Von Genf bis Tokio oder die Traum-Rolex als Fata Morgana
Unter dem Hashtag #rolexmarathonExterner Link berichten Japaner:innen, wie schwer es ihnen fällt, die Rolex-Uhr ihrer Träume zu kaufen. Das Phänomen ist weltweit verbreitet und betrifft auch andere Schweizer Uhrenfirmen, denn Luxusuhren wurden in Krisenzeiten zu beliebten und sicheren Investitionsobjekten.
Seit Januar 2022 läuft Masayuki Sakurai einen «Rolex-Marathon». Der 43-jährige Unternehmer ist auf der Suche nach einem Cosmograph Daytona, einem der drei begehrtesten Modelle der Schweizer Traditionsmarke neben der Submariner und der GMT-Master.
Fast jeden Tag nach der Arbeit – manchmal sogar zwischen zwei Meetings – besucht Masayuki Sakurai zwei oder drei Geschäfte in Tokios Nobelviertel Ginza oder in anderen Stadtteilen der japanischen Millionenmetropole.
Masayuki Sakurai hat bereits an insgesamt 70 Tagen den Marathon gelaufen und über 300 Mal offizielle Rolex-Händler aufgesucht. Vor Ort erkundigte er sich nach dem Lagerbestand und unterhielt sich manchmal mit den Verkaufsteams.
Während er auf die Überprüfung des Inventars wartet, schlägt sein Herz höher. «Es ist wie beim Glücksspiel und macht süchtig. Je schwieriger der Gegenstand zu bekommen ist, desto grösser ist das Gefühl der Erfüllung, wenn man es geschafft hat», schwärmt er.
Wenn er Zeit hat, geht Sakurai zweimal am Tag in denselben Laden. «Die begehrtesten Modelle werden an die Leute im Laden verkauft, sobald der Einzelhändler sie erhält. Es ist also besser, wenn man nicht zehn Minuten zu spät kommt», sagt er gegenüber SWI swissinfo.ch.
In Japan gibt es keine langen Wartelisten, wie sie beispielsweise in Europa üblich sind. Wenn man nicht gerade ein privilegierter Kunde der Marke ist, gilt die Regel: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
Seit etwa 2015 werden luxuriöse Sportuhren in Japan immer beliebter. Und zwar nicht nur jene von Rolex. Auch einige Modelle der anderen Schweizer Marken Audemars Piguet, Patek Philippe und Richard Mille sind bei japanischen Kund:innen besonders beliebt.
Rolex will keine künstliche Verknappung
Auf Anfrage von swissinfo.ch bekräftigt Rolex in einer schriftlichen Stellungnahme, dass die Knappheit ihrer Produkte nicht Teil einer Strategie sei. «Die aktuelle Produktion der Marke kann die bestehende Nachfrage nicht befriedigen, ohne die Qualität der Uhren zu verringern, was nicht in Frage kommt», schreibt Sprecherin Virginie Chevailler.
Sie bekräftigt auch, dass Rolex die Produktionskapazitäten an den vier Standorten der Marke in der Schweiz «im Rahmen des Möglichen und immer gemäss ihren Qualitätskriterien» weiter ausbauen werde.
Die Wartezeiten auf ein bestimmtes Rolex-Modell, die sich in allen Teilen der Welt oft auf Jahre belaufen, sind für die Genfer Marke aber doch nicht unbedingt so unwillkommen, wie Insider:innen feststellen. «Seltenheit hat immer auch etwas mit Marketing und Prestige zu tun. Rolex ist jedoch nie von ihren Prinzipien abgewichen, was ebenfalls Teil ihres Erfolgs ist», betont Jean-Philippe Bertschy, Uhrenexperte bei der Bank Vontobel.
Zu diesen Grundsätzen gehören Unabhängigkeit, Diskretion, extreme Kontinuität bei der Entwicklung der ikonischen Modelle und eine strenge Kontrolle der Vertriebskanäle.
Mit einem von der Bank MorganStanleyExterner Link geschätzten Umsatz von fast acht Milliarden Franken im Jahr 2021 ist Rolex bei weitem die weltweit erfolgreichste Schweizer Uhrenmarke.
Rolex produziert in ihren weitgehend automatisierten Manufakturen jedes Jahr mehr als eine Million Uhren. Damit spielt die Marke auf den ersten Blick nicht in derselben Liga wie Haute Horlogerie-Häuser wie Patek Philippe und Audemars Piguet, die nur einige zehntausend Uhren herstellen und gemäss ihrer Strategie lieber weniger verkaufen, um ihre Produkte exklusiver zu machen.
Trotzdem hat die Begehrlichkeit für Rolex-Uhren, ein entscheidender Faktor für die Positionierung im Luxussegment, heute einen neuen Höhepunkt erreicht.
Gut organisierte Händler:innen
«Die grossen Mittel, die von den Behörden und Zentralbanken zur Unterstützung der Wirtschaft während der Pandemie freigegeben wurden, haben dieses Interesse noch gesteigert», sagt Masayuki Hirota, Chefredakteur des Magazins Chronos Japan.
Während in Japan früher nur Uhrenfans den «Rolex-Marathon» absolvierten, nehmen heute viele Japaner:innen, die finanziell von der Pandemie profitiert haben, daran teil – in der Hoffnung, ihre Errungenschaft dann zu einem hohen Preis weiterverkaufen zu können.
«Ein Secondhand-Spezialist hat mir gesagt, dass 90% der Rolex-Käufer:innen Wiederverkäufer:innen sind. Diese sind sehr gut organisiert und ermutigen normale Menschen, am Marathon teilzunehmen. Die offiziellen Geschäfte versuchen, gegen den Weiterverkauf vorzugehen, aber das ist ein endloser Kampf», sagt Masayuki Hirota.
Wenn man eher auf spekulativen Profit aus ist als auf die Freude, eine prestigeträchtige Uhr am Handgelenk zu tragen, spielt die Wertsteigerung eine wichtige Rolle. Die von Masayuki Sakurai begehrte Daytona, die zu einem Listenpreis von 13’000 Franken verkauft wurde, ist mit wenigen Klicks auf den wichtigsten Online-Websites für Uhren zu Preisen um die 60’000 Franken zu finden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass beliebte Rolex-Modelle auf dem Sekundärmarkt bis zum Fünffachen ihres ursprünglichen Preises erzielen.
Von Immobilien bis zu Luxusuhren
Luxusuhren sind auf der ganzen Welt zu begehrten Investitionsobjekten geworden, nicht nur in Japan. Laut einer Studie des Online-Uhrenhändlers Bob’s Watches, die von der Hongkonger Nachrichtenseite hk01.comExterner Link zitiert wurde, hat die Wachstumsrate des Marktwerts von Rolex-Uhren in den letzten zehn Jahren die von Gold, Immobilien oder anderen in der Vergangenheit als stabil geltenden Investitionen bei weitem übertroffen.
Mehr
Acht Dinge, die Sie über die Schweizer Uhrenindustrie wissen müssen
In China ergab eine im Oktober 2021 von der Beratungsfirma CSG Intage durchgeführte Umfrage unter 1500 chinesischen Erwachsenen mit einem Jahreseinkommen von über 500’000 Yuan (78’370 US-Dollar), dass 88% der Befragten planten, ihre Ausgaben für Luxusuhren in den nächsten 12 Monaten beizubehalten oder zu erhöhen. Prestigeträchtige Zeitmesser stellen für die chinesische Oberschicht eine attraktive Alternative zu anderen Investitionsobjekten dar, da die Behörden ihre Kampagne gegen die Immobilienspekulation intensivieren.
Da sie gewissermassen zum universellen Bargeld geworden sind, ermöglichen Luxusuhren wohlhabenden Chines:innen auch den einfachen Transfer von Vermögenswerten ins Ausland, um den strengen Kapitalkontrollen zu entgehen, die eine jährliche Obergrenze von 50’000 US-Dollar für Geldtransfers von Privatpersonen ins Ausland vorsehen.
«Die Zollbeamt:innen werden Ihre Uhr nicht bemerken oder vielleicht nicht wissen, wie viel sie wert ist. Das schafft eine sichere und effiziente Möglichkeit, Ihr Geld ins Ausland zu bringen», erklärte David Wang, ein in Shanghai ansässiger Händler von Luxusuhren, gegenüber der Financial TimesExterner Link.
Vorsicht vor der Rolex-Blase
Doch Vorsicht vor Enttäuschungen, warnt der japanische Journalist Masayuki Hirota. «Ich persönlich glaube, dass die ‹Rolex-Blase› ein vorübergehendes Phänomen ist, das sich irgendwann wieder beruhigen wird. Einer der Gründe dafür ist, dass der Stückpreis trotz der potenziellen Marge relativ niedrig ist.
Ausserdem gibt es bei einer Uhr im Gegensatz zu Aktien keine Möglichkeit, einen Leerverkauf [Verkauf eines Vermögenswerts, den man noch nicht besitzt, die Red.] zu tätigen, was ein aktives Investieren erschwert.»
M.P. ist ein weitererjapanischer Uhrenliebhaber, der aber lieber anonym bleiben möchte. Er läuft gar einen Ultra-Marathon, der bereits 27 Monate dauert. Und sein Ziel ist immer noch nicht in Sicht. Dennoch klappert der Aficionado weiterhin die Luxusgeschäfte der Stadt ab. Herr P. ist überzeugt, dass «der Rolex-Marathon mich zu einem besseren Menschen macht und meine Persönlichkeit stärkt».
Er hofft jedoch, dass der Preisanstieg auf dem Sekundärmarkt etwas nachlässt. Aber warum will er diese Uhren so dringend haben? «Es sind coole, praktische und gut gestaltete Uhren. Ich schaue sie mir gerne immer wieder an und würde gerne viele davon haben. Ich liebe Rolex.»
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch