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«Unsere Kundschaft möchte, dass wir in der Schweiz produzieren»

Franziska Tschudi Sauber
Keystone / Gaetan Bally

Zuverlässigkeit und Schweizer Produktion sind für den Geschäftsbereich Medizinaltechnik der Weidmann-Gruppe von entscheidender Bedeutung, wie Konzernchefin Franziska Tschudi Sauber betont. Andererseits wurden in der Sparte Elektrotechnik jüngst 100 Arbeitsplätze ins Ausland verlagert.

Die Weidmann Gruppe mit Sitz in Rapperswil-Jona, Kanton St. Gallen, ist weltweit an rund 30 Standorten präsent. Das vor mehr als 140 Jahren gegründete Unternehmen ist spezialisiert auf technische Produkte und Dienstleistungen.

Der Konzern ist in drei Geschäftsbereiche gegliedert: Electrical Technology (Isolationstechnologie für Transformatoren etc.), Medical Technology (Kunststoff-Spritzgussanwendungen) und Fiber Technology (mikrofibrillierte Zellulose).

Frauen sind in den oberen Etagen der Wirtschaft immer noch stark untervertreten. So sind beispielsweise nur 13% der 20 Unternehmen im Leitindex SMI der Schweizer Börse mit Frauen in Führungspositionen besetzt. In dieser Hinsicht schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich schlecht ab.

swissinfo.ch lässt im Rahmen einer Serie in diesem Jahr Geschäftsführerinnen von weltweit tätigen Schweizer Unternehmen zu Wort kommen. Als Vertreterinnen der Schweizer Wirtschaft sprechen sie über die dringlichsten Herausforderungen, von der Coronavirus-Krise bis zum Platz der Schweiz und ihrer Unternehmen in der Weltwirtschaft.

Im Jahr 2020 erwirtschaftete der Weidmann-Konzern mit 2700 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einen Nettoumsatz von 341 Millionen Schweizer Franken. Interview mit Franziska Tschudi Sauber, Verwaltungsrats-Delegierte und Geschäftsleiterin (CEO) des Familienunternehmens.

swissinfo.ch: Sie haben im Jahr 2001 die Nachfolge Ihres Vaters an der Spitze der Weidmann-Gruppe angetreten. Welche grossen Veränderungen haben Sie seither angestossen?

Franziska Tschudi Sauber: Innerhalb der Weidmann-Gruppe war ich zunächst sechs Jahre lang für die Geschäftsentwicklung verantwortlich. Während dieser Zeit baute ich eine erste Präsenz in mehreren Ländern auf, darunter China und die Ukraine.

Später, als CEO, habe ich diese internationalen Aktivitäten weiterentwickelt, die erheblich gewachsen sind, unter anderem in China und verschiedenen anderen Teilen Asiens.

Zudem habe ich unsere Aktivitäten neu fokussiert, vor allem in unserem ehemaligen Geschäftsbereich «Kunststofftechnik», der nun vollständig auf den medizinischen und pharmazeutischen Markt ausgerichtet ist.

Ich habe hart an der Entwicklung dieser Sparte gearbeitet, die jetzt «Medical Division» heisst. Und schliesslich habe ich eine Managementstruktur mit einem echten Managementteam aufgebaut.

Was würde sich ändern, wenn Ihr Familienkonzern ein börsenkotiertes Unternehmen mit vielen Kleinaktionärinnen und -aktionären wäre?

Die Entwicklung und Herstellung unserer Produkte erfordern oft erhebliche Investitionen, die sich unter Umständen erst nach fünf oder sechs Jahren auszahlen. Zudem ist unser Geschäft sehr zyklisch.

Ich glaube nicht, dass diese beiden Merkmale unseres Geschäftsmodells mit dem Kurzzeitdenken vieler Börsenanlegerinnen und -anleger besonders gut vereinbar sind.

Eine Börsenkotierung würde Ihnen aber mehr Sichtbarkeit verschaffen und es einfacher machen, hochqualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen…

Meine Erfahrung sagt mir das Gegenteil. Gerade wegen der Flexibilität und Langfristigkeit unseres Familienunternehmens sind wir in der Lage, erfahrene Führungskräfte zu gewinnen, die genug haben von grossen börsenkotierten Konzernen!

In unseren industriellen Nischen sind wir sehr bekannt. Deshalb können wir hochkompetente Mitarbeitende anziehen, auch in weit entfernten Ländern wie Japan. Und das alles, ohne in riesige Werbemassnahmen investieren zu müssen, wie es in der breiten Öffentlichkeit gut bekannte, grosse Industriekonzerne tun.

Franziska Tschudi Sauber
Vita D’Agostino

Mit anderen Worten: Kann man davon ausgehen, dass die Weidmann-Gruppe nie an der Börse kotiert sein wird, auch nicht mit einer Aktienmehrheit unter Kontrolle Ihrer Familie?

Auf jeden Fall ist zur Zeit kein Börsengang geplant, aber man soll niemals nie sagen. Mein Bruder, Co-Direktor unserer Sparte Electrical Technology, und ich sprechen von Zeit zu Zeit darüber.

Vielleicht wird die nächste Generation ja eine andere Vision haben. Vielleicht wird eines Tages ein Teil unserer Medizinaltechnik-Sparte an der Börse kotiert sein.

In der Vergangenheit hat Ihr Konzern oft andere Unternehmen gekauft. Welchen Herausforderungen sind Sie bei der Integration all dieser Akquisitionen begegnet?

Es war vor allem mein Vater, der viele Anschaffungen machte. Ich konnte all die Integrationsschwierigkeiten beobachten und kam zum Schluss, es sei besser, eine organische Entwicklung zu bevorzugen. Daher wurden, seit ich das Unternehmen leite, nur einige wenige Firmen erworben, die sich leicht integrieren liessen.

Sie erhalten sicher auch Kaufangebote für Ihr Unternehmen, z.B. von ausländischen Konzernen?

Oft! Aber die Weidmann-Gruppe steht nicht zum Verkauf, auch wenn man – wie schon erwähnt – niemals nie sagen sollte. So verkauften wir zum Beispiel vor sechs Jahren unsere Automobilsparte, weil wir zum Schluss gekommen waren, dass wir nicht die richtige Eigentümerin waren.

Franziska Tschudi Sauber
Weidmann-Group

Sie betonen regelmässig die Bedeutung von Innovationen. Ist die Schweiz auf diesem Gebiet wirklich weltweit führend?

Dank der Rolle, welche die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne sowie die Empa [Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, N.d.R.] spielen, sind wir sicherlich in einer guten Position. Und man darf auch die Stärken der zahlreichen Fachhochschulen nicht vergessen.

«Um unsere Innovationen zu schützen, setzen wir vor allem auf die Qualität unserer Produkte und den innovativen Charakter unserer Fertigungsprozesse.»

Andererseits bedauere ich, dass die staatliche Unterstützung für Innovationsprojekte in der Schweiz viel bescheidener ist als in anderen europäischen Ländern. Und dazu kommt diese Schweizer Kultur, diese Neigung, aus Angst vor einem Scheitern auf Risiken zu verzichten; doch innovative Initiativen sind von Natur aus riskant.

Wie schützen Sie Ihre Innovationen?

Wir haben einige Patente, hauptsächlich im Bereich der Medizinal- und Fasertechnik, sind uns der inhärenten Grenzen dieser Patente aber durchaus bewusst. Um unsere Innovationen zu schützen, setzen wir vor allem auf die Qualität unserer Produkte und den innovativen Charakter unserer Fertigungsprozesse. Und unser Ruf auf den Märkten trägt sein Übriges dazu bei.

Franziska Tschudi Sauber studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern und der Georgetown University in den USA. Sie ist sowohl in der Schweiz als auch in den Vereinigten Staaten als Anwältin zugelassen. Zudem hat sie einen Executive MBA der Universität St. Gallen.

Nach Stationen bei SIG und in der Anwaltskanzlei Lenz & Stähelin trat sie 1995 in die Weidmann-Gruppe ein, die ihrer Familie gehört; seit 2001 ist sie Verwaltungsrats-Delegierte und Geschäftsleiterin (CEO) der Gruppe.

Tschudi Sauber sitzt auch in den Verwaltungsräten einer Reihe wichtiger Organisationen, darunter Economiesuisse, Swissmem und Swiss Life.

Vor nicht allzu langer Zeit hat Weidmann etwa 100 Arbeitsplätze ausgelagert, vor allem in der Produktion. Wie sieht die Zukunft der Produktion in der Schweiz aus?

Die nach Kroatien, in die Ukraine und nach China verlagerten Arbeitsplätze betreffen unseren Elektrobereich. Als Zulieferer folgen wir unserer Kundschaft, denn diese schätzt die geografische Nähe. Aus diesem Grund haben wir auch unsere Aktivitäten in China, Brasilien, etc. aufgenommen.

Da wir in der Schweiz in diesem Elektrobereich keine Kunden haben, ist es für uns schwierig, hier im Land grosse Produktionseinheiten zu unterhalten. Der starke Schweizer Franken und das hohe Lohnniveau machen es noch schwieriger.

Im Gegensatz dazu ist in unserem Geschäftsbereich Medizinaltechnik die Zuverlässigkeit der Lieferkette der entscheidende Faktor. Das heisst, auch unsere Kundschaft im Ausland möchte, dass wir in der Schweiz produzieren. Und sie ist bereit, Schweizer Preise zu zahlen.

Daher bauen wir in Rapperswil eine neue 6000 Quadratmeter grosse Fabrik. Trotz ihres hohen Automatisierungsgrades wird sie – in einer ersten Phase – mindestens 30 neue Arbeitsplätze schaffen.

In welchen Regionen der Welt sehen Sie Ihre Hauptchancen für profitables Wachstum?

Überall, aber nur, wenn man den richtigen Ansatz wählt. Asien ist natürlich ein sehr interessanter Markt. Unsere Produkte sind von Natur aus global, da es kaum noch Barrieren durch technische Standards gibt.

Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen in der Schweiz?

Ich konzentriere mich mehr auf die Entwicklung unseres Konzerns als auf die Rahmenbedingungen in der Schweiz. Dennoch sehe ich die zunehmende Bürokratie und Regulierung in der Schweiz nicht gerne.

So sind zum Beispiel die administrativen Abläufe sehr aufwändig, um für nicht-europäische Staatsangehörige eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Und schliesslich ist die Vermögensbesteuerung – also die Besteuerung des Handwerkszeugs der Unternehmer – wahrhaft unsinnig.

Sie sind die einzige Frau in der Geschäftsleitung. Denken Sie nicht, dass gemischte Teams von Natur aus effektiver sind?

«Nur sehr wenige Frauen bewerben sich auf Führungspositionen in unserem Konzern.»

Ich bin absolut für Vielfalt in Führungspositionen. Es ist wichtig, dass man nicht nur eine Mischung der Geschlechter hat, sondern auch eine gemischte Struktur was Alter, Herkunft und Charakter betrifft. In unserem Konzern beträgt der Frauenanteil in der Geschäftsleitung 20% und im Verwaltungsrat 40%.

Natürlich hätte ich gerne mehr Frauen, vor allem in der Geschäftsleitung. Aber es bewerben sich nur sehr wenige Frauen auf Führungspositionen in unserem Konzern. Wahrscheinlich sind die Arbeitsbelastung und die Häufigkeit der internationalen Reisen kaum vereinbar mit der Belastung einer Familie.

Erfreulicherweise haben wir aber viele Frauen in Führungspositionen in unseren Filialen in der Schweiz und im Ausland, vor allem in den Bereichen Finanzen, Qualitätssicherung und Personalwesen.

Zum Thema unterschiedliche Herkunft: Alle Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung sind entweder Schweizer, deutsche oder amerikanische Staatsangehörige, obwohl der Weidmann-Konzern global aufgestellt ist.

Ja, aber all diese Leute verfügen über zahlreiche Erfahrungen aus der ganzen Welt. Letzten Endes kommt es auf die Weltoffenheit an und nicht auf die Farbe des Reisepasses.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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