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Vasellas Rückzieher dämpft Empörung nicht

Vom Helden zum Buhmann: Novartis-Chef Daniel Vasella hat seinen Kredit bei der Presse verspielt. Keystone

"Ist Vasella der einzig Schuldige?", "Novartis-Verwaltungsrat gehört an den Pranger gestellt!", "Mit dem Verzicht, gesteht er die Schuld"," "Den Abzocker wird er nie mehr los." Die Schweizer Presse geht mit den Verantwortlichen des Pharmamultis hart ins Gericht.

«Kaum je haben sich so viele Menschen so einhellig über etwas aufgeregt wie über die 72 Millionen Franken für Daniel Vasella», kommentiert die Boulevard-Zeitung Blick, die das Konterfei des abtretenden Novartis-Chefs auf einer Doppelseite gleich mehrfach abbildet. «Niemand hatte die Abgangsentschädigung als gerecht empfunden. Niemand hatte Lust, den Empfänger öffentlich zu verteidigen. Das Gegenteil ist der Fall.»

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) stellt nicht nur Vasella an den Pranger, sondern die gesamte Konzernspitze. «Was hat sich der Novartis-Verwaltungsrat bei der Sache überlegt?», und «ist Vasella der einzig Schuldige?», fragt die NZZ. Dieser hatte nämlich den «Goldenen Fallschirm» von 72 Millionen Franken zugunsten Vasellas damit begründet, dass sich der abtretende Novartis-Chef dazu verpflichten musste, seine Dienste in den nächsten sechs Jahren nicht der Konkurrenz anzubieten.

Die Generalversammlung des grössten Schweizer Pharmaunternehmens vom kommenden Freitag werde eine turbulente Angelegenheit werden, prophezeit die wirtschaftsliberale Zeitung: «Gardinenpredigten und andere Tiraden an die Adresse des Vorsitzenden werden nicht zu vermeiden sein, und Gründe dafür wird es genug geben. Dass das Konkurrenzverbot-Arrangement mitsamt der darin vorgesehenen grotesken Abfindung nun sang- und klanglos aufgehoben worden ist, dürfte an der Aufgebrachtheit der Aktionäre wenig ändern.»

Ob es denn im Verwaltungsrat niemand gab, der an einer solchen Vereinbarung Anstoss nahm oder sich wunderte, «dass man den Vorsitzenden mit Geld davon abhalten musste, zur Konkurrenz überzulaufen?» So willkürlich wie man zum Betrag von 72 Millionen gekommen sei, so einfach liess sich dieser offenbar wieder streichen, meint die NZZ.

Die vom Unternehmer Thomas Minder lancierte Initiative «gegen die Abzockerei» verlangt einen Verfassungsartikel, der eine Reihe von Bestimmungen enthält, die das Recht der Aktionäre von börsenkotierten Schweizer Unternehmen verstärkt.
 
Damit soll verhindert werden, dass Topmanager sich exorbitante Löhne bezahlen können, ohne Bezugnahme auf die Resultate ihrer Firmen.
 
Der Verfassungstext überträgt der Generalversammlung die Kompetenz, jedes Jahr alle Mitglieder des Verwaltungsrats zu wählen.
 
Die Aktionäre können die Höhe der Vergütungen des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirats der Direktion bestimmen.
 
Die Organmitglieder erhalten keine Abgangs- oder andere Entschädigung, keine Vergütung im Voraus, keine Prämie für Firmenkäufe und -verkäufe. Die Stimmabgabe durch Vertreter ist untersagt.
 
Das Volk kann am 3. März 2013 darüber abstimmen. Im Fall einer Ablehnung würde der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments in Kraft treten.
 
Dieser verlangt eine Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts und nimmt einen grossen Teil der in der Abzocker-Initiative geforderten Massnahmen auf, wenn auch in abgemilderter Form.

«Abzocker»-Initiative im Aufwind

Auch in den Medien der Romandie hat sich der Sturm der Entrüstung nicht gelegt. Er, der mit Talent den Novartis-Konzern verkörpert habe, sei jetzt gedemütigt und dazu gezwungen worden, auf Dutzende Millionen Franken zu verzichten, die er laut eigenen Aussagen für wohltätige Zwecke spenden wollte, schreibt die Westschweizer Zeitung Le Temps. «Aber wer kann ihm noch glauben?» Wer könne einen Wirtschaftsführer verteidigen, der eine schwierige Kampagne ruiniert habe, «wo die Vernunft versucht hatte, die Eifersucht zu beschwichtigen».

Daniel Vasella hätte noch so viele Arbeitsplätze schaffen können, letztlich habe er den Realitätsbezug zu seinem Land verloren, bilanziert Le Matin. Er werde weiterhin die Spitze jenes Dutzends Konzernchefs verkörpern, die übertrieben und die öffentliche Meinung verachtet hätten. 

 

Dass die Episode Wasser auf die Mühle der Befürworter der «Abzocker»-Initiative ist, über die am 3. März in der Schweiz abgestimmt wird, stellen mehrere Medien fest. Aber nicht alle freuen sich darüber. Für die Aargauer Zeitung (AZ) würde eine Annahme der Initiative eine Schwächung der Schweizer Wirtschaft bedeuten.

«Wenn nun die Abzocker-Initiative angenommen wird, geht das auch aufs Konto des ungeschickt manövrierenden Verwaltungsrats von Novartis und dessen Präsidenten», kommentiert die AZ. Die Gegner der Minderinitiative, wie die Abstimmungsvorlage auch genannt wird, hätten stets hervorgehoben, dass deren restriktive und kriminalisierende Mentalität Unternehmen davon abhalten könnte, in der Schweiz Fuss zu fassen oder sogar abzuwandern.

«Wenn es nun tatsächlich zu dieser Schwächung des Wirtschaftsstandorts Schweiz kommen sollte, verdanken wir das ausgerechnet dem bestbezahlten Wirtschaftskapitän, den unser Land hervorgebracht hat», behauptet die AZ.

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Toleranz in Gefahr

«Daniel Vasella hat in einem Sekundenbruchteil alle seine Freunde verloren und die Schweiz – vielleicht – ihre liberalen Überzeugungen», lautet der Kommentar bei Radio Suisse Romande. Der Novartis-Chef habe seine Abfindungssumme, die schon vor Jahren fixiert worden sei, nicht gestohlen, denn Beobachter würden ihm eine eindrückliche Bilanz attestieren. Die allgemeine Empörung komme einem Hass gegen Reiche nahe. Die Schweiz drohe ihre unschätzbare Toleranz zu verlieren, die sie bisher gegenüber andern Ländern unterschieden habe, allein wegen eines Komplexes gegenüber dem Geld.

Ein wenig Bedauern mit dem abtretenden Kapitän äussert die Basler Zeitung. «Mit den Diskussionen um die Millionenzahlungen geraten die eigentlichen Verdienste Vasellas beim Aufbau von Novartis in den Hintergrund.»

Der Kommentator des Zürcher Tages-Anzeigers und des Berner Bund kann der Geschichte wenigstens etwas Positives abgewinnen: «Das Öffentlichkeitsprinzip hat recht gut funktioniert. Je mehr die Firmen und ihre Manager solche Deals zu verschleiern versuchen, desto deftiger werden die Enthüllungen und desto mehr wächst die Empörung im Land.»

Und diese Empörung könnte sogar in politische Aktionen münden, «wenn diese Deals nicht mehr aufhören. Vielleicht hat es die Abzocker-Initiative oder den als Reaktion darauf entstandenen indirekten Gegenvorschlag halt doch gebraucht», folgern die beiden Zeitungen.

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