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Verbier: Wegen Wohnungsnot schläft Personal in Campern

Aussenansicht eines Lokals in Verbier bei Nacht
Verbier wurde als "weltbester Skiort 2022" ausgezeichnet. Keystone / Jean-christophe Bott

Hinter dem Titel "Weltbester Skiort 2022" verbirgt sich eine weit weniger sonnige Seite: Für die Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, die Verbier im Winter am Leben erhalten, ist das Leben aufgrund der knappen Unterkünfte und der exorbitanten Preise oft prekär.

Die Auberge de Bagnes in Le Châble (Kanton Wallis) beherbergt normalerweise Wanderer und Wanderinnen während eines Kurzaufenthalts.

«Angesichts des Mangels an Unterkünften in Verbier haben wir uns dieses Jahr dafür entschieden, für die fünf Monate der Wintersaison nur Saisonniers aufzunehmen», sagt Audrey Galas in der RTS-Sendung Mise au point. «Wir versuchen, ihre Bedingungen so weit wie möglich zu verbessern. Aber unsere Auberge ist uns bleibt halt ein Zivilschutzbunker.»

Die Geschäftsführerin erinnert sich an eine junge Frau, die sie für ein paar Tage beherbergte, bis diese eine Wohnung gefunden hatte: «Sie erzählte mir, dass man ihr einen Mietvertrag für 1100 Franken pro Monat angeboten hatte – das ist schon viel für ein Saisonarbeiterin. Aber: sie hätte sich ein Doppelbett mit einer ihr fremden Person teilen müssen.»

Das Beispiel ist zwar extrem, aber es zeigt, dass es in Verbier wenig Wohnraum gibt und dieser oft zu sehr hohen Preisen vermietet wird.

Kellnerin in einem Restaurant in Verbier
Fast jede zweite saisonal angestellte Person will im nächsten Jahr nicht mehr nach Verbier zurückkehren. RTS

Ein Wohnbudget von 8000 bis 10’000 Franken

Das Budget von Saisonarbeiterinnen und -arbeitern für die Miete kann bei einem Aufenthalt von vier bis fünf Monaten leicht 8000 bis 10’000 Franken betragen. Das ist fast die Hälfte dessen, was sie in der Saison zu verdienen hoffen.

«Wenn man sich die Anzeigen anschaut, findet man Zimmer mit einem Etagenbett in einer WG mit drei bis vier Personen für 2000 Franken im Monat. Die Saisonniers kommen hierher, um Geld zu verdienen, etwas auf die Seite zu legen. Wenn sie alles für die Unterkunft ausgeben müssen, kommen sie nicht», sagt Alexandre Claude, der in einer Bar im Ort als Geschäftsführer tätig ist.

Der junge Mann hatte Schwierigkeiten, einen Barkeeper für diese Wintersaison zu finden. Schliesslich erklärte er sich bereit, seinen Angestellten bei sich zu Hause unterzubringen, damit die Stelle attraktiv bleibt.

Eine Skilehrerin oder ein Skilehrer verdient zum Beispiel durchschnittlich 23 Franken pro Stunde. Jenna Keller stammt aus Morgins und arbeitet seit mehreren Jahren als Skilehrerin an der Schweizer Skischule. Um eine Unterkunft zu finden, mietet sie nun ganzjährig eine Wohnung.

«Es ist günstiger, eine Wohnung das ganze Jahr über zu mieten, auch wenn sie dann eine gewisse Zeit leer steht, als eine Saisonwohnung zu mieten», sagt sie.

Gastronom und Immobilienmakler

Claude-Alain Besse musste den Stier bei den Hörnern packen. Er betreibt jetzt nicht mehr nur ein Restaurant, sondern kümmert sich auch darum, Zimmer oder Studios für seine 55 Angestellten zu finden. Ausserdem übernimmt er 30 bis 40% der anfänglichen Miete.

«Es ist auch unsere Aufgabe als Chef, dafür zu sorgen, dass sich unsere Angestellten wohlfühlen. Wenn Mitarbeitende gut untergebracht sind, werden sie abends weniger ausgehen und sich bei der Arbeit wohlfühlen», sagt er. Dank dieser Massnahme kehrten 80% der Saisonniers von Besse in diesem Jahr für die Wintersaison zurück.

In den Van ausgewichen

Am Fuss der Seilbahn von Le Châble, auf einem Parkplatz, den die Sonne im Winter nicht erreicht, wohnen Saisonarbeiter und Saisonarbeiterinnen, die darauf warten, eine Wohnung zu finden, in Kleintransportern. Das Abstellen von Wohnmobilen wird dort jedoch nur für maximal zehn Tage toleriert.

«Das Ziel ist, dass sie für eine relativ kurze Zeit dort wohnen und dann eine erschwingliche Wohnung oder einen Parkplatz auf einem Privatplatz finden», sagt Christophe Maret, Gemeindepräsident von Val de Bagne.

Und er fügt hinzu: «Das führt zu keinem guten Image. Und was die Qualität angeht, ist der Van für eine kalte Bergregion schlicht nicht geeignet.» Er gibt zu, dass er «irgendwie keine Lust» habe, bei minus 15 Grad mögliche Todesopfer bergen zu müssen.

Die Gemeinde ist sich der Situation bewusst und will mögliche Optionen mit Bauprojekten für Saisonpersonal bis zum Jahr 2026 evaluieren.

Parkierte Vans
Am Fuss der Seilbahn von Le Châble, auf einem Parkplatz, den die Sonne im Winter nicht erreicht, wohnen Saisonarbeiter und Saisonarbeiterinnen, die darauf warten, eine Wohnung zu finden RTS

Flucht des Saisonpersonals

Ana und ihr Lebensgefährte David lebten eine Zeit lang auf dem Parkplatz in Le Châble. Schliesslich verliessen sie das Val de Bagne, weil sie keine Wohnung fanden. Sie zogen im Rhonetal etwas aufwärts nach Vercorin, wo sie schnell Arbeit und eine Wohnung für 900 Franken pro Monat fanden. In Verbier entspricht das dem Preis für ein Bett in einem Mehrbettzimmer.

«Die Mieten sind ausser Rand und Band geraten. Das ist verrückt! Wir hatten alle Immobilienmakler angerufen», erinnert sich Ana. «Wir hatten unsere Vorstellungsgespräche bestanden, aber wir warteten darauf, unseren Vertrag zu unterschreiben. Da wir keine Wohnung hatten, wurde der Job schliesslich an jemand anderes vergeben.»

Ana und ihr Lebensgefährte sind keine Einzelfälle. Fast jede zweite saisonal angestellte Person will im nächsten Jahr nicht mehr nach Verbier zurückkehren.

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

Externer Inhalt

Die Reportage von RTS (Franz.)

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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