Mit Höchstzahlen gegen die Flüchtlingsströme?
In der Debatte um die Flüchtlingskrise werden die Gräben immer tiefer. Mehrere Länder Osteuropas haben sich darauf verständigt, auf der Balkanroute nur noch eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen durchreisen zu lassen. Über die Einführung von Höchstzahlen wird auch in der Schweiz diskutiert. Während ein Migrationsexperte den Zweck solcher Massnahmen bezweifelt, sind sie für einen rechtsbürgerlichen Parlamentarier überlegenswert.
Slowenien, Österreich, Mazedonien, Serbien und Kroatien wollen auf der Balkanroute täglich nur noch rund 580 Migranten pro Tag durchreisen lassen. Österreich hatte schon früher erklärt, dass das Land pro Tag höchstens 80 Flüchtlinge aufnehmen werde.
Gregor Rutz, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), hat Verständnis, «dass diese Länder auf die Hinterbeine stehen, damit die EU ihre Flüchtlingspolitik überdenkt.“ Die Schmerzgrenze sei erreicht, auch in der Schweiz. Man könne nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen, weil einerseits die Infrastruktur überlastet werde und andererseits der grösste Teil der Migranten kein Asylrecht geltend machen könne.
Aber wenn nur eine begrenzte Zahl von Migranten einreisen darf, bleiben auch Flüchtlinge auf der Strecke, die an Leib und Leben gefährdet sind.
«Um die Migrationsströme einzudämmen, müssen wir politisch andere Signale senden. Dann werden diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, nicht mehr so zahlreich kommen.»
Gregor Rutz meint vor allem die Signale der deutschen Bundeskanzlerin: «Diese sogenannte „Willkommenskultur“ ist problematisch. Es ist nicht der Sinn der Flüchtlingspolitik, dass alle kommen sollen, die Lust haben.»
«Priorität muss die Hilfe vor Ort haben», sagt der SVP-Parlamentarier auf die Frage, ob Frau Merkel sagen sollte, dass die Flüchtlinge alles andere als willkommen seien.
«Man muss den Schleppern das Handwerk legen, indem man die Migrationsströme unterbindet und klar kommuniziert, dass die humanitäre Tradition nicht für Leute bestimmt ist, die sich hier einfach ein schöneres Leben versprechen.»
Die Einführung von Höchstzahlen sei auch für die Schweiz überlegenswert. «Aus unserer Sicht ist es primär einmal wichtig, auf die Einhaltung des Dublin-Abkommens zu pochen.» Die Schweiz habe dem Abkommen vor allem zugestimmt, weil sie sich eine merkliche Entlastung der Migration versprochen habe. «Die Schweiz kann nicht allen anderen Ländern aus der Patsche helfen, die weniger tun als wir», sagt Rutz mit Blick auf den südlichen Nachbarn. «Italien scheint dieses Abkommen nicht zu kennen.»
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«Belastung aber nicht Überforderung»
Für Migrationsexperte Alberto Achermann haben die angekündigten Massnahmen Österreichs in erster Linie symbolischen Gehalt. Was die Regierung damit genau bezweckt, ist ihm ein Rätsel. «Österreich hat zwar tatsächlich sehr viele Asylgesuche. Ein grosses Problem ist aber die Verteilung auf die Bundesländer. Der grösste Teil der Flüchtlinge befindet sich in Wien und Umgebung, weil es auf Bundesebene – anders als in der Schweiz – nicht schon rechtzeitig mit Quoten geregelt wurde», sagt Achermann.
«Die Belastung für Behörden und Bevölkerung ist überall gross, weil es schwierig ist, Plätze zu finden. Aber von Überforderung kann man nicht sprechen. Mir ist in Gemeinden oder Städten niemand bekannt, der deswegen dramatische Situationen erlebt hat.»
Verständnis hat der Migrationsexperte für die Politik der deutschen Bundeskanzlerin. Die Erfahrung mit anderen Flüchtlingsströmen hat gezeigt, dass man Krisen anders lösen kann, als einfach den Deutschen die Schuld zuzuschieben. «Als Frau Merkel gesagt hat, dass Deutschland diese Menschen aufnehmen werde, waren Zehntausende in Ungarn gestrandet – unter misslichsten Bedingungen.»
Wenn sie das hässliche Gesicht gezeigt hätte, so Achermann, wären vielleicht ein paar Tausend weniger gekommen, aber auch viel weniger Helfer mobilisiert worden. «Wer würde Frau Merkel zivilgesellschaftlich unterstützen, wenn sie nur auf Abwehr gemacht hätte? Und welche Folgen hätte dies mittel- und langfristig zum Beispiel auch für die Integration?»
Auch in der Schweiz gebe es eine starke Mobilisierung. Er sei erstaunt, wie viele Leute sich in den Gemeinden engagierten.
Grosse Zweifel hat Achermann, ob sich Schlepperbanden von einer klaren Kommunikation beeindrucken lassen würden. Es sei eine wichtige staatliche Aufgabe, verbrecherische Transporte, bei welchen Menschen an Leib und Leben gefährdet werden, zu unterbinden. «Aber wenn man es effektiv unterbinden will, braucht es vor allem eine internationale Zusammenarbeit», sagt Achermann auch mit Blick auf die rechtsbürgerliche Politik, die solche Bestrebungen bekämpfe. «Ein Alleingang gegen Schlepperbanden führt völlig ins Abseits.»
Armee an die Grenze
Weil der Bund damit rechnet, dass ab Frühjahr wieder mehr Flüchtling die Schweiz erreichen, bringt sich die Armee in Stellung, um das Grenzwachtkorps zu unterstützen. Sie hat deswegen den Wiederholungskurs von 5000 Soldaten – allen voran von Militärpolizisten – verschoben.
Sollte das für die Grenze zuständige Grenzwachkorps wegen eines starken Andrangs von Flüchtlingen überfordert sein, könnte die Armee innerhalb von 48 Stunden bis zu rund 2000 Soldaten aufbieten, hatte Armeechef André Blattmann der Zeitung «Blick» gesagt.
Dass sich Migranten, die jetzt auf der Balkanroute zurückgewiesen werden, andere Wege suchen und vermehrt auch an die Schweizer Grenzen gelangen könnten, hält Achermann für möglich. Aus Medienberichten ist bekannt geworden, dass Schlepperbanden mit in Griechenland blockierten Migranten Kontakte pflegen. «Es wird schwieriger und teurer werden für sie, und man muss sich fragen, welche Flüchtlinge es dann letztlich schaffen. Das hängt von den finanziellen Möglichkeiten und von der Risikobereitschaft der Betroffenen ab. Aber in Griechenland stranden seit Jahren Tausende von Illegalen. Einige werden versuchen, sich mit miesen Jobs durchzuschlagen oder über Italien weiterzukommen.
Einig sind sich der SVP-Politiker und der Migrationsexperte darin, dass für die Flüchtlinge vor Ort mehr getan werden müsse. «Absolut», sagt Achermann, «dann würden viele darauf verzichten, Kopf und Kragen, Ausbeutung und Misshandlung auf der Reise zu riskieren, um nach Europa zu gelangen.»
Unterstützung vor Ort wird nicht erst seit gestern gefordert. Aber welches Budget sind die Politiker bereit, für solche Aktionen einzusetzen? «Als gesagt wurde, dass den Flüchtlingslagern in der Nähe der Konfliktgebiete das Geld ausgeht, haben sich die Menschenströme nach Europa erst richtig in Bewegung gesetzt. Solche Nachrichten halten die Leute, die auch Anspruch auf ein einigermassen würdiges Leben haben, nicht zurück», sagt Achermann.
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