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Aus der Traum von Teheran

Ein Arbeiter hängt an Sicherheitsgurten über dem Dach eines Eisenbahnwagens
Das Milliardengeschäft der Firma Stadler Rail mit Iran hängt in der Luft. Keystone

Die Euphorie, mit Iran gross ins Geschäft zu kommen, war von kurzer Dauer. Infolge der neuen US-Sanktionen gegen den Gottesstaat blasen Schweizer Firmen zum Rückzug. In die Lücken springt China.

Noch anfangs März meldeten die Schweizer Botschaft in Teheran und die iranische Nachrichtenagentur IRNA mit Stolz den vermeintlichen Abschluss eines Milliardengeschäfts der Firma Stadler Rail für die Lieferung von fast 1000 U-Bahnwagen nach Iran.

War der Jubel zu früh oder sogar umsonst? Laut einem Bericht der Zeitung «Blick» steht das Geschäft vor dem Aus. Seit US-Präsident Donald Trump das Atom-Abkommen kündigte, sind Geschäfte mit Iran wieder ein Risiko für Firmen, die auf den Goodwill der USA angewiesen sind. Die Firmen stehen zwischen den Fronten zweier verfeindeter Akteure der Weltpolitik.

Stadler Rails Verkaufschef Peter Jenelten liess sich im Blick mit der Aussage zitieren, dass «die Iraner nicht ewig warten können. Den U-Bahn-Auftrag dürften uns deshalb wahrscheinlich die Chinesen wegschnappen».

Die Medienverantwortliche des Ostschweizer Schienenfahrzeug-Bauers, Marina Winder, dementiert gegenüber swissinfo.ch den Zeitungsbericht, aber ohne zu präzisieren, was «nicht korrekt» daran sei. Stadler habe mit der iranischen Organisation für industrielle Entwicklung und Renovation (IDRO) im Februar eine Absichtserklärung, (noch) keinen Vertrag unterzeichnet, so Winder.

«Stadler steht zu diesem Verhandlungsergebnis. Noch steht nicht fest, ob ein möglicher Vertrag mit IDRO von US-Sanktionen betroffen wäre. Selbstverständlich hält Stadler Sanktionen und Handelsembargos ein», teilt der Schienenfahrzeug-Bauer mit.

Entweder Iran oder USA

Der ehemalige Schweizer Botschafter in Teheran und amtierende Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-Iran, Philippe Welti, erklärt das Dilemma, in dem alle global ausgerichteten Firmen stecken, die mit der zweitgrössten Volkswirtschaft des Nahen Ostens Geschäfte machen.

Was jetzt in der Exportwirtschaft passiere, sei nur noch Risikoabwägung: entweder das Iran-Geschäft aufgeben oder happige Strafen riskieren und den langen Arm der US-Wirtschaftsmacht zu spüren bekommen. «Diese Rechnung ist für die meisten Firmen schnell gemacht.» Immer mehr europäische Firmen brechen ihre Zelte ab. «Ein Mitglied unserer Wirtschaftskammer sagte mir; ‹eine Maschine, die vorausbezahlt wurde, können wir noch nach Iran liefern, aber danach ist Schluss›.»

Dagegen seien die Schweiz und auch die EU machtlos, auch wenn sie noch so laut erklärten, dass die Sanktionen keine Gültigkeit hätten, so der Iran-Experte.

«Die USA versuchen, amerikanisches Recht weltweit durchzusetzen. Weil dies rechtlich nicht möglich ist, setzen sie dieses durch Wirtschaftsmacht um. Diese Machtanmassung hat zum Ziel, Iran gänzlich zu isolieren. Und dies kann nur gelingen, wenn sich die ganze Welt an den Sanktionen beteiligt.» Trump nehme keinerlei Rücksicht auf Interessen anderer, auch nicht der Bündnispartner.

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«China springt in jede Lücke»

Noch problematischer seien die Sanktionen für Firmen, die in Iran selber investiert und dort eigene Industriebasen hätten, die sich nicht innerhalb von drei Monaten herunterfahren liessen. Diese Firmen steckten nun in der Klemme. Wie der Schweizer Schienenfahrzeug-Bauer, der im Iran gerne 120 Züge verkauft hätte, aber auch den amerikanischen Markt nicht aufgeben möchte.

Iran wird nicht lange auf die Schweizer Firma warten können, zumal «China in jede Lücke springt, die sich öffnet. Die Chinesen steigern laufend die Qualität ihrer Industrieproduktion», sagt Welti.

China hat viele Trümpfe

Bei der chinesischen Konkurrenzfirma dürfte es sich um den in Beijing domizilierten Industriekonzern CRRC handeln, der 180’000 Mitarbeitende beschäftigt, sagt die chinesische Bahnindustrie-Beraterin Cui Juni gegenüber swissinfo.ch. Sie ist überzeugt, dass chinesische Züge über kurz oder lang sogar auf dem europäischen Markt eine dominante Stellung haben werden.

Für China habe der iranische Markt im Rahmen des Projekts «One Belt, One Road» (neue Seidenstrasse) zum Aufbau eines interkontinentalen Handelsnetzes eine grosse Bedeutung: einerseits die eigene industrielle Überkapazität durch Exporte auslasten zu können, andererseits, um den eigenen Energiebedarf aus den riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen Irans zu sichern.

Und China hat noch einen Trumpf in der Hand: Es kann einen ungestörten Zahlungsverkehr anbieten. «Im westlichen Zahlungsverkehr gibt es kein Inseldasein mehr. Jede Bank ist Teil des globalen Netzes», sagt der ehemalige Schweizer Botschafter Welti. Einzelne westliche Unternehmen versuchen, mit Strohfirmen im Nahen Osten zusammenzuarbeiten, um die Sanktionen zu umgehen. Solche Schutzwälle seien zwar nicht unmöglich, aber kompliziert, riskant, instabil und vor allem teuer. «Ordentliche, standardisierte Zahlungen lassen sich nicht auf Dauer über solche Kanäle etablieren.»

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Die Genfer Banque de Commerce et de Placements (BCP) hat den Rückzug aus Iran bereits eingeleitet. Das Genfer Institut liquidiere seine Geschäfte und lehne jede neue Geschäftsbeziehung in Zusammenhang mit diesem Land ab, teilte die Bank mit. BCP war 2013 zu einem der offiziellen Finanzintermediären für internationale Transaktionen mit dem Iran ernannt worden.

Und was ist mit Firmen, die mit Iran auch während des letzten Embargos Wirtschaftsbeziehungen unterhielten? Novartis zum Beispiel versorgt Iran seit Jahren mit Medikamenten, und die Firma Bühler in Uzwil (SG), die Maschinen für die Getreide- und Lebensmittelverarbeitung produziert, ist seit 1976 im Iran vertreten und hat dort mehrere Niederlassungen.

Auch diese Firmen stehen laut Welti vor den gleichen strategischen Risiko-Abwägungen. «Wenn sie global tätig sind, sind sie dem amerikanischen Druck nicht nur in den USA ausgesetzt.»

Goldgräber-Stimmung im Keim erstickt

Nach dem Abschluss des Atomabkommens, das Iran vom Bau einer Atombombe abhalten und im Gegenzug die gegen das Land verhängten Sanktionen schrittweise aufheben sollte, entwickelte sich ab 2015 in einigen westlichen Wirtschaftszweigen eine eigentliche Goldgräberstimmung – so auch in der Schweiz. Ganze Delegationen ranghoher Politiker und Wirtschaftsvertreter aus zahlreichen Ländern reisten nach Teheran, um rechtzeitig Fuss zu fassen für lukrative Geschäfte.

Auch die Eidgenossen wollten nicht hintenanstehen. 2016 traf sich der damalige Bundespräsident und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann – im Schlepptau eine ganze Schar Schweizer Firmenvertreter – mit Irans Präsident Hassan Rohani, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern zu stärken.

Tatsächlich begannen die Exporte in den Iran zu steigen, 2017 gegenüber dem Vorjahr um immerhin 7,6% auf 536 Mio. Franken. Manche Unternehmen – namentlich Rohstoffhändler wie Glencore, Baustoffgiganten wie Lafarge-Holcim, Industriekonzerne wie ABB oder Sulzer, Lifthersteller wie Schindler, Seilbahnbauer wie Bartholet, Textilmaschinenhersteller wie SSM, Zulieferfirmen der Autoindustrie wie Autoneum oder Schienenfahrzeug-Produzenten wie Stadler Rail – witterten das grosse Geschäft bei der Teilnahme am Ausbau der iranischen Infrastruktur.

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