Wahlen in der Schweiz: SVP gewinnt, FDP muss um zweiten Bundesratssitz zittern
Aus den Parlamentswahlen am 22. Oktober dürfte ein rechtslastigeres Bundesparlament hervorgehen. Die vorletzte Wahlumfrage der SRG bestätigt den Trend: Die konservative Rechte legt zu, die Umweltparteien lassen Federn. Und sie zeigt: Die Freisinnigen haben ein Problem.
Die grüne Welle scheint der Vergangenheit anzugehören. Waren die Grünen 2019 noch die grossen Wahlgewinner:innen, verlieren sie in der Wählergunst aktuell weiter an Boden. Das zeigt das neue SRG-Wahlbarometer, das vom Forschungsinstitut Sotomo erstellt wurde.
Die Grünen büssen demnach nun 2,5 Prozentpunkte ein im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen. Auch die Grünliberalen (GLP) geben laut der neuen Umfrage nach. Bisher hatten sie sich gehalten und konnten einen Teil der Verluste der Grünen ausgleichen.
Das ist jetzt nicht mehr der Fall: Die Partei verliert zum ersten Mal leicht (-0,5 Prozentpunkte). «Die Grünliberalen haben 2019 von der progressiven Stimmung profitiert, die herrschte. Jetzt ist das Klima für die Konservativen günstiger», analysiert der Sotomo-Politologe Michael Hermann.
Auf der anderen Seite kristallisiert sich die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) mit einem Zuwachs von 2 Prozentpunkten immer mehr als Siegerin der eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober heraus. Die grösste Partei der Schweiz könnte damit 27,6% der Stimmen erreichen, was das drittbeste Ergebnis in ihrer Geschichte wäre.
Ein historisches Kopf-an-Kopf-Rennen
Die liberale Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) sieht ihren Platz als drittstärkste politische Kraft des Landes derweil ernsthaft gefährdet. Denn mit 14,8% der Stimmen liegt die Mitte zum ersten Mal leicht vor der FDP mit 14,6%. Da die Mitte 2021 aus der Fusion der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) entstanden ist, kommt der Bedeutungszuwachs nicht ganz unerwartet.
Laut Sotomo-Institut ist es jedoch unmöglich vorherzusagen, welche der beiden Parteien am Ende den dritten Platz belegen wird, dafür ist das Rennen zu eng. Sollte die Mitte an der FDP vorbeiziehen, würde dies jedoch eine historische Umwälzung der politischen Kräfte bedeuten. Seit 1848 und damit dem Beginn des modernen Bundesstaates lag die Zentrumspartei immer hinter der FDP.
Das Kopf-an-Kopf-Rennen ist auch für die Zusammensetzung des Bundesrats entscheidend, da das Konkordanzprinzip vorsieht, dass die drei grössten Parteien jeweils zwei Sitze in der Regierung haben und die vierte Partei nur einen. Wenn sie zur drittstärksten Partei des Landes wird, könnte die Mitte also Anspruch auf einen zweiten Sitz im Bundesrat erheben.
Das vorletzte Wahlbarometer im Hinblick auf die Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023 wurde vom Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, zu der auch swissinfo.ch gehört, durchgeführt.
Die Daten wurden zwischen dem 4. und 25. August gesammelt. 40’889 Wähler:innen nahmen an der Umfrage teil, einerseits auf den Internetportalen der SRG, andererseits auf der Website von Sotomo. Die Fehlermarge beträgt +/- 1,2 Prozentpunkte.
Da sich die Teilnehmer:innen der Umfrage selbst rekrutieren (man spricht von Opt-in), ist die Zusammensetzung der Stichprobe nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Beispielsweise nehmen an politischen Umfragen in der Regel mehr Männer als Frauen teil. Diese Verzerrungen in der Stichprobe werden durch statistische Gewichtungsverfahren korrigiert.
Eine Korrektur der Wahlen von 2019
Blickt man auf die Kräfteverhältnisse im Parlament würde die rot-grüne linke Seite weiterhin 2 Prozentpunkte einbüssen, wie schon im letzten Wahlbarometer. Die rechten Parteien ihrerseits legen nun um 1,5 Prozentpunkte zu, und damit etwas stärker als vor zwei Monaten vorhergesagt.
«Dieses Ergebnis würde eine deutliche Korrektur nach rechts bedeuten im Vergleich zu den Wahlen 2019», schreiben die Politikwissenschaftler:innen von Sotomo in ihrem Bericht. Der Nationalrat, also die grosse Kammer, hätte bei einem Eintreffen der Prognosen eine politische Zusammensetzung wie nach den Wahlen 2011 – aus der die SVP als klare Siegerin hervorging.
Das Wahlbarometer widerspiegle allerdings nur den Anteil der Wählerschaft im Nationalrat, betont das Institut Sotomo. Der Ständerat, der in den meisten Kantonen nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt wird, sei für die politischen Ausrichtung des Parlaments ebenfalls wichtig.
Das Klima ist nicht mehr die Hauptsorge
Parallel zur Schwächung der Umweltparteien ist der Klimawandel auf der Liste der Sorgen der Wähler:innen zurückgefallen. Er steht nun an zweiter Stelle hinter den steigenden Krankenkassenprämien. Das Thema Einwanderung hat hingegen an Bedeutung gewonnen und ist nun die drittwichtigste politische Herausforderung für die Befragten.
Die globale Erwärmung verliere langsam, aber stetig an Bedeutung, stellen die Autor:innen des Barometers fest. «Allerdings wird sie von den Wähler:innen immer noch als zentral angesehen, wenn es um die Frage geht, welche Partei sie wählen sollen», schränkt Hermann ein. 25% der Befragten gaben an, sich aufgrund des Klimawandels für eine Partei entschieden zu haben, 21% aufgrund der Erhöhung der Krankenversicherungsprämien.
Unter den Auslandschweizer:innen ist die Reihenfolge der Anliegen anders. Bemerkenswert: Die Fünfte Schweiz sieht die Zuwanderung als grösste politische Herausforderung für die Schweiz, gefolgt vom Klimawandel und den Krankenkassenprämien.
Da Personen, die im Ausland leben, in der Schweiz nicht krankenversichert sind, ist es logisch, dass dieses Thema für sie weniger Gewicht hat. Die Autor:innen des Berichts stellen weiter fest, dass «die Auslandschweizer:innen den Themen, welche die Beziehungen zum Ausland betreffen, mehr Bedeutung beimessen, wie etwa der Zuwanderung, den guten Beziehungen zur Europäischen Union, der Unabhängigkeit und Souveränität».
Credit Suisse weiterhin ein Ärgernis
Die Hauptärgernisse der Schweizer:innen haben sich seit dem letzten Wahlbarometer kaum verändert. Die Misswirtschaft der Bank Credit Suisse, die von ihrer Rivalin UBS aufgekauft wurde, und die überhöhten Boni für ihre Manager stehen nach wie vor an erster Stelle. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn die UBS zwischenzeitlich auf die Garantien des Bundes verzichtet habe, kommentiert Hermann.
Klimaaktivist:innen, die ihre Hände auf den Asphalt kleben, und Debatten über Wokeness sind die nächstgrössten Reizthemen. Das könnte der SVP zugute kommen, die diese Themen zu Wahlkampfthemen gemacht hat.
Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger
Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger
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