«Vasella pflanzte starken Baum in die Landschaft»
Bis zu 300 Mio. Franken Lohn und Boni in 17 Jahren: Wenn Daniel Vasella am 22. Februar die Novartis-Spitze abgibt, bleibt von ihm das Bild des gierigen Abzockers zurück. Dabei hinterlässt der Arzt als Manager durchaus grosse Fussspuren – eine Bilanz.
Supermanager – supergieriger Abzocker: Kaum eine Figur in der Schweiz der letzten 20 Jahre hat mehr polarisiert als Daniel Vasella.
Mit seinen bis dahin für Schweizer Verhältnisse unvorstellbaren Vergütungen zog Vasella den Volkszorn auf sich. Er war, zusammen mit den Bankern von UBS und Credit Suisse, Auslöser der Abzocker-Initiative, mit der Lohnexzesse in den Teppichetagen künftig abgestellt werden sollen. Die Schweizer Bevölkerung stimmt am 3. März darüber ab.
«Ich persönlich habe den Lohn, den ich bekommen habe, gerne genommen», sagte Vasella Ende Januar am Schweizer Fernsehen mit breitem Lächeln, nachdem er seinen Rücktritt als Novartis-Verwaltungsratspräsident auf den 22. Februar verkündet hatte.
Eigentlich hätte der Novartis-Präsident nach seinem Abgang noch einen Entschädigung von 72 Millionen erhalten sollen.
Die Entschädigung hätte sich auf 6 Jahre und 12 Mio. jährlich verteilt und war mit einem Konkurrenzverbot verbunden.
Die 72 Mio. wurden eine Woche vor der Novartis-Generalversammlung vom 22.Februar publik und löste einen Sturm der Entrüstung aus.
Die Volksseele kochte, Politiker von links bis rechts gaben ihrer Entrüstung über den millionenschweren Rettungsfallschirm Ausdruck.
Nach tagelangem Dauerbeschuss einigten sich Vasella und der Novartis-Verwaltungsrat schliesslich auf einen Verzicht auf die 72 Millionen. Im Gegenzug wird das Konkurrenzverbot für Vasella aufgehoben.
«Wie viel» statt «wie»
René Lüchinger, Wirtschaftspublizist und Buchautor, stellt dem Wirtschaftskapitän Vasella ein gutes Zeugnis aus. Mit dem so genannten Evergreening, der Neuformulierung vom Medikamenten, habe er eine Strategie gefunden, wie der Lebenszyklus von Medikamenten über den Zerfall des Patentschutzes hinaus verlängert werden könne.
Vasella habe Novartis zudem grossflächig in den Markt der billigeren Nachahmerprodukte eingeführt. «Er hat die Entwicklung hin zu den Generika nicht nur erkannt, sondern auch darauf reagiert, indem er einen Tabubruch beging», sagt Lüchinger, ehemaliger Chefredaktor des Wirtschaftsmagazins Bilanz, gegenüber swissinfo.ch.
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Grosse Verdienste, aber nicht überall beliebt
Mitbringsel aus den USA
Das Bild Vasellas als Abzocker kontrastiert er mit Schilderungen aus dessen Umfeld, wonach dieser keineswegs ein geldgetriebener Manager sei. «Was ihm in der Schweiz oft als Arroganz ausgelegt wird, ist seine ehrliche Überzeugung, ‹dass ich wert bin, was ich wert bin›.»
Übernomme habe Vasella dieses «american mindset» anlässlich einer «Manager-Schnellbleiche», zu der ihn der frühere Sandoz-Boss Moret in die USA geschickt hatte.
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Aussen flippig, innen seriös
Neues Unternehmen geschaffen
Lüchinger hebt Vasellas Leistung auch im Vergleich mit einer anderen Reizfigur in Sachen Abzockerei hervor, dem ehemaligen UBS-Boss Marcel Ospel. «Lohnmässig gab es kaum einen Unterschied. Aber Ospel schuf nie auch nur ein einziges Produkt. Vielmehr trieb er die UBS an den Rand des Ruins, so dass sie mit Steuergeldern gerettet werden musste.»
Vasella dagegen sei es gelungen, aus den zwei «angejahrten alten Tanten Ciba und Sandoz» ein neues Unternehmen zu schaffen, das heute die Nummer 2 der Pharmabranche sei. «Damit pflanzte er einen starken Baum in die Landschaft», sagt Lüchinger.
1953 in Freiburg geboren, Bürger von Poschiavo. Studium der Medizin, danach Arzt und Oberarzt am Inselspital Bern.
1978 Heirat mit Anne Laurence Moret, der Nichte von Marc Moret, dem späteren Präsidenten des damaligen Pharmaunternehmens Sandoz.
1988: Wechsel in die Industrie zu Sandoz USA.
Managementausbildung an der Harvard Business School.
1996: CEO von Novartis, dem Fusionsprodukt von Ciba-Geigy und Sandoz.
1999: auch Verwaltungsrats-Präsident von Novartis. Das Doppelmandat ist Anlass scharfer Kritik.
Februar 2010: Rücktritt als CEO von Novartis.
22. Februar 2013: Abgang als Verwaltungsratspräsident.
Manager-Kaste in Verruf gebracht
Auch der Ökonom und Buchautor Rudolf Strahm wertet den Platz gleich hinter dem Branchenleader Pfizer als Verdienst Vasellas. Zudem habe sich der Umsatz in seiner Amtszeit praktisch verdoppelt.
Insgesamt aber ist der ehemalige SP-Nationalrat in seiner Beurteilung gespalten. «Vasella exponierte sich in der Boni-Frage und kontaminierte damit die ganze Managerkultur in der Schweiz», sagt Strahm. Damit habe er nicht nur die Bürger, sondern auch Unternehmer aus der Industrie gegen sich aufgebracht. «Die Quittung seiner Boni-Wirtschaft ist ein staatspolitisch nachhaltiger Vertrauensschwund gegen die Konzernchefs.»
Zugute hält er Vasella, dass dieser mit 17 Jahren an der Spitze eine lange Amtszeit aufweise und Novartis dadurch Stabilität verliehen habe. «Insofern war er kein ‹Amerikaner›, denn Manager wechseln ihre Posten im Schnitt alle viereinhalb Jahre.»
Der ehemalige sozialdemokratische Nationalrat kreidet Vasella aber auch «schwere Fehler» an. «Er wollte sich den Konkurrenten Roche unter den Nagel reissen. Der Verbleib eines einzigen Pharma-Konglomerats-Konzerns hätte sich aber verheerend ausgewirkt», ist er überzeugt.
Als Geschäftsmodell habe Vasella eine breite, nicht eng fokussierte Angebots- und Forschungs-Strategie verfolgt. «Diese Breite wirkt einerseits als Ausgleich und Puffer, ist andererseits aber teuer. Es kann auch sein, dass eine gewisse Angebotsbreite beim Marketing Synergien bringt. Es wird sich erst in ein paar Jahren zeigen, ob Novartis damit Erfolg hat.»
Kapitalvernichter
Wirtschaftspublizist Beat Kappeler misst Vasella an dessen eigenem Massstab. Er sei 1996 mit einem Programm an die Spitze von Novartis getreten, das aus einem einzigen Wort bestanden habe – «Shareholder Value», sagt Kappeler. Die Theorie des Ökonomen Alfred Rappaport besagt, dass Anleger in jene Firma investierten, von der sie überzeugt sind, dass diese das investierte Geld besser rentieren lasse als eine andere.
«Vergleicht man die Aktienkurse der Konkurrenten Pfizer, Merck und anderen, ist der Novartis-Wert weit abgeschlagen. Deshalb hat Novartis laut Rappaport Kapital vernichtet», so Kappeler.
Novartis entstand 1996 aus der Fusion der beiden Basler Pharma- und Chemiefirmen Ciba-Geigy und Sandoz. Es handelte sich damals um die grösste Firmenfusion der Welt.
In den 17 Jahren Vasellas an der Konzernspitze stieg der Novartis-Umsatz von 31 Mrd. (1997) auf 52 Mrd. Franken (2012). Der Konzern beschäftigt weltweit 123’000 Mitarbeiter.
Die in dieser Zeit erzielten Gewinne belaufen sich auf insgesamt rund 85 Mrd. Franken.
Novartis ist nach Pfizer das zweitgrösste Pharmaunternehmen der Welt.
Die Ära Vasella war von zwei Strategiewechseln geprägt. Nach seinem Antritt erfolgte die «Fokussierung», indem er Sparten wie das Agrobusiness und die Chemie verkaufte.
Nach der Jahrtausendwende wurden wieder Firmen zugekauft, z. B. der US-Augenpflegespezialist Alcon für rund 50 Mrd. Dollar.
Mit der Diversifizierung soll das Auslaufen von Patenten auf Medikamenten abgefedert werden.
NGO kritisiert Indien-Prozess
«Im Kampf gegen Malaria und Lepra hat Novartis sehr viel erreicht. Vor allem die Novartis Foundation ist sehr aktiv und macht zahlreiche gute Projekte», anerkennt Andrea Isenegger, Pharmazeutin bei der Nichtregierungs-Organisation Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF).
Mit Ausnahme der Lepra sei die Novartis-Forschung wegen des regen Tourismus eher auf die nördlichen Breitengrade fokussiert, relativiert sie. Insbesondere vermisst sie ein starkes Novartis-Engagement im Kampf gegen Tuberkulose und HIV, aber auch die so genannt «vernachlässigten» Krankheiten wie die Schlafkrankheit oder Kala-Azar.
Über die Klage von Novartis gegen das indische Patentgesetz sei man bei MSF nicht einverstanden, so Isenegger. Mit dem Gesetz von 2005 will Indien das erwähnte Evergreening verhindern. Anlass ist das Krebsmedikament Glivec, das Novartis weiterhin alleine kommerziell nutzen will.
«Es ist inakzeptabel, einem Hauptwirkstoff eine Salzform beizugeben und so den Patentschutz des Medikaments um weitere 20 Jahre zu verlängern», sagt die Pharmazeutin, «dadurch werden Generika für arme Patienten verhindert.»
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