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Überleben Schweizer Uhrenhersteller ein weiteres turbulentes Jahrhundert?

Schweizer Uhrenexport knackt Rekord

Die Rekrutierung von qualifiziertem Personal stellt für die Schweizer Uhrenindustrie eine immer grössere Herausforderung dar. Keystone / Anthony Anex

Die Schweizer Uhrenexporte haben im vergangenen Jahr erstmals in ihrer Geschichte die Marke von 24 Milliarden Franken überschritten. Trotz wirtschaftlicher und geopolitischer Unsicherheiten dürfte die Branche ihren positiven Trend auch 2023 fortsetzen.

Nichts bringt das regelmässige Ticken der Schweizer Uhren aus dem Takt. Trotz der Rückkehr der Inflation, der fallenden Aktienmärkte, des Zusammenbruchs der Kryptowährungen und der düsteren Aussichten für das Wirtschaftswachstum erreichten die Uhrenexporte im Jahr 2022 einen neuen Rekord.

Das geht aus den am Dienstag vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) veröffentlichten Zahlen hervor. Ihr Wert stieg im Vergleich zu 2021 um fast 11,4% auf 24,8 Milliarden Franken.

Dieses Wachstum wurde trotz Rückgängen in China (-13,6% gegenüber dem Vorjahr) und Hongkong (-10.5%), dem zweit- bzw. drittwichtigsten Absatzmarkt für den Verkauf von «Swiss Made»-Uhren, erzielt.

Demgegenüber stiegen die Uhrenexporte in 28 der 30 anderen wichtigsten Absatzmärkte der Branche kräftig an. Dies gilt insbesondere für die USA (+26,3%), die wie im Vorjahr den ersten Platz in dieser Rangliste belegen.

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«Viele amerikanische Verbraucher:innen sind mit mehr Ersparnissen als üblich aus der Corona-Krise herausgekommen. Sie waren einer der Hauptmotoren des Wachstums, sei es durch den Kauf von Schweizer Uhren im eigenen Land oder durch Reisen ins Ausland, insbesondere nach Europa», analysiert Jean-Philippe Bertschy, Uhrenexperte bei der Bank Vontobel.

Konsolidierung auf hohem Niveau

Der Löwenanteil des weltweiten Uhrenmarktes entfiel 2022 auf das obere Preissegment: Uhren mit einem Exportwert von über 3000 CHF – was einem Endverkaufspreis von über 7500 CHF entspricht – machten mehr als drei Viertel des gesamten Exportwerts aus.

Die Rückkehr der Inflation (2,8% in der Schweiz und 6,5% in den USA im Jahr 2022) hatte bisher kaum Auswirkungen auf das Portemonnaie der wohlhabendsten Menschen der Welt. Für sie sind  Investitionen in Luxusuhren ein Mittel zur Absicherung gegen den Verfall der Aktienmärkte und anderer Vermögenswerte.

Der seit zwei Jahren zu beobachtende positive Trend dürfte sich 2023 fortsetzen. Das Ende der von China im Rahmen seiner «Null-Covid»-Politik verhängten Masseneinschränkungen und die Rückkehr chinesischer Reisender an die wichtigsten Tourismusziele der Welt dürften den Schweizer Uhrenherstellern zugutekommen.

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Bertschy erwartet für 2023 eine Konsolidierung auf hohem Niveau, wobei die Exporte zwischen 1 und 3% steigen werden.

«China wird natürlich im Rampenlicht stehen und dürfte ein wichtiger Wachstumsmotor sein. Für die europäischen Märkte sind wir hingegen vorsichtiger, insbesondere für Deutschland, Grossbritannien und Italien, die von einer drastischen Energiepreisinflation betroffen sind», betont der Experte.

3000 zusätzliche Arbeitskräfte

Eine weitere Herausforderung für die Schweizer Uhrenindustrie sind die steigenden Energiekosten. Gleiches gilt für die Kosten der von der Branche bevorzugten Rohstoffe Stahl und Kupfer, die im letzten Jahr je nach Legierung zwischen 10 und 20% gestiegen sind.

Vor allem aber braucht die Branche in den nächsten Monaten Arbeitskräfte. Wie viele andere Wirtschaftszweige sieht sich auch die Uhrenindustrie mit zunehmenden Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung konfrontiert.

Die Uhrenunternehmen mussten 2022 3000 zusätzliche Mitarbeitende einstellen, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Die Zahl der Beschäftigten in der Branche liegt nun bei über 60’000, so hoch wie seit Ende der 1970er-Jahre nicht mehr.

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«Die Uhrenhersteller sind in gewisser Weise Opfer ihres Erfolgs geworden. Ein solches Wachstum nach der Corona-Krise war kaum vorhersehbar. Die starke Nachfrage hat den Personalbedarf explodieren lassen», sagt Ludovic Voillat, Generalsekretär des Arbeitgeberverbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (CP).

Ausbildungsoffensive

Die Folge: In den wichtigsten Uhrenregionen des Landes, die sich in den Kantonen der Nordwestschweiz befinden, ist der Rekrutierungspool praktisch ausgetrocknet. Dies gilt auch für das benachbarte Frankreich, aus dem viele der für die Branche wichtigen Arbeitskräfte stammen.

Während sich der Arbeitskräftemangel bisher vor allem auf bestimmte, sehr spezifische technische Berufe bezog, betreffen die Rekrutierungsschwierigkeiten heute alle Bereiche und Qualifikationsniveaus. «Die Automatisierung schreitet in unserer Industrie voran, aber das menschliche Know-how ist für die Herstellung hochwertiger Zeitmesser nach wie vor unerlässlich», stellt Voillat fest.

Der Arbeitgeberverband schätzt, dass bis 2026 allein in den technischen Berufen fast 4000 zusätzliche Fachkräfte ausgebildet und eingestellt werden müssen. Zahlreiche Ausbildungsinitiativen wurden bereits gestartet, aber es wird dennoch schwierig sein, den Mangel schnell zu beheben.

Ludovic Voillat macht sich trotzdem keine Sorgen: «Die Uhrenindustrie ist sich seit langem bewusst, wie wichtig die Weitergabe von Know-how ist. Sie bietet heute moderne und attraktive Arbeitsbedingungen, die sie im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte mit Arbeitgeber:innen aus anderen Wirtschaftszweigen in eine gute Position bringen.»

Übertragung aus dem Französischen: Melanie Eichenberger

Melanie Eichenberger

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