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Wie lässt sich eine jahrhundertealte Uhrenmarke wiederbeleben?

Der Stand der Bieler Marke Milus an der letzten Uhrenmesse Baselworld im März 2019. Keystone / Georgios Kefalas

Uhrenmarken haben nicht immer eine langwierige, ruhige Geschichte. Die 1919 gegründete Milus zum Beispiel wurde 2003 von chinesischen Investoren gekauft und dann klinisch unbrauchbar gemacht. Inzwischen ist die Traditionsmarke wieder lanciert worden, auf neuer Grundlage, die sich von der eigenen Vergangenheit inspirieren lässt. Ein Treffen mit dem neuen Chef, Luc Tissot.

«Ich bin sicherlich der erste Schweizer, der eine Uhrenmarke von chinesischen Uhrenindustriellen kauft», sagt Luc Tissot mit einer Brise Humor. Der 82-Jährige, der letzte Nachfolger der Tissot-Dynastie, welche die berühmte Neuenburger Uhrenmarke gleichen Namens gegründet hatte, hat fast nichts von seiner Begeisterung verloren.

Seit 2016 ist Luc Tissot der neue Chef des Bieler Uhrenherstellers MilusExterner Link, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert.

«Ehemalige Führungskräfte haben einen grossen strategischen Fehler gemacht, als sie sich im prestigeträchtigen Luxussegment positionieren wollten.»
Luc Tissot, Patron von Milus

Milus wurde 1919 von Paul William Junod gegründet und hat sich bei Liebhabern des feinen Uhrenhandwerks einen guten Ruf erworben. Zu beliebtesten Sammlerstücken gehören etwa die Snow Star, die im Zweiten Weltkrieg Teil des «Überlebenskits» für amerikanische Piloten war, oder Archimedes, eine Taucheruhr aus den 1970er-Jahren.

Strategischer Fehler

Milus war während drei Generationen ein Familienunternehmen. Aber 2003 wurde es an chinesische Investoren verkauft. Zunächst befand sich die Bieler Marke in den Händen der Peace Mark Gruppe. 2008 wurde sie vom Mischkonzern Chow Tai FookExterner Link übernommen.

Trotz grosser Investitionen, insbesondere in die Renovierung des Gebäudes, in dem die Marke untergebracht ist, scheiterte das chinesische Abenteuer. «Die ehemaligen Manager haben einen grossen strategischen Fehler gemacht, als sie sich im prestigeträchtigen Luxussegment (5000 bis 30’000 Franken) positionieren wollten. Zuvor hatte Milus sehr schöne Uhren angeboten, aber zu erschwinglichen Preisen (1000 bis 2000 Franken)», sagt Tissot.

Dem chinesischen Investor, der vor allem im Schmucksektor tätig ist, gelang es laut Tissot nicht, die komplexen Herausforderungen der Uhrenwelt zu bewältigen, in der die Symbiose zwischen technischen Entwicklungen und Emotionen für den wirtschaftlichen Erfolg unerlässlich ist.

Auch die Probleme der kulturellen Inkompatibilität zwischen dem schweizerischen und dem chinesischen Management, wie sie bei anderen Uhrenmarken – zum Beispiel Corum oder Eterna – ebenfalls auftraten, haben sich negativ auf die Motivation der Mitarbeitenden ausgewirkt.

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Für den Neuenburger Uhrenindustriellen ist es – nach einer beruflichen Laufbahn, die sich hauptsächlich auf die Medizintechnik konzentrierte (siehe Kasten) – eine Rückkehr zu den Wurzeln. «Geld zu verdienen war nie meine Hauptmotivation. Ich habe mich immer vom Wunsch leiten lassen, das lokale industrielle Erbe und Know-how aufzuwerten. Die Übernahme der Marke Milus, die einen echten historischen Wert hat, steht im Einklang mit dieser Philosophie», betont Tissot.

Umgeben von einem kleinen Team junger Spezialisten will er nun die DNA der Marke wiederbeleben, indem er Uhren in feinster Handwerkskunst mit einem schlichten und eleganten Design und makellosen Oberflächen anbietet, aber zu einem erschwinglichen Preis.

«Wir müssen eine klare Linie haben; eine Milus muss auf den ersten Blick erkennbar sein. Die 100-jährige Geschichte ist unser grosses Kapital. Sie ermöglicht es, uns von neuen Marken abzuheben, die ihr Image von Grund auf neu aufbauen müssen», sagt der Patron.

Ein jahrhundertealtes Start-up-Unternehmen

Auf Tradition setzen, ja, aber mit den Werkzeugen von 2019. «Milus ist gewissermassen ein hundertjähriges Start-up», sagt Tissot, der die digitale Revolution als ausgezeichnete Chance betrachtet.

Dank des wachsenden Online-Handels, der inzwischen auch die Luxus-Uhrenindustrie betrifft, kann Milus die Konsumenten überall auf der Welt erreichen, ohne für einen Platz in den Uhrenläden bezahlen zu müssen. «Wir vernachlässigen die örtlichen Verkaufsstellen nicht ganz. Aber wir verstehen sie eher als Ausstellungsräume, in denen die Kunden ihre Zeitmesser ausprobieren können, bevor sie diese online bestellen», erklärt Tissot.

Luc Tissot engagiert sich weiterhin in Industrieprojekten, die ihn trotz seines fortgeschrittenen Alters faszinieren. swissinfo.ch

Auch im Unternehmen selbst erleichtert die Digitalisierung die Arbeit der Angestellten bei Milus erheblich. Diese sind hauptsächlich für das Design, die Entwicklung und das Marketing der Marke verantwortlich. Die Produktion der verschiedenen Komponenten, die Montage und der Kundendienst werden an Industriepartner im Jurabogen, der Wiege der Schweizer Uhrmacherkunst, ausgelagert. «Dank der Vernetzung sind wir sehr reaktionsschnell und können die Qualität der bestellten Produkte in Echtzeit überprüfen», betont Tissot.

5000 Uhren pro Jahr?

Milus befindet sich heute noch in der Lancierungsphase. Die Verkäufe in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und den USA beginnen «vielversprechend». Aber Tissot hat ehrgeizigere Ziele: nämlich mittelfristig 5000 Uhren pro Jahr zu verkaufen.

Ein Volumen, das Milus zu den wichtigsten unabhängigen «swiss made»-Marken im ohnehin schon sehr stark frequentierten mittleren Preissegment führen würde.

«Wir wollen eine kleine flexible Struktur beibehalten, die es ermöglicht, uns an die Marktentwicklung anzupassen. Und da ich im Moment alleiniger Gesellschafter bin, werde ich den Druck ganz gut aushalten, wenn wir dieses Ziel nicht erreichen», schliesst Tissot mit einem breiten Lächeln.

Ein atypischer Unternehmer

Luc Tissot, ein direkter Nachkomme des Gründers der Uhrenmarke TissotExterner Link, wurde 1937 in Buenos Aires geboren. Einen grossen Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in der argentinischen Hauptstadt.

1962 schloss er sein Studium als Maschinenbau-Ingenieur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) ab. Nach seinem Studium übernahm er die Produktionsleitung der Tissot-Fabrik in Le Locle, im Kanton Neuenburg, wo 800 Mitarbeitende angestellt waren.

1977, inmitten der Uhrenkrise, begann er mit der Herstellung von Herzschrittmachern und gründete die Firma Precimed. Dann gründete er Medos, eine Firma, die das erste programmierbare Ventil für die Behandlung von Hydrozephalus entwickelte.

Seit 2010 leitet er die Tissot Medical Research, ein Unternehmen, das einen Sensor zur Erkennung von Glaukomen mittels einer intraokularen Druckmessung entwickelt. 2016 stellte er sich einer weiteren unternehmerischen Herausforderung und übernahm die Leitung der Uhrenmarke Milus.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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