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«Danke für einen Moment des Friedens»

Marc Wilkins mit seiner Frau Olga und der Tochter Matilda
Die Wohnung in der Schweiz ist bis Ende März befristet: Marc Wilkins mit seiner Frau Olga und Tochter Mathilda. zVg

Er war einer der wenigen Auslandschweizer:innen, die in der Ukraine geblieben sind, um zu helfen. Für die Geburt der Tochter ist der Schweizer Filmemacher Marc Wilkins mit seiner Frau in die Schweiz zurückgekehrt. Doch nicht für lange.

Vor einem Jahr ergriffen sie die Flucht. Obwohl sie sich vorgenommen hatten, in Kiew zu bleiben. Als Marc Wilkins und seine Frau Olga am 24. Februar 2022 von Detonationen geweckt wurden, stiegen sie in ihr vollgetanktes Auto und brachen auf. Im Kofferraum ihr Hund und ein Extrakanister Benzin. Sie fuhren über Warschau bis nach Berlin, wo Wilkins› Schwester lebt.

Lange blieben sie nicht in Deutschland – zu gross war das schlechte Gewissen, Freunde und Familie zurückgelassen zu haben. «Wir überlassen unser Zuhause dem Schicksal, und andere verteidigen es jetzt für uns», sagte Wilkins damals zu SWI swissinfo.ch.

Das ganze Ersparte steckt in Kiew

Marc Wilkins ist in der Schweiz geboren und in Deutschland aufgewachsen. Seine Frau, Olga Wilkins, ist Ukrainerin. Sechs Jahre lang lebten sie in Kiew, besassen zwei Wohnungen, eröffneten eine Galerie für zeitgenössische Kunst, investierten viel Geld in verschiedene Projekte. Bis der Krieg ausbrach.

Portrait von Marc Wilkins
Marc Wilkins in seiner Galerie in Kiew – bevor der Krieg ausbrach. Vitaliy Uhov

Kaum in Berlin angekommen, gingen sie wieder zurück. An der polnisch-ukrainischen Grenze wurde ihre Hilfe jedoch nicht gebraucht. So entschied sich das Ehepaar unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, wieder ins Land einzureisen.

Sie seien praktisch die Einzigen gewesen, welche die Grenze in diese Richtung überquerten. «Auf der Gegenfahrbahn kam uns eine 15 Kilometer lange Autokolonne entgegen», sagte Wilkins damals.

Erst konnte er sich alles vorstellen, um dem Land seiner Frau und seiner Wahlheimat in dieser Kriegssituation zu helfen. «Ich wollte der Armee beitreten, mit meinem Auto Leute aus Charkiw evakuieren oder ganz viel auf den Sozialen Medien arbeiten – aber in erster Linie fühlte ich mich verloren und wusste nicht, was tun.»

Er hilft mit seinen Filmen

Dann half er mit dem, was er am besten kann: Filmporträts. Wilkins ist ein bekannter Filmregisseur und Drehbuchautor. Er erschuf in der Folge mit Schweizer Partnern das Projekt #U4Ukraine, das zu Direktspenden aufrief.

Wilkins porträtierte Persönlichkeiten, «die seit Kriegsbeginn ihre Sachen nicht mehr machen können, jetzt aber Unglaubliches leisten.»

Da ist etwa Misha, der mit seiner Kampagne «Papa, believe me»Externer Link die russische Propaganda zu widerlegen versucht. Oder Kseniia, die freiwillige Verteidiger mit warmen Kleidern und Schuhen ausstattet. 50’000 Schweizer Franken konnten dadurch gesammelt werden.

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Arztbesuche mit ständig dröhnendem Luftalarm

Was Wilkins damals noch nicht verriet: Seine Frau Olga war schwanger und ihre Tochter sollte in Kiew zur Welt kommen, so der Wunsch der werdenden Eltern. Doch der Alltag sei geprägt gewesen von Arztbesuchen bei Luftalarm, Drohnen über ihrem Landhaus und besorgten Nachrichten von Freunden.

Erst als Olga Wilkins im achten Monat schwanger war, entschied sich das Ehepaar, Kiew zu verlassen und in die Schweiz zu flüchten. «Ein Leben hinter verbarrikadierten Fenstern und mit ständig dröhnendem Luftalarm ist vielleicht für uns erträglich, aber nicht geeignet für ein Baby», wie Wilkins jüngst in der NZZExterner Link erzählte.

Wenige Tage nach der Ankunft in der Schweiz ist Töchterchen Mathilda zur Welt gekommen. «Ich danke meinem Heimatland, meiner Familie und meinen Freunden für ihre Unterstützung und für einen Moment des Friedens (und stabilen Stroms)», schreibt er kurz nach der Geburt seiner Tochter auf Instagram.

Als Flüchtlinge sehen sich die beiden nicht. Flüchtlinge seien Menschen, die alles verloren hätten, sie dagegen hätten die Wahl gehabt.

Ihre Wohnung in Zürich sei bis Ende März befristet. «Wenn die Frühlingssonne die Dächer der Reytarska-Strasse küsst, werden wir nach Kiew zurückkehren und Mathilda ihren Landsleuten und ihrem wunderbaren Heimatland vorstellen», so Wilkins auf Instagram weiter.

>>>>#U4Ukraine läuft weiter<<<<

 In der kommenden Woche zeigt Wilkins in einer weiteren Serie von Filmen, wie es den Protagonist:innen ein Jahr danach geht. «Es ist berührend zu sehen, wie sie dieses Jahr verändert hat», sagt Wilkins.

Wir veröffentlichen hier exklusiv das erste Video der Serie. Die weiteren Videos finden Sie unter: https://uforukraine.ch/deExterner Link

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