«Vorteile autonomer Fahrzeuge fallen ins Gewicht»
Die Ankunft autonomer Fahrzeuge wird in den nächsten Jahrzehnten zu einem aufwändigen Umbau der Verkehrssysteme führen und die verkehrspolitische Debatte dominieren. Dieser Ansicht ist Kay W. Axhausen. Der Professor ist Vorsteher des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) der ETH Zürich.
Computer haben weder Hektik noch andere Emotionen, nehmen keine Drogen und schlafen nicht ein. Dadurch reduziert sich die Kollisionsgefahr, die Kapazität erhöht sich. Verkehrsexperten gehen davon aus, dass in wenigen Jahrzehnten alle Motorfahrzeuge autonom steuerbar sein werden. Fraglich ist, wie lange es sich die Gesellschaft leisten will, auf diese Vorteile zu verzichten.
Wann fahren die Motorfahrzeuge autonom?
Fahrzeuge vom Autopiloten zum Beispiel durch Tunnels zu steuern, ohne dass ein Mensch Steuerrad, Gas- oder Bremspedal betätigen muss, ist rein technisch schon heute machbar. Aber weil erst wenige Fahrzeuge damit ausgestattet sind, stellt sich die Frage, was im gemischten Verkehr passieren würde.
Er könne sich durchaus vorstellen, dass eines Tages alle Fahrzeuge autonom fahren, sagt Verkehrsexperte Axhausen. Aber bis das letzte, nicht-autonome Fahrzeug ersetzt sei, werde es 30 bis 40 Jahre dauern, schätzt er. «Das hängt davon ab, wie stark die Regulation eingreift und wie schnell die Autobauer ihre Kapazitäten dafür zur Verfügung stellen.»
Macht die Autoindustrie mit?
Manche Autofahrer wollen ihr Fahrzeug aber (noch) selber steuern. Solange die Nachfrage nach steuerbaren Autos für eine gewinnbringende Produktion gross genug ist, wird die Autoindustrie weiterhin auch nicht-autonome Fahrzeuge produzieren.
«Wenn auch die autonomen Fahrzeuge im Einzelbesitz bleiben, ändert sich nicht viel», sagt Axhausen. Aber weil der Ausbau der Infrastruktur mit zunehmendem Verkehr überproportional teurer wird, werden die Vorteile einer autonomen Flotte immer mehr ins Gewicht fallen und den Druck auf ein Umsteigen erhöhen.
Mehr oder weniger Fahrzeuge?
Eine verbreitete Vision geht davon aus, dass die autonomen Fahrzeuge als elektrische Taxis betrieben werden. Die entscheidende Frage sei, sagt der ETH-Professor, ob kommerzielle Anbieter Taxi-Flotten zur Verfügung stellen werden. «Die Verkehrswissenschaftler machen weltweit Modellrechnungen, wie viele Fahrzeuge es braucht, um den heutigen Bedarf mit einer Taxi-Flotte abzudecken. Die Zahlen, die dabei herauskommen, liegen zwischen 10 und 30% der bestehenden Fahrzeuge, um die heutige Nachfrage abzudecken. Aber das ist trotzdem ein enormer Kapitalbedarf. Auf die Stadt Zürich angewandt, müsste jemand bereit sein, zum Beispiel 30’000 Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen.»
Mehr
«Mobilität hat per se keinen Wert»
Gewisse Fahrzeuge, LKW zum Beispiel, würden weiterhin von ausserhalb in die Stadt fahren. Es werde verschiedene Formen von gemeinsamen Taxifahrten geben – Shared-ride (Mitfahrgelegenheiten) als Äquivalent zu Bussen –, und es werde der eine oder andere Oldtimer, bzw. nicht-autonome Wagen herumfahren. «Aber wenn wir so weit kommen, dass alle Fahrbedürfnisse von autonomen Fahrzeugen abgedeckt werden, gibt es keine Notwendigkeit mehr, sich mit nicht-autonomen Fahrzeugen zu bewegen.»
Bleibt der ÖV auf der Strecke?
Die Umstellung auf autonome Fahrzeuge führe aber nicht ins mobile Nirwana. Die Anzahl Fahrzeuge werde zwar abnehmen, aber nicht die Anzahl Fahrten. «Wir werden weiterhin belastete Strassen und Stau haben. Und in diesen Korridoren wird die Bahn weiterhin ihre Berechtigung haben. Wenn wir davon ausgehen, dass sich autonome Fahrzeuge massiv verbreiten, ist aber damit zu rechnen, dass schlecht ausgelastete Nebenlinien des öffentlichen Verkehrs wegfallen und durch autonome Sammeltaxis ersetzt werden, die neuen Busse.
Wer bezahlt die Infrastruktur?
Geschieht die Finanzierung der Infrastruktur über direkte Strassen-Mauten? Wie werden die Verkehrsmittel gesteuert, um Überbelastungen (Stau) zu verhindern? Kommt es zu dynamischen Preisen auf den Strassen, beim Parken? «Diese Fragen stehen jetzt an, sie müssen in den nächsten Jahren überall auf der Welt gelöst werden», sagt der ETH-Professor. «Das Problem der Strassenseite ist, dass durch die effizienteren Fahrzeugflotten, bzw. den niedrigeren Benzinverbrauch das Steuersubstrat langsam aber sicher wegbricht. Deshalb ist jedes Elektroauto ein weiterer Grund, Strassengebühren (Mobility Pricing) einzuführen.»
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch