Volksmusik – (k)eine Schweizer Tradition?
Die Schweizer Volksmusik ist nicht einfach eine Erfindung von sesshaften Berglern, sondern ein Konstrukt unterschiedlicher Einflüsse – auch aus der Stadt und aus dem Ausland. Genau das macht sie so schweizerisch.
Woher stammt unsere Volksmusik? Wie das Historische Lexikon der SchweizExterner Link schreibt, haben fahrende Artisten, Turmbläser, Trommler und Pfeifer diese Musik gespielt. Diese Tatsache legt also nahe, dass die Volksmusik durch Einflüsse aus anderen Regionen oder gar anderen Ländern beeinflusst wurde. Auch haben die Kriege der letzten Jahrhunderte neue Instrumente in der Schweiz bekannt gemacht.
In Regionen wie Graubünden, bei Landsgemeinden und im Wallis kann man heute noch Marschmusik hören, die aus der Zeit der Söldner stammt. Trommler und Pfeifer waren besonders während der italienischen Kriege im 16. Jahrhundert und bei ausländischen Armeen im 16. bis 18. Jahrhundert beliebt. Sogar der Dudelsack wurde früher in der Armee verwendet. Er kam um 1610 aus Frankreich in die Westschweiz und wurde später im Tessin als «zampogna» bekannt.
Bündner Volksmusik beeinflusst durch Fahrende
Die Bündner Volksmusik wurde von Menschen aus der Unterschicht nach Graubünden importiert. Oft waren es jenische Reisende, die in anderen Ländern unterwegs waren und sich von unterschiedlichen Stilen inspirieren liessen.
Als Gründer dieser Bündner Volksmusik gilt der «Gigerhannes», mit bürgerlichem Namen Johann Majoleth. Majoleth war ein jenischer Geiger und Besenmacher aus Untervaz (1774-1856). Sein Vater stammte aus dem Wallis und lebte im Fürstentum Liechtenstein.
Zu dieser Zeit nannte man die Musik nicht «Ländlermusik», sondern «Seppli-Musik» oder «Fränzli-Musik». Auch die Zusammensetzung der Instrumente war zu Beginn anders: Es gab ein oder zwei Geigen, eine Klarinette und einen kleinen Kontrabass (Bassett), manchmal auch eine Trompete und ein Hackbrett.
Um 1900 zogen viele Menschen von den Bergen in die Städte und brachten ihre Musik mit. Zu dieser Zeit wurde das «Schwyzerörgeli» bekannter und allmählich ersetzte es die Geige.
Das Schwyzerörgeli: dank der Stadt so populär
Das Schwyzerörgeli repräsentiert die Identität der Schweiz. Wer die Urheberin ist, ist nicht ganz geklärt. Eine erste Nennung geht auf das Jahr 1829 zurück.
Ein Wiener Orgel- und Klavierbauer erhielt ein Patent für ein «Accordion» am 23. Mai 1829. Es wurde so beliebt, «dass man überall, besonders in den Abendstunden, die akkordähnlichen Klänge auf den Strassen und in den Promenaden hören kann», schreibt die Wiener Theater-Zeitung am 11. Oktober 1834.
Sieben Jahre später wurde in Langnau im Emmental die erste Handharmonika hergestellt, das sogenannte «Langnauerli» und rund 50 Jahre später in Pfäffikon (SZ) das erste «Schwyzerörgeli». Das «Langnauerli» war vorwiegend bei der Unterschicht beliebt. Seine Handhabung war einfach: Es verfügte nur über zwei Bass- und neun Melodientasten und war günstig in der Anschaffung.
Bekanntheit des «Schwyzerörgeli»
Das «Schwyzerörgeli» wurde vor allem im Ersten Weltkrieg einem breiteren Publikum bekannt. Das kam so: Soldaten wurden an die Grenze geschickt, wo sie monatelang ausharren mussten. Viele Soldaten aus der Innerschweiz brachten ihr «Schwyzerörgeli» mit. Ein idealer Zeitvertreib.
Die Entstehung der «Ländlermusik»
Der Begriff «Ländlermusik» sowie auch das damit zusammenhängende «Schwyzerörgeli» ist also gar nicht so alt, wie man vermutet – und wurde auch dank der Städter mit ihrer «verromantisierten» Landvorstellung so beliebt.
Besonders die Stadtzürcher fanden in den 1920er-Jahren Gefallen daran. Dort wurde es hauptsächlich in der «Ländlermusik» gespielt. Ab da etablierte sich der Begriff «Ländlermusik». Es war schlicht Tanzmusik vom Land.
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