«Die indirekten Kosten werden ausgeblendet»
Vaterschaftsurlaub bringe nichts und werde von links als Türöffner für mehr missbraucht: Yasmine Bourgeois, Mutter von drei Kindern, spricht sich klar dagegen aus. Ein Gespräch mit der Zürcher FDP-Politikerin.
Als Mutter gegen den Vaterschaftsurlaub – und dann erst noch im Gegner-Komitee: Damit steht Yasmine Bourgeois ziemlich im Abseits in diesem Wahlkampf. Und wird teilweise dafür angefeindet: «Vor allem in den sozialen Medien kommen die Kommentare teilweise direkt aus der untersten Schublade.» Im persönlichen Umfeld erfahre sie hingegen viel Zuspruch.
Dafür sind die Diskussionen innerhalb der Partei etwas zurückgegangen. Denn man muss wissen: Der Vaterschaftsurlaub hat sich bei den bürgerlichen Schweizer Parteien als Spaltpilz erwiesen. Bestes Beispiel sind die Freisinnigen: Die Frauen innerhalb der Partei sprachen sich grösstenteils für den Vaterschaftsurlaub aus, letztlich beschloss aber die FDP – äusserst knapp – die Nein-Parole zur Gesetzesänderung, über die die Schweizer Stimmbevölkerung am 27. September befindet.
Gegen den Vaterschaftsurlaub ist auch Yasmine Bourgeois. Nicht aus Parteitreue, wie die dreifache Mutter sagt, die für die FDP im Zürcher Gemeinderat sitzt. Sondern aus Überzeugung: «Ein zusätzlicher Vaterschaftsurlaub bringt in meinen Augen keinen Mehrwert.» Jeder werdende Vater könne schon heute Ferien beziehen, um zuhause auszuhelfen, eine Geburt komme ja in der Regel nicht aus heiterem Himmel. Zudem: «Das sollte es doch den meisten Vätern auch wert sein.»
«Keine verstaubten Rollenbilder»
Inzwischen sind die Positionen bezogen, nicht nur in der FDP, sondern auch in der SVP. In der rechtskonservativen Partei sind es ebenfalls vor allem die Frauen, die von der Parteilinie abweichen – bis weit oben: Die Genfer Nationalrätin Céline Amaudruz beispielsweise, die im SVP-Präsidium sitzt und Vizechefin der grössten Fraktion im Parlament ist, setzt sich für den Vaterschaftsurlaub ein.
Wie es bei gesellschaftspolitischen Anliegen oft der Fall ist, offenbart sich auch hier wieder der Unterschied zwischen der lateinischen und der deutschsprachigen Schweiz. Wobei: Yasmine Bourgeois will das Thema Vaterschaftsurlaub nicht als Gradmesser für die Gleichberechtigung sehen. «Uns wird nachgesagt, man hänge alten Rollenbildern nach. Das Gegenteil ist wahr: Der Vaterschaftsurlaub zementiert ein konservatives Familienbild. Wenn schon, ist ein Familienmodell, bei dem der Vater nach zwei Wochen Vaterschaftsurlaub wieder in den alten Trott verfällt, verstaubt. Es kann doch heute schon jede Familie selber entscheiden, wer wieviel arbeitet und wer welchen Teil an Kinderbetreuung übernimmt.»
Die wirtschaftliche Optik
Yasmine Bourgeois betrachtet das Thema auch aus einer wirtschaftlichen Optik. Sie engagiert sich für KMU, die ihrer Meinung nach zu den Verlierern gehören würden, würde das linke Anliegen angenommen: «Es ist schlicht der falsche Zeitpunkt. Die Sozialwerke befinden sich in einem schlechten Zustand und wegen Corona haben viele ohnehin zu kämpfen.»
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Kleine Unternehmen würde ein Vaterschaftsurlaub vor gewichtige Probleme stellen, ist Bourgeois überzeugt. Grössere Firmen könnten die zusätzlichen Ausgaben zwar stemmen, aber bereits jetzt können Arbeitnehmer und -geber gemeinsam eine zufriedenstellende Lösung finden, sagt sie. «Jeder Arbeitgeber hat ja ein Interesse daran, dass seine Mitarbeiter zufrieden sind.»
Sie sehe das auch bei ihrem Ehemann, der ein eigenes KMU führt und in sich im Alltag mit solchen Fragen auseinandersetzen müsse. Wenn in einem kleinen Betrieb ein Mitarbeiter fehlt, sei das spürbar. «In der Debatte wird einseitig über die direkten Kosten der Finanzierung gesprochen, die indirekten werden jedoch ausgeblendet.»
Aus eigenem Antrieb
Yasmine Bourgeois unterrichtet seit 16 Jahren in einem 50-Prozent-Pensum an einer Primarschule in der Stadt Zürich. Dazu ist sie Zürcher Gemeinderätin, das ist – nach der Schulpflege FDP – ihr erstes politisches Mandat.
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Politisch tätig ist auch ihr Ehemann, der für die FDP im Kantonsrat sitzt. Die Aufteilung daheim funktioniere sehr gut, beide würden etwa gleich viel erledigen. Ihr Mann habe sich auch eingebracht nach der Geburt. «Aus eigenem Antrieb», wie sie betont. Als Selbstständiger sei es für ihn nicht einfach gewesen, zu fehlen. Gewisse Dinge bleiben dann einfach liegen. Da müsse man abwägen, wie viel drin liegt. Aber das sei nun mal so: Wenn man Kinder kriege, dann müsse man selber auf gewisse Sachen verzichten.
Wege, um sich für die Rückkehr zum Arbeitsplatz zu organisieren, gebe es genug, ist sie überzeugt. Mit Kinderbetreuung und der Teilzeitarbeit könne schon das meiste abgedeckt werden.
Neun Monate Urlaub?
Dass die Schweiz innerhalb der OECD zu den wenigen Staaten gehört, die keinen Vaterschaftsurlaub kennen, ist für Yasmine Bourgeois kein Problem. «Dafür haben wir andere Privilegien.» Ihre Befürchtung: «Ist der Vaterschaftsurlaub erstmal da, wird er kontinuierlich ausgebaut werden.» In Spanien beispielsweise habe man mit 2 Wochen Vaterschaftsurlaub begonnen nun würden 16 Wochen eingeführt. Dass es in dieser Richtung gehen soll, scheint ihr klar: Die SP habe im Kanton Zürich bereits eine Volksinitiative für 18 Wochen Elternzeit eingereicht.
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