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Überleben Schweizer Uhrenhersteller ein weiteres turbulentes Jahrhundert?

Warum die Schweizer Smartwatch nicht mit der Apple Watch vergleichbar ist

Nicht weniger als 35 Patente wurden für die Entwicklung des T-Touch Connect Solar angemeldet. RTS

Fast fünf Jahre nach der Apple Watch bringt Tissot die erste Smartwatch mit dem Label "Swiss made" auf den Markt. Was sie kann und was nicht, erklärt Mario El-Khoury, dessen Forschungsinstitut CSEM wesentlich an der Entwicklung der Uhr beteiligt war.

Die Lancierung des ersten Smartwatch-Modells der Swatch Group, dem weltweit grössten Uhrenkonzern, markiert einen wichtigen Meilenstein für den Industriestandort Schweiz. Seit der Markteinführung der Apple Watch 2015 wurden viele Stimmen laut, welche die abwartende Haltung und den fehlenden Innovationswillen der Schweizer Uhrmacher anprangerten, die nur zögerlich in diesen Markt investierten, der heute weitgehend von den nordamerikanischen und asiatischen Elektronik-Giganten dominiert wird.

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Gestern wurde die seit Jahren erwartete erste vernetzte Uhr mit dem Label «Swiss made» offiziell auf dem Schweizer Markt lanciert. In den nächsten Monaten wird sie schrittweise auf den internationalen Märkten eingeführt. Die zur Swatch Group gehörende Marke Tissot hofft, mit diesem Modell, dessen Grundpreis bei 995 Franken liegt, fast 10% ihres Umsatzes zu erzielen. Hinter der T-Touch Connect Solar stecken mehr als sechs Jahre Arbeit, Investitionen von 35 Millionen Franken und die Anmeldung von 35 Patenten.

Die Entwicklung dieses vernetzten Zeitmessers wäre ohne die Unterstützung des Schweizerischen Zentrums für Elektronik und Mikrotechnik in Neuenburg (CSEM), einem auf Technologietransfer in die Industrie spezialisierten Forschungsinstitut mit mehr als 400 Mitarbeitenden, nicht möglich gewesen.

Die T-Touch Connect Solar von Tissot ist die erste vernetzte Uhr, die mit einem eigenständigen, in der Schweiz entwickelten Betriebssystem, dem Swiss Autonomous Low Power System (SwALPS), ausgestattet ist. Alle Teile der Uhr, mit Ausnahme des Armbandes, werden in der Schweiz in Tochtergesellschaften der Swatch Group hergestellt. Sie ist kompatibel mit den mobilen Betriebssystemen iOS, Android und demnächst Harmony OS.

Im Vergleich zu ihren Konkurrenten, den von Huawei, Samsung, Apple oder Tag Heuer entwickelten vernetzten Uhren, bietet die T-Touch Connect Solar nur sehr wenige Funktionalitäten. Sie zeigt lediglich Benachrichtigungen (SMS und Anrufe) in einem relativ kleinen Bereich des Bildschirms an. Offline verfügt sie über die klassischen Funktionen einer T-Touch Solar Expert: ewiger Kalender, Timer, Stoppuhr, Wecker, Wetter und Höhenmesser.  

swissinfo.ch: Was bedeutet die Lancierung der ersten vernetzten Uhr mit dem Label «Swiss made», die in enger Zusammenarbeit mit dem CSEM entwickelt wurde, für Sie?

Mario El-Khoury: Ich bin sehr stolz, und ich denke, alle Kollegen, die an diesem Projekt gearbeitet haben, empfinden das Gleiche. Nicht weniger als 30 Personen waren am CSEM vier Jahre lang an der Entwicklung eines massgeschneiderten Betriebssystems und einer energieeffizienten Solar-Uhr beteiligt. Danach mussten diese Innovationen in das Design einer Schweizer Uhr integriert werden und dann folgte der Schritt vom Prototyp zur Produktionsphase – zwei grosse Herausforderungen!

Einmal mehr haben wir uns engagiert und unseren Auftrag erfüllt, der darin besteht, der Schweizer Industrie die besten Technologien zu erschliessen, die sie braucht, und damit industrielle Arbeitsplätze in der Schweiz zu erhalten. Es ist um so erfreulicher, da dieses erfolgreiche Projekt in einem für die Uhrenindustrie hochsensiblen Bereich erfolgte.

Mario El-Khoury, Direktor des Forschungsinstituts CSEM in Neuenburg. Keystone / Peter Klaunzer

Ist dies Ihrer Meinung nach ein wichtiger Wendepunkt für die Schweizer Uhrmacherei?

Ich werde keine wilden Vorhersagen wagen. Auf jeden Fall denke ich, dass es ein Wendepunkt für die Swatch Group ist, die enorm in die Digitalisierung investieren musste. Dieser smarte Zeitmesser besetzt eine Nische, die sich perfekt in die Geschichte und Tradition der Innovation der Schweizer Uhrenindustrie einfügt.

Die Lancierung der vernetzten Uhr von Tissot kommt fünf Jahre nachdem die Apple Watch auf den Markt gekommen ist. Hinkt die Schweizer Uhrenindustrie nicht bereits hinterher?

Natürlich hätte ich es, wie viele andere, vorgezogen, wenn eine vernetzte Uhr mit dem Label «Swiss made» früher auf den Markt gekommen wäre. Aber es ist falsch zu sagen, dass wir zu spät kommen, denn die Merkmale dieser Uhr, insbesondere ihre Eigenständigkeit durch die lange Laufzeit des Akku, unterscheiden sie von allen anderen, die bereits auf dem Markt sind.

Wir hätten die Entwicklungszeit sicherlich ein wenig verkürzen können, aber die Swatch Group wollte keine Zugeständnisse machen, weder in Bezug auf Ästhetik oder Qualität noch auf die Laufzeit. Die Tissot T-Touch Connect ist kein Produkt, das nach zwei Jahren Gebrauch aus der Mode kommt oder entsorgt werden muss, weil der Mikroprozessor nicht mehr mithalten kann. Sie ist auf Dauer angelegt.

Die vernetzte Tissot bietet im Moment nur sehr wenige Funktionen. Kann sie wirklich mit der Apple Watch oder den Android-Modellen von Samsung oder Huawei konkurrieren?

Äpfel und Birnen kann man nicht vergleichen. Es ist nicht die Aufgabe der Schweizer Uhrmacher, Smartphones herzustellen, die ans Handgelenk passen, oder riesige Mengen zu verkaufen und maximalen Druck auf die Produktionskosten auszuüben.

Die Tissot T-Touch Connect wurde für Personen entwickelt, die eine schöne Schweizer Uhr tragen und dennoch einige Schlüsseldienste wie Nachrichten- und Anrufbenachrichtigungen nutzen möchten. Es ist ein Nischenmarkt, aber einer, der in der DNA der Schweizer Uhrmacher liegt.

Das Betriebssystem ist zudem skalierbar. Es könnte sehr wohl eine Vielzahl anderer Daten (Standort, Route, Temperatur usw.) verwalten, falls entsprechende Apps von Tissot entwickelt werden.

Warum hat die Swatch Group sich für die Entwicklung ihrer vernetzten Uhr an Sie gewandt?

Die Wahl war recht offensichtlich. Neben der geografischen Nähe [das CSEM und Tissot haben ihren Sitz beide im Kanton Neuenburg] sind wir weltweit führend sowohl bei elektronischen Systemen mit geringem Energieverbrauch als auch bei der Gewinnung von Sonnenenergie durch hocheffiziente Photovoltaikzellen.

Die Eigenständigkeit, die Langlebigkeit des Akku, ist das wichtigste Kapital dieser Uhr. Dadurch unterscheidet sie sich am meisten von ihren vernetzten Konkurrenten, die bereits auf dem Markt sind. Die Swatch Group kündigt eine Laufzeit von sechs Monaten an, aber ich bin viel optimistischer: Personen, welche die Vernetzungsfunktionen wenig einsetzen, sollten diese Uhr mehr als fünf Jahre lang benutzen können, ohne sie jemals aufladen zu müssen.

Könnten die Entwicklungen, die es brauchte, um diese vernetzte Uhr zu schaffen, auch in anderen Industriebereichen von Nutzen sein?

Ja, diese vier Jahre Zusammenarbeit mit der Swatch Group haben es uns ermöglicht, unser Wissen über tragbare Objekte weiter zu vertiefen, die nur sehr wenig Energie verbrauchen. Dies könnte z.B. sehr nützlich sein im Bereich von Hörgeräten oder anderen Gegenständen, die man auf sich trägt.

Rita Emch

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