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Ukrainer:innen in der Schweiz: Schwierige Stellensuche

Ukrainerin bei der Arbeit in einer Restaurantküche
Nach Schätzungen der Regierung haben etwa 3% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter mit Status S in der Schweiz eine Arbeitsgenehmigung erhalten. © Keystone / Anthony Anex

Die aus der Ukraine in die Schweiz geflüchteten Menschen möchten arbeiten. Doch gerade die Hochqualifizierten unter ihnen bemühen sich oft vergeblich um eine Stelle. Kreativität und Geduld sind nötig.

Als Olga Faryma nach mehrwöchiger Odyssee gemeinsam mit ihren Töchtern in Polen ankam, hatte die Stellensuche für sie höchste Priorität. «Ein Job ist eine Grundvoraussetzung, wenn man ständig umherzieht und alleinerziehend ist», sagt die 41-Jährige aus Kiew.

Sie suchte in ganz Europa nach einem Job. Schliesslich schickte ihr ein Bekannter einen Link der Berner Fachhochschule (BFH). Auf der Website bot die BFH Unterstützung für ukrainische Forschende an.

Faryma ist zwar keine Forscherin, aber sie führte eine NGO namens «BeHealthy», die Kindern in der Ukraine Grundlegendes zum Thema gesunde Ernährung beibringt. Auf der Website der BFH stiess sie auf einen Professor, der zu ihrem Themenbereich forschte.

Sie schrieb ihm eine E-Mail und erhielt wenige Stunden später eine Antwort. Eine Woche verging, und Faryma war auf dem Weg in die Schweiz, um ein Forschungsprogramm auf die Beine zu stellen, welches die gesundheitlichen Bedürfnisse von Flüchtlingskindern eruieren soll.

Farymas Geschichte ist leider ein seltener Fall. Für die meisten Ukrainer:innen, die in die Schweiz geflüchtet sind, verläuft die Stellensuche sehr harzig.

Am 16. Juni vermeldeten die Behörden, dass mindestens 57’000 Flüchtlinge aus der Ukraine den Status S beantragt hätten. Dieser Status erlaubt ihnen zu arbeiten, im Gegensatz zu Asylbewerber:innen mit einem N-Ausweis, die mindestens drei Monate warten müssen, bevor sie einen Job antreten können.

Nachdem Hanna in London ihren Master of Business Administration erwarb, leitete sie ihr eigenes Marketing-Unternehmen in der Ukraine, das mit Kundschaft in ganz Europa zusammenarbeitete. Als der Krieg ausbrach, kam ihr Geschäft gerade erst in Schwung.

Sie musste fliehen. Innert zwei Wochen machte sie sich gemeinsam mit ihrem 14-jährigen Sohn auf den Weg in die Schweiz. Dieser erhielt die Möglichkeit, für eine Schweizer Wasserball-Mannschaft zu spielen. Sie wohnten zunächst in einer Sportler-Unterkunft in der Westschweiz, heute leben sie in einer Wohnung in Genf.

Zwei Monate nach ihrer Ankunft erhielten sie den S-Status, und Hanna begann mit der Jobsuche. Sie passte ihren Lebenslauf an die Schweizer Verhältnisse an und nutzte ihr Linkedin-Netzwerk, um Stellen zu finden.

Sie verschickte rund ein Dutzend Bewerbungen, erhielt aber nur automatische Antworten. Diese teilten ihr mit, dass sie die Anforderungen nicht erfülle. Sie bewarb sich auch auf ein Inserat, das speziell an Ukrainer:innen gerichtet war, erhielt aber bis heute keine Rückmeldung.

«Wir Ukrainer sind fleissig und lernen schnell. Jeder Arbeitgeber, der uns eine Chance gibt, wird sehen, dass wir gute Mitarbeitende sind», sagt Hanna. Sie habe schon Projekte in verschiedenen europäischen Ländern geleitet, allerdings als selbständige Unternehmerin und nicht als Angestellte. Viele Personalverantwortliche würden das als Hindernis betrachten, ist Hanna überzeugt.

Sie habe Verständnis dafür, dass die Nachfrage nach solchen Stellen gross sei, da Menschen aus ganz Europa in der Schweiz arbeiten könnten. Sie appelliert aber an die Solidarität: «Inmitten all dieser Ungewissheit würde mir ein Job etwas Stabilität geben.»

Sie versucht nun, lokale Veranstaltungen zu besuchen und Facebook-Netzwerke zu nutzen. Sie frischt ihr Französisch auf, das sie vor vielen Jahren gelernt hat. «Es ist wichtig für mich, ein Teil der Gesellschaft zu sein, hilfreich zu sein und etwas beizutragen. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich Vieles tun kann. Ich bin nicht mehr so jung, aber auch noch nicht so alt.»

Offiziellen Angaben zufolge haben aber bislang nur 1500 Ukrainer:innen Arbeit gefunden. Das sind zumindest 500 mehr als Ende Mai. Das Sekretariat für Migration schätzt, dass dies etwa drei Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter entspricht, die wegen des Kriegs in die Schweiz gekommen sind.

«Wenn man bedenkt, dass der Krieg erst vor drei Monaten begonnen hat, ist das ermutigend», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am 1. Juni an einer Medienkonferenz.

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Viele Ukrainer:innen in der Schweiz sind dennoch entmutigt. Trotz der Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften werden sie nicht so rasch eingestellt, wie sie das erwartet hatten.

Kampf um Talente

«Die Schweiz ist nun einmal ein hart umkämpfter Markt», begründet Personalerin und Job-Coach Lidiya Nadych-Petrenko, die in der Ukraine geboren wurde und rund 15 Jahre im Personalwesen eines grossen Konzerns in der Schweiz gearbeitet hat.

«Wann immer in der Schweiz eine Stelle ausgeschrieben wird, bewerben sich viele Menschen, die mehrere Sprachen sprechen und Erfahrung in verschiedenen Bereichen haben. Selbst die Hochqualifizierten aus der Ukraine bringen oft weniger Sprachkenntnisse mit als viele andere Bewerber:innen», sagt Nadych-Petrenko, die ukrainische Arbeitssuchende unentgeltlich berät.

Gemäss einer Umfrage des Online-Portals JobcloudExterner Link vom April, die unter 2000 Ukrainer:innen in der Schweiz durchgeführt wurde, haben rund 75% der Befragten einen Hochschulabschluss, 63% beherrschen Englisch. Allerdings können nur etwa 10% gute Deutschkenntnisse vorweisen, und noch weniger Französisch und Italienisch.

Inna war immer ihr eigener Chef. Nachdem sie ihren Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften erworben hatte, gründete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann ein E-Commerce-Unternehmen. Sie boten in einem Online-Shop Luxusgüter an. Es sei eine sehr beliebte Website in der Ukraine gewesen, sagt sie.

Das Ehepaar war gerade dabei, die Fenster ihres neuen Hauses in einem Kiewer Vorort einzubauen, als die ersten Bomben fielen. «Das Haus war unser Traum – wir gaben unsere gesamten Ersparnisse dafür aus», sagt Inna.

«Ich dachte, dass ich in der Schweiz relativ schnell Arbeit finden würde, da ich eine gute Ausbildung und viel Berufserfahrung vorweisen kann», sagt Inna. «Die Ukraine ist nicht so wohlhabend wie die Schweiz, also muss man in meiner Heimat notgedrungen viel lernen. Ich dachte, meine technischen Kenntnisse würden bei der Stellensuche von Vorteil sein.» Über Deutschkenntnisse verfügt sie nicht. Ein gutes Englisch müsse reichen, dachte sie.

Sie erstellte ein Linkedin-Profil und begann, Bewerbungen zu verschicken. Nach drei Wochen erhielt sie bloss eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Einige Leute sagten ihr, sie sei überqualifiziert, sodass Arbeitgeber befürchten könnten, dass sie schnell kündigen würde. «Man sagte mir, ich solle mich selbstständig machen. Aber ich kenne weder die Sprache noch den Markt», begründet Inna.

Inna erhielt den Status S, der ihr eine selbständige Tätigkeit erlaubt. Aber um ein eigenes Unternehmen gründen zu können, muss sie nachweisen, dass sie über die nötigen finanziellen Mittel verfügt.

Menschen mit dem Status S können jedoch keinen Kredit erhalten. Nun muss sie prüfen, ob ihr noch finanzielle Mittel in der Ukraine zur Verfügung stehen. «Eine weitere Herausforderung ist die Suche nach einer Vorschule für meinen vierjährigen Sohn», sagt Inna.

Sie habe aber auch viel Positives seit ihrer Ankunft in der Schweiz erlebt. Die grösste Inspiration sei die Unterstützung von Frauen. Jemand habe ihr eine Wohnung überlassen und ihr vorgeschlagen, sich mit der Facebook-Seite «Women Rock Switzerland» zu verbinden, wo berufstätige Frauen Unterstützung anbieten. «Die Gruppe gibt mir das Gefühl, dass ich etwas bewirken kann, dass ich genug Kraft habe und alles möglich ist.»

Innas Unternehmen ist fast bankrott. «Wenn ein Krieg tobt, benötigt niemand Luxusschuhe aus Italien» sagt sie. «Ich habe mein altes Leben verloren. Ich hatte den Traum, mein Geschäft zu verkaufen. Nun stecke ich in diesem langwierigen Prozess fest. Arbeit zu haben, bedeutet für mich, auf festen Füssen zu stehen und meine Familie beschützen zu können.»

Eine Tatsache macht zumindest Hoffnung: Die Ukrainer:innen müssen nicht um eine begrenzte Anzahl von Arbeitsgenehmigungen konkurrieren. Das Staatssekretariat für Migration bestätigt auf Anfrage, dass ukrainische Flüchtlinge mit Status S, wie auch andere vorläufig aufgenommene Schutzbedürftige, nicht auf die Quote für ausländische Arbeitskräfte aus Drittstaaten angerechnet werden. Diese Quote macht es für Unternehmen schwierig, Menschen aus Drittländern ausserhalb der Europäischen Freihandelszone einzustellen.

Aber auch wenn die Unternehmen die Wahl haben, fällt diese selten auf Ukrainer:innen. Die Swisscom zum Beispiel teilt auf Anfrage schriftlich mit, dass das Unternehmen noch keine Flüchtlinge aus der Ukraine eingestellt habe, weil die Kandidat:innen nicht den Stellenprofilen entsprochen hätten.

Bei bestimmten Berufen ist es schwieriger als bei anderen. Die meisten Arbeitsgenehmigungen, die Ukrainer:innen bisher erhielten, betreffen das Gastgewerbe, gefolgt von Beratung, IT und Landwirtschaft.

In diesen Bereichen gibt es weniger reglementierte Berufe, und es werden weniger spezifische Qualifikationen oder Ausbildungen verlangt. Während bei vielen Berufen eine gegenseitige Anerkennung mit der EU besteht, ist das bei der Ukraine nicht der Fall.

«Bei reglementierten Berufen wie Anwalt und Ärztin können Personen von ausserhalb der EU nicht einfach im EU-Raum arbeiten. Das schafft definitiv Hürden für Ukrainerinnen und Ukrainer», sagt Urs Haegi von bei der Anwaltskanzlei Vischer, die Flüchtlingen aus der Ukraine kostenlose Rechtsberatung gibt.

Die Kanzlei hat zwei ausgebildete Anwälte aus der Ukraine eingestellt – diese können aber nicht als zugelassene Anwälte arbeiten, weil sie die Schweizer Anforderungen nicht erfüllen.

Globale Unternehmen können leichter Leute einstellen, insbesondere in der Beratung oder in Berufen, die im Homeoffice ausgeübt werden können. Das Beratungsunternehmen KPMG Global hat eine spezielle Plattform eingerichtet, damit sich ukrainischen Kolleg:innen einfacher bei Mitgliedfirmen in anderen Staaten bewerben können.

Die Schweizer Niederlassung zählt fünf Mitarbeitende aus der Ukraine. Einige dieser Stellen sind aber noch immer an einen ukrainischen Vertrag mit entsprechendem Lohn verbunden, der für Schweizer Verhältnisse viel zu tief ist.

Ungewissheit in unsicheren Zeiten

Nicht immer sind es Dinge im Lebenslauf, die Ukrainer:innen bei der Jobsuche im Weg stehen. Manchmal reicht der Umstand, dass sie Flüchtlinge sind. «Viele Arbeitgeber:innen haben immer noch Bedenken, Flüchtlinge zu beschäftigen», sagt Nadych-Petrenko.

«Sie fragen sich, wie lange diese Menschen in der Schweiz bleiben und ob sie emotional überhaupt in der Lage sind, den Job auszuführen. Der Krieg in der Ukraine ist nicht zu Ende, das heisst, die Flüchtlinge sorgen sich um ihre Familie und Heimat. Das ist ja auch völlig normal.»

Eine Folgeumfrage von Jobcloud bestätigt, dass viele Arbeitgeber:innen so denken. Christelle Perret-Huwiler, PR-Managerin bei Jobcloud, erklärt, dass viele Befragte die Sorge geäussert hätten, dass «die Menschen nach Hause zurückkehren wollen, dass sie durch den Krieg traumatisiert sind oder zu viel Unterstützung durch das Unternehmen ausserhalb der Arbeit benötigen».

Es gibt auch Firmen, die Vorbehalte haben, weil sie finden, dass Flüchtlingen aus anderen Ländern nicht die gleichen Chancen eingeräumt werden wie Ukrainerinnen und Ukrainern.

Zudem herrscht noch immer Unsicherheit über den S-Status und was dieser genau bedeutet. Die Behörden versuchen, die Geflüchteten auf verschiedene Kantone zu verteilen.

Oksana arbeitete rund zwölf Jahre im Pharma-Sektor in der Ukraine, neun davon bei der ukrainischen Tochtergesellschaft einer Schweizer Firma. Oksana wurde mehrmals befördert und leitete zuletzt die Verkaufsabteilung.

Zehn Tage vor Kriegsbeginn teilte das Unternehmen seinen Mitarbeiter:innen schriftlich mit, dass sie einen zusätzlichen Benzinkanister für den Notfall bereithalten sollten.

Einen Tag vor dem russischen Einmarsch hiess es von der Geschäftsleitung, dass die Mitarbeitenden das Land aus steuerlichen Gründen nicht verlassen und aus der Ferne arbeiten könnten. «Sie teilten uns mit, dass es nicht fair wäre, einigen Mitarbeitenden zu erlauben, von ausserhalb des Landes zu arbeiten», berichtet Oksana.

Dann begann der Krieg. Oksana erinnert sich an diesen schicksalhaften Donnerstag. «Ich war so froh, dass die Firma uns angewiesen hatte, Treibstoff zu besorgen. Die Schlangen vor den Läden waren sehr lang.» Oksana fuhr mit ihrem Sohn über Moldawien Richtung Italien. Jemand aus der Schweiz bot ihr schliesslich an, sie aufzunehmen.

Sie schrieb an die Schweizer Unternehmenszentrale, um sich nach Arbeitsmöglichkeiten zu erkundigen. «Sie sagten mir, dass sie den Fall prüfen würden.» Drei Monate später ist Oksana noch immer für die ukrainische Tochtergesellschaft tätig.

Das, bedeutet, dass sie ein ukrainisches Gehalt bezieht, was angesichts der hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz kaum tragbar ist. Oksana wurde zu Sitzungen im Schweizer Büro eingeladen, doch es kam zu keinem Arbeitsvertrag. Oksana vermutet, dass der Konzern so zurückhaltend ist, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.

Ihr Arbeitsvertrag aus der Ukraine läuft jedoch bald ab. Das Unternehmen verpflichtete sich, ihren Lohn bis Ende August zu zahlen. «Was danach geschieht, weiss ich nicht», sagt Oksana. Sie bewarb sich auf zwei Stellen am Hauptsitz und auf weitere 15 bei anderen Firmen in der Schweiz.

Sie habe bislang zwei Vorstellungsgespräche gehabt, aber noch kein Jobangebot erhalten. «Ich habe das Gefühl, dass mein Arbeitgeber versucht, Zeit zu gewinnen, in der Hoffnung, dass sich die Lage in der Ukraine verbessert. Ich würde mir aber klare Ansagen bezüglich meiner Jobaussichten wünschen.»

Die Unsicherheit sei sehr belastend, sagt Oksana, die den Status S erhalten hat. «Ich mache mir grosse Sorgen, dass ich irgendwann meinen Sohn nicht mehr versorgen kann. Ich bin es gewohnt, mich auf mich selbst zu verlassen. Jetzt bin ich mit Dingen konfrontiert, die ich nicht kontrollieren kann», sagt Oksana.

*Name geändert

Doch viele der Jobs befinden sich in Städten wie Zürich und Genf. Ein Arbeitgeber sagte in der Umfrage, dass es «hilfreich wäre zu wissen, ob sich die Kandidat:innen bereits in der Schweiz aufhalten, wenn sie sich bewerben».

Manchmal stimmen auch die Erwartungen nicht überein. Wie der Tages-Anzeiger vor einigen Wochen berichteteExterner Link, wollen viele Flüchtlinge Vollzeit arbeiten, aber viele Jobs sind Teilzeitstellen. Die Schweiz hat nach den Niederlanden den zweithöchsten Anteil an teilzeitarbeitenden Frauen in Europa.

Den richtigen Weg finden

Job-Coach Nadych-Petrenko ist sich sicher, dass sich die Jobaussichten mit der Zeit verbessern werden. Sie ist auch überzeugt, dass die Vorbehalte vieler Arbeitgeber:innen die Menschen aus der Ukraine nicht davon abbringen werden, sich zu bemühen. Sie empfiehlt den Stellensuchenden, nicht-traditionelle Kanäle zu nutzen – so wie das Olga Faryma gemacht hat.

«Wenn Ukrainerinnen und Ukrainer einfach nur ihren Lebenslauf schicken, werden sie wahrscheinlich keinen Erfolg haben, denn es gibt so viele gute Kandidierende», sagt Nadych-Petrenko. Die Ukrainer:innen müssten ihr Netzwerk nutzen: «Die Menschen in ihrem Umfeld, einschliesslich derer, die Flüchtlinge aufnehmen, sind ihre Tür zum Jobmarkt.»

Mehrere Ukrainer:innen sagten auf Anfrage, dass sie beeindruckt seien, dass so viele Menschen bereit seien, für sie Kontakte zu knüpfen, insbesondere in Frauennetzwerken.

«Solche Treffen gibt es in der Ukraine auch, aber wir sehen uns oft als Konkurrentinnen», sagt Inna, die in der Ukraine ihr eigenes E-Commerce-Geschäft betreibt. «Hier in der Schweiz tauschen die Menschen ihre Erfahrungen, Gedanken und Ideen aus. Man versteht sich in erster Linie als Kolleginnen. Das ist ein grosser Unterschied.»

Nadych-Petrenko betont, dass es wichtig sei, Flexibilität zu zeigen und über die langfristigen Vorteile eines Arbeits- oder Ausbildungsaufenthalts in der Schweiz nachzudenken.

Sie rät Zahnärzt:innen zum Beispiel, eine Zeit lang als Assistent:innen in einer Praxis zu arbeiten, um so ihre Fähigkeiten zu erweitern. Diese könnten sie irgendwann in ihre eigene Praxis in der Ukraine mitnehmen.

Iryna lancierte ihre Karriere vor vier Jahren als Praktikantin bei einem globalen Lebensmittelkonzern. Nachdem sie zur Markenmanagerin befördert wurde, plante sie, von ihrem Wohnort Lemberg nach Kiew umzuziehen, wo das Unternehmen ein neues Bürogebäude eröffnete.

Dann brach der Krieg aus, und ihre Schwester, die an einer deutschen Universität studieren wollte, erhielt die Möglichkeit, die Aufnahmeprüfung in Berlin statt in Kiew abzulegen.

Die beiden Frauen, die zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, sowie ihre Mutter, die ebenfalls für einen Lebensmittelkonzern arbeitet, verliessen die Ukraine drei Wochen nach dem Einfall Russlands. Mithilfe eines Arbeitskollegen der Mutter fanden sie eine Wohnung, zunächst in Berlin, dann in der Schweiz.

Sowohl Iryna als auch ihre Mutter arbeiten weiterhin für ihre Unternehmen, allerdings von der Schweiz aus. Sie haben immer noch ihre regulären Aufgaben, konzentrieren sich aber jetzt mehr auf Produkte für die humanitäre Hilfe.

Sie erhalten weiterhin ihr ukrainisches Gehalt. «Wir kommen damit aus, weil wir keine Miete bezahlen müssen. Wir benötigen nicht viel. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Frauen mit kleinen Kindern in der Schweiz leben könnten», sagt Iryna.

Das Unternehmen biete ein wenig finanzielle Unterstützung für alle Angestellten, die innerhalb der Ukraine oder ins Ausland umziehen, sagt Iryna. Sie verbrachte auch einige Zeit im Schweizer Büro des Unternehmens, um Kontakte zu knüpfen.

«Es war immer ein Traum, in die Zentrale zu kommen», sagt Iryna. Von den Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine wird erwartet, dass sie dem Unternehmen täglich über ihren Aufenthaltsort Bericht erstatten.

«Meine Arbeit geht weiter, egal wo ich bin. Ich habe das Glück, für ein globales Unternehmen zu arbeiten, das international gut aufgestellt ist», sagt sie.

Viele Ukrainer:innen sehen auch die Möglichkeit, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Die von SWI kontaktierten Personen sagten, dass sie Telegram-ChatsExterner Link nutzten, um Tipps und Ideen auszutauschen.

Doch nicht nur die Stellensuchenden, sondern auch die Arbeitgeber:innen in der Schweiz müssten flexibel sein, sagt Perret-Huwiler. JobCloud richtete auf Jobs.ch den Hashtag #Jobs4Ukrainians ein, mit dem Unternehmen Stellen kennzeichnen können, die für Ukrainer:innen geeignet sind.

«Die Unternehmen sollten angeben, ob Deutschkenntnisse erforderlich sind oder ob gute Englischkenntnisse ausreichen, um Kandidierende nicht von einer Bewerbung abzuschrecken», so Perret-Huwiler.

Das Technologieunternehmen Scandit kündigte anExterner Link, geeignete Kandidat:innen aus der Ukraine, die sich derzeit in der Schweiz und anderen europäischen Staaten aufhalten, schnellstmöglich zu vermitteln. Das Unternehmen bietet auch finanzielle und rechtliche Unterstützung an, einschliesslich Hilfe bei der Visaerteilung und Wohnungssuche.

Scandit hat bisher 272 Bewerbungen von Menschen erhalten, die aufgrund des Kriegs vertrieben wurden – die meisten davon für Stellen im Ingenieurwesen. Das Unternehmen hat das Einstellungsverfahren angepasst, um Bewerber:innen schneller als sonst eine Rückmeldung zu geben.

Als Olga Faryma in Polen war, machte sie eine Liste mit allen möglichen Jobs, die sie machen könnte. «Ich bin nicht gut darin, Erdbeeren zu pflücken, aber ich weiss, wie man sich um Menschen kümmert», sagt sie. «Wenn sich Dein Leben so schnell ändert, bist Du für Vieles offen.»

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

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