Europas erstes Zentrum für Business und Menschenrechte in Genf
Die Universität Genf hat sich zum Ziel gesetzt, die "Hauptstadt des Friedens" zu einer Drehscheibe für verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken zu machen und finanziert das erste Zentrum für Menschenrechte an einer Business School in Europa. Die Direktorin des Zentrums spricht mit swissinfo.ch darüber, wieso sie glaubt, dass Profite und Prinzipien nebeneinander existieren können, und was es braucht, um Unternehmen im Zaum zu halten.
Auch wenn Genf besser bekannt ist für Friedensgespräche und diplomatische Verhandlungen als für grosse Geschäftsabschlüsse ist die Stadt kein Leichtgewicht in Sachen Industrie. Der Kanton Genf ist nicht nur der Geburtsort der Schweizer Uhrmacherei, sondern beherbergt auch Hunderte von multinationalen Konzernen, darunter Rohstoffhändler wie Trafigura und Vitol sowie Konsumgüterriesen wie Procter & Gamble.
Diese Mischung macht Genf zum «naheliegenden Ort für ein Zentrum für Wirtschaft und Menschenrechte», erklärte Mike Posner von der New York University am vergangenen Montag bei der Eröffnung des Zentrums. Er hatte die Idee zu einer solchen Institution vor fünf Jahren bei einem Frühstück im Rahmen des Weltwirtschaftsforums (WEF) erstmals aufgeworfen, nachdem ein ähnliches Zentrum, das weltweit erste seiner Art, in New York gegründet worden war.
Es mag zwar fünf Jahre gedauert haben, bis die Idee in die Realität umgesetzt wurde, doch nun will die Leiterin des Zentrums, Dorothée Baumann-Pauly, in die Zukunft schauen. «In der Schweiz dauert es manchmal lange, bis Dinge passieren, aber wenn es dann soweit ist, sind die Menschen wirklich engagiert», erklärte sie bei der Eröffnung.
Das neue ZentrumExterner Link soll ein Ort des Dialogs und der Forschung sein und sich mit der Frage befassen, wie man globale Menschenrechts-Prinzipien in der Unternehmenspraxis anwenden kann, wobei der Schwerpunkt auf Branchen liegt, die für die Schweiz von Bedeutung sind.
Das Zentrum hat bereits zwei Projekte in Angriff genommen; das erste konzentriert sich auf Eckdaten für den Finanzsektor, das zweite auf den handwerklichen Abbau von Kobalt, das in der Automobil-Industrie für die Produktion von Batterien eine steigende Nachfrage verzeichnet.
swissinfo.ch sprach mit Dorothée Baumann-Pauly über ihre Vision und Gedanken zu einigen der verzwickten Fragen im Zusammenhang mit verantwortungsvollem Wirtschaften.
swissinfo.ch: Es gibt viele Skeptiker der Idee, dass Profit und Prinzipien tatsächlich nebeneinander existieren können. Was macht Sie so überzeugt?
Dorothée Baumann-Pauly: Das so genannte Geschäftsszenario für Menschenrechte ist nicht selbstverständlich. Es braucht eine langfristige Perspektive. Der Respekt der Menschenrechte erfordert von den Unternehmen zwar zunächst Investitionen, macht sie aber langfristig robuster.
So habe ich zum Beispiel gesehen, wie Firmen in der Modebranche beginnen, sich von einem transaktionalen Geschäftsmodell hin zu einem Modell zu entwickeln, das Menschenrechts-Standards in die Einkaufspraktiken integriert und sich auf langfristige Beziehungen zu Lieferanten konzentriert.
Dies ist gut für Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Hersteller in der Kleiderbranche, und auch für Kleidermarken, denn wenn Arbeiter und Arbeiterinnen gesund, qualifiziert und fair bezahlt sind, verbessert dies auch Produktivität und Qualität.
swissinfo.ch: Rohstoffhändler haben bisher nicht die beste Bilanz, wenn es um Menschenrechte geht. Denken Sie, dass sie die Belange der Menschenrechte heute ernster nehmen?
D.B-P.: Ich denke, dass die Rohstoffhandelsbranche in Bezug auf die Übernahme von Verantwortung für die Menschenrechte einen langen Weg zurückgelegt hat. Die Umsetzung fällt aber in den einzelnen Sektoren noch immer sehr unterschiedlich aus.
Das liegt zum Teil daran, dass noch immer nicht klar ist, was von einer Rohstoffhandelsfirma in Bezug auf Menschenrechte erwartet wird. Im letzten Jahr wurden für den Sektor Richtlinien entwickelt, die aber noch viele Fragen offen lassen.
swissinfo.ch: Einer der umstrittensten Teile der Konzernverantwortungs-Initiative ist die Einführung der gesetzlichen Haftung. Sind Sie der Meinung, dass Unternehmen für Handlungen von Geschäftspartnern im Ausland rechtlich haftbar gemacht werden sollten oder reichen freiwillige Anstrengungen aus?
D.B-P.: Die gesetzliche Haftung ist eine Möglichkeit, Firmen für ihr Verhalten im Bereich Menschenrechte zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber weder der einzige Weg, noch ausreichend. Am Wichtigsten ist: Es braucht klare, gemeinsame Industriestandards, an denen man Fortschritte messen kann.
Für Unternehmen ist die gesetzliche Haftung sicherlich ein starke Peitsche. Diese Vorgehensweise führt aber auch dazu, dass Menschenrechtsfragen an Unternehmensjuristen verwiesen werden, die in erster Linie auf die Einhaltung von Gesetzen konzentriert sind.
Es ist aber auch wichtig, dass Unternehmen die Achtung der Menschenrechte als Chance für ihre Geschäftstätigkeit sehen. Dies erfordert Unterstützung und Engagement auf allen Ebenen des Unternehmens. Unabhängig von der gesetzlichen Haftung müssen Firmen in der Lage sein, ihr Engagement für die Menschenrechte umsetzen zu können.
swissinfo.ch: Einige Schweizer Unternehmen sind in vielen Ländern aktiv, in denen die Rechtsstaatlichkeit schwach ist und Verletzungen der Menschenrechte weit verbreitet sind. Was sollten Unternehmen Ihrer Ansicht nach in solchen Situationen tun?
D.B-P.: Angesichts des Zustands der Welt, in der wir heute leben, sind schwache Rechtsstaatlichkeit und schwache Regierungsführung die Norm, nicht die Ausnahme. Unternehmen, die weltweit tätig sind, sind am besten in der Lage, diese Gouvernanz-Lücken mit globalen Standards zu schliessen, die auf den universellen Menschenrechten beruhen. Das ist ein Ansatz, der für Geschäftspartner prinzipientreu, konsistent und vorhersehbar ist.
swissinfo.ch: Einige Kritiker argumentieren, die Zusammenarbeit mit Firmen werde die Probleme nicht lösen und könne nur dazu dienen, deren Ruf zu stärken. Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit im Vergleich zum Aktivismus?
D.B-P.: Es gab schon immer ein Wechselspiel zwischen Zusammenarbeit und Aktivismus. Verschiedene Akteure spielen unterschiedliche Rollen.
Das Genfer Zentrum plant, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, um die wichtigsten Menschenrechts-Fragen, die sich in diesem Bereich stellen, besser zu verstehen und tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Unser Ansatz basiert auf gründlicher Forschung, die Empfehlungen für Unternehmen und Entscheidungsträger sowie Geschäftsmodelle liefern kann, die ein Miteinander von Profiten und Prinzipien möglich machen.
Wir hoffen auch, dass unsere Forschung zur Entwicklung von gemeinsamen Industriestandards beitragen wird. Sind diese einmal entwickelt, wird es nicht mehr ausreichen, sich symbolisch für die Menschenrechte einzusetzen, um das Image eines Unternehmens zu stärken.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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