzen. Immer mehr junge Leute interessieren sich wieder für die Schweizer Uhrmacherei, weshalb sie meiner Meinung nach eine glänzende Zukunft vor sich hat.»

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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