Am 2. September 1998 starben 229 Menschen, als der Swissair-Flug 111 vor der Küste von Neuschottland in den Atlantik stürzte. Zwanzig Jahre danach schaut swissinfo.ch auf den schlimmsten Unfall in der Schweizer Zivilluftfahrtgeschichte zurück und beleuchtet die Auswirkungen auf die Flugsicherheit und die Swissair.
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Thomas wurde in London geboren und war Journalist bei der Tageszeitung The Independent, bevor er 2005 nach Bern zog. Er spricht drei der Schweizer Landessprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch) und geniesst es, durch das Land zu reisen und diese vor allem in Pubs, Restaurants und Gelaterias zu praktizieren.
Zwei Millionen Trümmerstücke; 275 Kilometer Elektrodrähte; 229 Todesopfer aus 44 Ländern. Die Statistiken sind immer noch schockierend. Im folgenden Video-Ausschnitt des Schweizer Fernsehens vom Tag nach dem Unglück informiert ein sichtlich bewegter Philippe Bruggisser, damals Chef der Muttergesellschaft «SAirGroup», die Medien:
Die MD-11 war um 20:18 Lokalzeit in New York in Richtung Genf mit Enddestination Zürich abgehoben. Weniger als eine Stunde später entdeckten die beiden Piloten Rauch im Cockpit, der aus der Belüftung kam. Sie erbaten eine Landeerlaubnis und wurden schliesslich dem Flughafen Halifax in der kanadischen Provinz Neuschottland zugewiesen, etwas über 100 Kilometer entfernt.
Die Piloten waren sich des Ernsts der Lage nicht bewusst und flogen einen Umweg, um über dem Meer etwas Treibstoff abzulassen und so das Landegewicht zu reduzieren. Doch nach und nach versagten die Fluginstrumente – darunter der Autopilot, der Flugdatenschreiber und der Cockpit-Stimmrekorder.
Doch manuelles Fliegen wurde unmöglich, weil sich das Cockpit mit Rauch gefüllt hatte. Die Kommunikation mit Halifax brach sechs Minuten vor dem Absturz in den Atlantik ab. Die Absturzstelle lag rund acht Kilometer ausserhalb von Peggys Cove.
Sofort wurde eine Such- und Rettungsoperation gestartet, aber bald schon wurde klar, dass es keine Überlebenden geben würde. Deshalb setzte man den Schwerpunkt auf die Suche und Identifikation menschlicher Überreste und des Flugdatenschreibers.
Die Wrackbergung dauerte bis Dezember 1999. 98% des Flugzeugs konnten geborgen werden. Alle Opfer wurden schliesslich identifiziert. Die meisten stammten aus den USA, der Schweiz und Frankreich.
Rund zwei Millionen Trümmerstücke wurden geborgen. Die meisten lagen auf dem Meeresgrund in 50 bis 60 Metern Tiefe. Sie wurden an Land gebracht und in einem gesicherten Hangar untersucht. Teams suchten kleinere Fundstücke auf menschliche Überreste, persönliche Gegenstände und Wertgegenstände aus dem Gepäckabteil ab.
Der Flugdatenschreiber und der Cockpit-Stimmrekorder boten wenig Aufschluss über das Unglück, da sie vor dem Absturz keinen Strom mehr gehabt hatten. Die Untersuchungsbehörden mussten deshalb im Bemühen um Aufklärung über mögliche Ursachen ein 11 Meter langes Segment des Cockpit-Bereichs der MD-11 akribisch zusammensetzen.
Viereinhalb Jahre lang untersuchte die kanadische Flugsicherheits-Behörde TSB (Transportation Safety Board of Canada) den Absturz. Sie kam zum Schluss, dass eine an das Bordunterhaltungssystem angeschlossene Sicherung über dem Cockpit durchgebrannt war und brennbares Isolationsmaterial, das in der Flugzeugstruktur verwendet wurde, die Ausbreitung des Brandes ausserhalb der Kontrolle der Besatzung ermöglichte.
Im Oktober 1998 zahlte die Swissair an 156 Familien insgesamt 4,7 Millionen Franken. Im folgenden März zahlte Swissair jeder Familie eines Opfers 195’000 Franken. Im März 2002 wies ein US-Richter Klagen über 27 Milliarden Franken Schadenersatz gegen Swissair ab. Er begründete, die Katastrophe falle unter das Gesetz über Todesfälle auf hoher SeeExterner Link und das Warschauer Abkommen über die Beförderung im internationalen LuftverkehrExterner Link. Fünf Jahre nach dem Absturz waren alle bis auf einen Entschädigungsanspruch erledigt.
In ihrem SchlussberichtExterner Link gab die TSB eine Reihe Sicherheitsempfehlungen ab. Beispielsweise forderte sie Regulierungsbehörden auf, Tests und Standards zur Entflammbarkeit für alle Isolationsmaterialien auf handelsüblichen Jets einzuführen. Die Behörde verlangte auch Massnahmen zur Qualitätsverbesserung von Cockpit-Stimmrekordern, um sicherzustellen, dass separate Generatoren die verschiedenen Datenschreiber mit Strom versorgen und mindestens ein Datensatz übrigbleibt, wenn ein Stromsystem ausfällt.
Das Ende der Swissair
Die Swissair erholte sich nie wirklich von diesem Absturz. Kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sorgte der Einbruch des Luftverkehrsmarkts für das Ende der hochverschuldeten nationalen Fluggesellschaft. Am 2. Oktober wurde die Airline gegroundet.
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(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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