Ist die Schweiz ein Paradies für Internetpiraten?
Die Schweizer Gesetze in Bezug auf das Herunterladen von urheberrechtlich geschütztem Material sind wesentlich lockerer als in den meisten anderen Ländern. Vor allem kennt die Schweiz keine spezifischen Methoden im Kampf gegen die Internetpiraterie. Daher steht die Eidgenossenschaft sogar auf einer "Schwarzen Liste" der USA. Nun wird an einer Gesetzesrevision gearbeitet.
Wer Brot in einem Supermarkt einkauft, muss an der Kasse bezahlen. Wenn ein Bäcker, der die ganze Nacht gearbeitet hat, nichts für seine Arbeit erhielte, müsste er sich wohl einen neuen Job suchen. Das Gleiche gilt für Personen, die «nicht-materielle Güter» wie Filme oder Musik herstellen.
«Um zu ermöglichen, dass es neue Filme und Autoren gibt, braucht es finanzielle Einkünfte. Die staatlichen Zuwendungen sind nicht ausreichend», sagt Dieter Meier, Direktor von Suissimage, der Schweizerischen Genossenschaft für Urheberrechte an audiovisuellen Werken. Diese Genossenschaft garantiert, dass die Urheber für die Verbreitung ihrer Werke eine finanzielle Entschädigung erhalten.
Schwieriger Kampf gegen Internet-Piraten
Der Schutz des Geistigen Eigentums ist für die Behörden im Internet-Zeitalter allerdings ein schwieriges Unterfangen geworden. Und dies weltweit. Der Kampf gegen die Internet-Piraterie und Sharing-Dienste, über die durch Copyright geschützte Werke hochgeladen und verteilt werden, wird dabei durchaus mit harten Bandagen geführt.
Ein beredtes Beispiel ist die kürzlich erfolgte «Beschlagnahmung» von 152 Streaming-Diensten in Italien. Es zeigt, dass Italien härter gegen Online-Piraterie vorgeht. Im Juli wurde in den USA eine der grössten Peer-to-Peer-Austauschdienste namens «KickassTorrents» geschlossen. Die Strafermittlung gegen den mutmasslichen Betreiber hat im Internet ein Erdbeben ausgelöst.
Gianni Cattaneo, Anwalt und Dozent für Internetrecht an der Fachhochschule der italienischen Schweiz (SUPSI): «In der Schweiz kann jeder Internet-Nutzer urheberrechtlich geschütztes Material für private und persönliche Zwecke herunterladen und verwenden (ausgenommen Software), unabhängig davon, ob die Quelle legal ist oder nicht.
Dieses Recht betrifft auch das Teilen und die Vervielfältigung von Werken, wenn diese einem kleinen Kreis von Personen zugänglich gemacht werden, die enge Kontakte untereinander pflegen. Etwa Verwandte oder Freunde.»
Jedes Land versucht auf eigene Weise mit dem Urheberrechts-Problem umzugehen, das – seiner Natur nach – ein globales Phänomen ist. Die USA führen einen besonders erbitterten Kampf. Das ist kein Zufall. Denn die Exporte der amerikanischen TV- und Filmindustrie sind bedeutend für das Land – rund 16 Milliarden Dollar pro Jahr.
Just die USA haben denn auch die Schweiz im April 2016 auf eine «schwarze Liste» von Ländern gesetzt, die ihrer Meinung nach nicht genug gegen die Internet-Piraterie und somit für den Schutz der Urheberrechte tun.
Dieter Meier von Suisseimage sagt zu den Hintergründen: «Die Film- und Medienindustrie ist in den USA äusserst wichtig. Nicht zum ersten Mal üben sie Druck auf die Schweiz aus, denn sie wollen, dass der Download von urheberrechtlich geschützten Werken als illegaler Akt gewertet wird. Doch schon 2008 haben die Schweizer Gesetzgeber dies abgelehnt.»
In der Schweiz wird die Grenze zur Illegalität erst überschritten, wenn urheberrechtlich geschütztes Material ohne die entsprechenden Bewilligungen an Personen ausserhalb eines engeren Verwandten- oder Freundeskreises geschickt wird. Oder anders gesagt: In der Schweiz ist das Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Inhalten zum Privatgebrauch legal.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Schweiz wesentlich weniger restriktiv. In Italien können beispielsweise Personen, die ein Fussballspiel oder einen Film im Streaming von illegalen Webseiten anschauen, mit einer Busse in Höhe von 152 Euro belegt werden.
Privatsphäre wird geschützt
Die Nutzung der meisten Datendienste Peer-to-Peer, beispielsweise «BitTorrent», ist aber auch in der Schweiz strafbar, weil beim Download der jeweilige File geteilt wird. In einem Urteil von 2010 hat das Bundesgericht, das höchste Schweizer Gericht, aber festgehalten, dass der Schutz der Privatsphäre von Konsumenten schwerer wiegt als das Autorenrecht.
Gianni Cattaneo, Dozent für Internetrecht an der Fachhochschule der italienischen Schweiz (Supsi) und Autor des Buches ‹Introduzione al diritto svizzero dell’informatica e di InternetExterner Link‹ hält fest, «dass die Überwachung von Peer-to-Peer-Nutzern durch die Behörden grundsätzlich illegal ist, weil sie gegen Bestimmungen zum Schutz persönlicher Daten verstösst.»
Die Staatsanwaltschaft schreitet laut Cattaneo nur auf Verlangen von Urhebern ein, die ihre Rechte verletzt sehen: «Und für diesen Urheber ist es nicht leicht herauszufinden, wer die mutmasslichen Straftäter sind und mit (elektronischen) Beweisen aufzuzeigen, dass die eigenen Rechte verletzt werden.»
Diese rechtliche Situation hat gemäss der Schweizerischen Vereinigung zur Bekämpfung der Piraterie (SAFE) de facto dazu geführt, «dass es keine strafrechtliche Verfolgung von Personen gibt, die Copyright-Bestimmungen verletzen». Im Gegensatz zu vielen anderen Industriestaaten verfüge die Schweiz über keine wirksamen Mittel, um dieses Phänomen zu bekämpfen, meint die SAFE.
Konsumenten nicht kriminalisieren
Doch nun wird an Abhilfe gearbeitet. Denn das Problem ist seit einigen Jahren bekannt. Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Direktorin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), hat bereits 2012 unter dem Namen AGUR12 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, welche angesichts der heutigen Internetnutzungen Möglichkeiten zur Anpassung des Urheberrechts aufzeigen soll.
Suisseimage-Direktor Dieter Meier ist Mitglied dieser Arbeitsgruppe. Er möchte die Verursacher, aber nicht die Endabnehmer in die Verantwortung nehmen: «Wir wollen nicht den Kleinkonsumenten hinterher rennen, sondern uns auf die grossen Player konzentrieren, auf die, die den wahren Schaden anrichten.»
«Diese Anbieter verdienen Geld, weil sie Werbung schalten und die Daten ihrer Nutzer verkaufen. Wir wollen, dass diese Quellen ausgemerzt werden. Wenn kein Anbieter da wäre, gäbe es auch keinen Download», so Meier.
Ziel wäre die Ausarbeitung eines Gesetzes, das die Content provider (die Verantwortlichen für die Inhalte von Webseiten) zwingen würde, illegale Inhalte zu löschen und ein Weiterleiten zu unterbinden (das so genannte Take down/Stay down).
SAFE, die Schweizerische Vereinigung zur Bekämpfung der Piraterie: «Die Schweiz muss zu ihrem eigenen Wohlergehen den Schutz des geistigen Eigentums stärken und den internationalen Standards anpassen. Ein gesunder Wettbewerb in den Bereichen Kultur und Unterhaltung ist für alle von Vorteil: für Konsumenten, für Dienstleister in der Sparte Kommunikation, für Künstler und die Kunstindustrie.
Die entsprechenden politischen Prozesse könnten jedoch sehr lange dauern. Auch sind Rechtsstreitigkeiten nicht auszuschliessen, in deren Verlauf sich jedoch die Verantwortlichkeiten der jeweiligen Beteiligten dieses Problems zeigen würden.»
Die Anbieter von Internet-Diensten (Provider) könnten hingegen möglicherweise gezwungen werden, bestimmte Seiten mit Piraten-Material zu sperren. Eine weitere Option wäre, dass die Provider alle Nutzer identifizieren, die Urheberrechtsbestimmungen auf gravierende Weise verletzen, und sie in einem zivilrechtlichen Verfahren zur Verantwortung ziehen. Vorher sollten sie aber zuerst zwei Mal verwarnt werden.
Dieser Ansatz wird auch von der Schweizer Regierung unterstützt, denn auf diese Weise will man eine generelle Kriminalisierung der Nutzer beziehungsweise Konsumenten verhindern. Die Internet-Provider sind allerdings nicht so begeistert von dieser Idee, weil sie in die Pflicht genommen würden, die Nutzer auf bestimmte Sachverhalte hinzuweisen, oder zu kontrollieren, ob bestimmte Inhalte legal sind oder nicht.
Status quo bis 2018
Die Arbeitsgruppe AGUR sollte ihre Beratungen bald abgeschlossen haben. Die Ergebnisse sollten im Februar 2017 bekannt werden Der Gesetzesentwurf hängt natürlich davon ab, zu welchen Schlüssen die Arbeitsgruppe kommt. Das Parlament könnte sich möglicherweise 2018 zur Gesetzesvorlage äussern.
Es bleibt abzuwarten, ob den USA das künftige Gesetz genügen wird, um die Schweiz von der Schwarzen Liste zu streichen. Internet-Experte Cattaneo ist überzeugt, dass der Kampf gegen Internet-Piraterie sich generell eher nach den Schweizer Vorstellungen entwickeln wird. «Wenn die USA erwarten, dass das Streaming und Downloaden von unerlaubten Quellen durch Privatnutzer als illegal betrachtet wird, wird das Problem nicht gelöst werden.»
Soll das Herunterladen von Filmen und Musik für den privaten Gebrauch Ihrer Meinung nach weiterhin legal sein? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren!
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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