Verlagerungsziel zu hoch gesteckt
Die Bahn befördert zwei Drittel der Güter im alpenquerenden Verkehr. Trotz enormer Anstrengungen schafft es die Bahn nicht, ihren Anteil am Gütertransport weiter zu steigern. Und es sieht nicht danach aus, dass dies in Zukunft gelingen wird.
«Der alpenquerende Gütertransitverkehr von Grenze zu Grenze erfolgt auf der Schiene», heisst es in Artikel 84 der Schweizerischen Bundesverfassung. Dieser Artikel geht auf die so genannte Alpeninitiative zurück, die 1994 vom Schweizer Volk in einer Volksabstimmung angenommen wurde. Es war ein klares Zeichen, welche Verkehrspolitik die Schweizer wünschten.
Doch fast 20 Jahre nach dieser Abstimmung ist das Vorhaben, den gesamten alpenquerenden Schwerverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern, längst nicht umgesetzt.
Die Zahl der Lastwagen, die durch die Schweizer Alpen rollen, hat sich zwar verringert, von 1,4 Millionen im Jahr 2000 auf 1,25 Millionen im Jahr 2010 (drei Viertel dieser LKW fahren über die Gotthard-Route). Doch der Anteil des Bahngüterverkehrs nimmt proportional ab, und dies trotz erheblicher Subventionen für den Transport auf der Schiene.
1999 erreichte die Bahn im sogenannten Modalsplit 68,7 Prozent (31,3 Prozent Strasse), während 2010 der Anteil auf 62,6 Prozent (37,4 Strasse) gesunken ist. Dies gemäss dem Observatorium für den Güterverkehr im Alpenraum (Alpifret).
Im Dezember 2011 anerkannte der Bundesrat im Verlagerungsbericht, «dass die aktuellen Instrumente für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene nicht einmal ausreichend sein werden, um das für 2018 fixierte Ziel von maximal 650‘000 Camions im alpenquerenden Verkehr zu erreichen». Auch die Eröffnung des neuen Gotthard-Basis-Bahntunnels wird an dieser Situation nicht grundlegend etwas verändern.
«Die Verlagerungspolitik wird seit mehr als zehn Jahren systematisch betrieben und alles, was möglich ist, wird gemacht. Die Grenzen der Verlagerungspolitik werden aber immer offensichtlicher», sagt Rico Maggi, Verkehrsökonom und Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung der Universität der italienischen Schweiz (USI).
Weit besser als in den Nachbarländern
Die Entwicklung lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Ohne flankierende Massnahmen zur Unterstützung des Bahngüterverkehrs (siehe Kasten), wäre die Zahl der alpenquerenden Lastwagenfahrten sicherlich höher. Gemäss dem Bundesamt für Verkehr würden 600’000 zusätzliche Camions durch die Alpen fahren.
Zudem stellt die Schweiz europaweit ein Unikum dar.
Beispiel Frankreich: Dort dominiert die Strasse und gewinnt noch Anteile hinzu. 1999 wurden 19, 9 Prozent der transportierten Waren noch mit der Bahn transportiert, 2010 waren es nur noch 10,5 Prozent. Erst 2009 hat die französische Regierung Massnahmen ergriffen, um die Ladung von mindestens 500’000 Camions pro Jahr bis 2020 auf die Bahn zu bringen.
Der Anteil der Bahn soll auf 25 Prozent gesteigert werden. In Österreich liegt der Anteil der Bahn im Güterverkehr zwar höher, erreicht aber ebenfalls nur einen Drittel im Modalsplit.
Kein Problem des Geldes
Das Problem des Bahngütertransports ist nicht so sehr eine Frage des Geldes. Wer auf der Strasse mit einem Camion Güter von Köln ins italienische Busto Arsizio (820 km) transportiert, muss mit Kosten von 1,85 Euro pro Kilometer rechnen. Im Kombinierten Verkehr (LKW/Bahn) kostet der gleiche Streckenabschnitt gemäss dem erwähnten Observatorium Alpifret 1,71 Euro/km. Diese Rechnung berücksichtigt die Subventionen nicht.
Der kombinierte Verkehr ist also durchaus konkurrenzfähig. Wo liegen also die Hindernisse?
«Die ganze Verlagerungspolitik ist einerseits zu ideologisch, und andererseits auf Verkehrsströme konzentriert, auf die Idee, dass man Verkehrsströme wie Wasserströme leiten könne. Aber in der Realität ist es eben so, dass einzelne Unternehmen entscheiden müssen, wie sie produzieren und wie sie transportieren. Dann gibt es viele Güter, die sich von ihrer Art nicht für den Transport auf der Schiene eignen», unterstreicht Maggi.
Trotz Staus und vieler Probleme ist der Strassentransport gegenüber der Schiene immer noch schneller. 11,5 Stunden sind von Köln nach Busto Arsizio im Regelfall auf der Strasse zu rechnen, mit der Bahn dauert es doppelt so lange.
«Das Verlagerungs-Potenzial ist weitgehend ausgeschöpft», schliesst der Experte für Verkehrsökonomie.
Rückwärtsgang ausgeschlossen
Trotz dieser durchzogenen Bilanz wollen die Schweizer Regierung und das Parlament am eingeschlagenen Weg festhalten. Am 12. Juni 2012 hat der Nationalrat eine Motion akzeptiert, welche eine Reihe von Vorschlägen zur Förderung des Güterbahntransports gutheisst.
Einige dieser Massnahmen werden bereits geprüft. In Kürze sollte die Regierung eine Botschaft für den Bau eines 4-Meter-Korridors auf der Gotthard-Linie präsentieren (bisher 3,80 m). Dies ist nötig, um den Transport von Sattelauflegern im kombinierten Verkehr zwischen Nord- und Südgrenze des Landes zu ermöglichen. Auch eine Erweiterung der Verladeterminals in Italien wird ins Auge gefasst.
Die Regierung ist überzeugt, dass diese Massnahmen «eine nachhaltige Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene ermöglichen werden». De facto dürften die Auswirkungen dieser Massnahmen aber bescheiden bleiben.
Um einen Quantensprung zu erreichen, müssten die Transitgebühren auf der Strasse stark angehoben werden. Doch die Schweiz hat in dieser Hinsicht wenig Spielraum. Zurzeit bezahlt ein Lastwagen für die Fahrt von Basel nach Chiasso 290 Franken (die so genannte Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA). Dieser Betrag könnte auf maximal 325 Franken angehoben werden. Dieses Limit wurde im Landverkehrsabkommen im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU festgelegt.
Seit Jahren wird zudem die Schaffung einer so genannten Alpentransitbörse vorgeschlagen. Die Schweizer Regierung befürwortete grundsätzlich ein internationales System zur Bewirtschaftung des Verkehrs.
Doch bei anderen Partnern kommt der Vorschlag wenig gut an. «Der geringe politische Konsens in unseren Nachbarländern macht es wenig wahrscheinlich, dass eine Alpentransitbörse in den nächsten Jahren eingeführt werden kann», schreibt die Regierung. Damit steht fest: Die Politik der kleinen Schritte wird weiter gehen. Mit Revolutionen ist nicht zu rechnen.
Die Alpentransitbörse ist als Marksteuerungsinstrument gedacht, um die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene zu erreichen.
Das Konzept sieht vor, dass eine maximale Anzahl von Lastwagen-Transiten festgelegt wird. Die freien Plätze werden versteigert.
Dieses Prinzip gilt für alle Alpenübergänge in der Schweiz, wobei die Lastwagenfahrer den Weg frei wählen können.
Um Ausweichverkehr auf die angrenzenden Alpenländer zu vermeiden, sieht die Alpentransitbörse vor, dass die Massnahmen mit den anderen Ländern im Alpenraum abgestimmt werden.
Um die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene zu erreichen, wurden diverse flankierende Massnahmen ergriffen.
Diese zielen darauf ab, eine ebenbürtige Konkurrenzsituation zwischen Strasse und Schiene zu erreichen und die Produktivität des Bahntransports zu stärken.
Diese Massnahmen beinhalten Subventionen für den Kombinierten Verkehr und den Bahngüterverkehr, Zuschüsse auf Investitionen für Umschlagterminals und industrielle Anschlussgleise.
Für diese Massnahmen wurden 2011 insgesamt 234 Millionen Franken bereitgestellt.
Ein weiteres Lenkungsinstrument ist die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die auf dStrassengüter-Transporte erhoben wird.
Im Jahr 2011 spülte die LSVA 1,5 Milliarden Franken in die Bundeskasse. Einen Drittel erhalten die Kantone, die damit ihren Strassenverkehr finanzieren.
Der Anteil der Eidgenossenschaft wird hingegen hauptsächlich zur Finanzierung des Öffentlichen Verkehrs eingesetzt.
(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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