Wahlmaterial für die Fünfte Schweiz: Diese Kantone sind zu spät
Immer wieder sorgt die verspätete Zustellung des Stimm- und Wahlmaterials bei den Auslandschweizer:innen für Ärger. Wir haben bei den Kantonen nachgefragt, wann sie die Unterlagen verschickt haben. Wer hat sich besonders bemüht, und wer hat versagt?
Die eidgenössischen Wahlen stehen unmittelbar bevor. Inlandschweizer:innen können die Wahlunterlagen seit Wochen ausfüllen. Viele ihrer Wahlzettel sind längst wieder zurück bei der Gemeinde.
Doch wie sieht es bei den 221’448 stimmberechtigten Auslandschweizer:innen aus? Auch bei diesem Wahlgang erreichen uns verärgerte Voten aus aller Welt, dass die Unterlagen noch nicht oder verspätet eingetroffen sind.
Eine briefliche Rücksendung war in einigen Fällen zeitlich nicht mehr möglich. Dies ist keine Ausnahme zu anderen Wahlen und Abstimmungen.
Die Fünfte Schweiz fühlt sich an der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeit gehindert. Ein Fakt, der regelmässig zu parlamentarischen Vorstössen und Änderungsvorschlägen führt.
Im März dieses Jahres veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht über die Ausübung des Stimmrechts aus dem AuslandExterner Link, in dem die verschiedenen Versuche zur Verbesserung analysiert wurden.
Versand frühestens sechs Wochen vor Stimm- und Wahlwochenende
Der Versand der Stimm- und Wahlunterlagen an die Auslandschweizer:innen ist auf Verordnungsebene geregelt. Frühestens eine Woche vor dem offiziellen Versand in der Schweiz – also sechs Wochen vor dem Urnengang – darf das Material versendet werden. Dieses Jahr war der Versand an die Schweizer:innen im Ausland frühestens in der Woche ab dem 11. September (Kalenderwoche 37) erlaubt.
«Der Bundesrat hat, wie in der Vergangenheit, in seinem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen die Kantone gebeten, dafür zu sorgen, dass die Wahlunterlagen für die Auslandschweizerinnen und -schweizer vor dem offiziellen Versand im Inland verschickt werden», schreibt die Bundeskanzlei auf Anfrage.
Wir wollten von den Kantonen wissen, ob sie sich an diese Bitte gehalten und wann sie die Unterlagen an die Auslandbürger:innen verschickt haben.
Eine solche Umfrage gestaltet sich gar nicht so einfach. Ganze 14 Kantone führen das Stimmregister der Auslandschweizer:innen nämlich dezentral – sprich: jede Gemeinde für sich. In neun Kantonen wird das Stimmregister von der Kantonsverwaltung geführt, in drei Kantonen liegt die Verantwortung bei der Verwaltung des Kantonshauptorts.
Alle 26 Kantone haben auf die Anfrage von SWI swissinfo.ch reagiert. 12 der 14 Kantone, in denen die Gemeinden den Versand verantworten, haben den Versandzeitpunkt im Kantonshauptort mitgeteilt.
Musterschüler Kanton Aargau
Als Musterschüler unter den Kantonen stellt sich bei unserer Erhebung der Kanton Aargau heraus. Während der vom Bund frühestmögliche Zeitpunkt des Versands auf den 11. September gelegt wurde, hat der Kanton Aargau die Unterlagen bereits am 8. September 2023 und somit am Ende der Kalenderwoche 36 verschickt (es lag ein Wochenende dazwischen).
Ein Problem? Nein, ist Maria Bühlmann, die das Auslandschweizer-Stimmregister im Kanton Aargau (ZASR) führt, sicher. Sie rechne vom Wochenende des Urnengangs her, der Freitagabend gehöre in ihren Augen zum Wochenende dazu. Somit habe der Kanton Aargau die erlaubten sechs Wochen vor dem Abstimmungswochenende respektiert.
«Wir haben es schon seit Jahren so terminiert, dass wir die verpackten Unterlagen am Freitagabend der Post übergeben.» Diese Sendungen müssten dann vor dem Versand zuerst sortiert werden, bevor die Unterlagen effektiv verschickt werden könnten.
«Ich stelle so sicher, dass die Unterlagen nicht erst im Laufe der Kalenderwoche 37 verschickt werden», sagt Bühlmann, «sondern eben am erstmöglichen Tag.»
Sie hofft damit, «ihren» Auslandschweizer:innen – besonders auf der anderen Seite des grossen Teichs – die Chance zu verschaffen, an den Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen.
Hinter diesem Vorgehen stehe aber auch ein Sicherheitsüberlegung, betont die aargauische ZASR-Führerin. «Auf dem Stimmrechtsausweis befinden sich schützenswerte Daten.» Mit der Postaufgabe vor dem Wochenende geht laut Bühlmann auch die Verantwortung über das 3,7 Tonnen schwere Material an die Post.
Im Kanton Aargau seien mittlerweile über 12’500 Auslandschweizer:innen registriert – die Führerin des Auslandschweizer-Stimmregisters würde sich aber über eine höhere Stimmbeteiligung «ihrer» Schweizer:innen im Ausland freuen.
Denn obwohl die Unterlagen früh verschickt würden, nehmen trotzdem nicht alle registrierten Auslandschweizer:innen an Wahlen- und Abstimmungen teil.
>>>Das sind die Wahlversprechen an die AusgewandertenExterner Link.
«Wir würden gerne früher verschicken»
Der Aargau gehört zu den Kantonen, die das Wahl- und Stimmmaterial gerne noch früher verschicken würde. Laut Bericht des Bundesrats vom März 2023 haben die meisten Kantone angegeben, dass dies bei ihnen grundsätzlich möglich sei.
Scheitern tut dies jedoch beim Bund. «Der mehrmonatige Prozess von der Redaktion der Abstimmungsbroschüre bis zum versandfertigen Druck ist bereits heute sehr eng getaktet», heisst es im Bericht.
Um einen Versand früher als sechs Wochen vor dem Wahl- oder Abstimmungstag zu ermöglichen, würden umfangreiche organisatorische Eingriffe beim Produktionsablauf vorgenommen werden müssen. «Etwas, das bei einem seit Jahren erfolgreichen System nicht so einfach möglich ist.»
Doch das Problem der verspäteten Wahlunterlagen verschwindet nicht einfach. «Diese sechs Wochen reichen oft nicht aus. Der Übersee-Versand braucht zum Teil schon bis zu vier Wochen», sagt Bühlmann. Eine pünktliche Rücksendung ist für die Auslandschweizer:innen so nicht mehr möglich.
Bei den Wahlen 2023 haben immerhin die in Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau registrierten Auslandstimmbürger:innen dieses Rücksende-Problem nicht. Sie sind zwar auf einen pünktlichen Versand angewiesen. Da sie aber dieses Jahr per E-Voting abstimmen können, fällt die Rücksendefrist weg.
Probleme beim Verpacken
Von den 26 Kantone haben 23 die Unterlagen laut eigenen Angaben im Laufe der Kalenderwoche 37 verschickt und sind somit der Weisung des Bundes nachgekommen.
Einzig die Kantone Jura (3102 stimmberechtigte Auslandschweizer:innen) und Solothurn (4195 stimmberechtigte Auslandschweizer:innen) konnten das Stimm- und Wahlmaterial erst in der Kalenderwoche 38 verschicken. Warum?
«Leider kam es beim Einpacken zu einer Verzögerung, weshalb der Versand erst in Kalenderwoche 38 möglich war», schreibt die stellvertretende Staatschreiberin in Solothurn, Pascale von Roll, auf Anfrage.
Im Kanton Jura sei es «wegen eines Lieferproblems von einem Teil der Botschaften» zu Verzug bei der Verteilung der Unterlagen an die Gemeinden gekommen. «Aus diesem Grund ist der Versand des Stimmmaterials für die Gemeinden bis zum 18. September 2023 erfolgt», so das Staatssekretariat des Kantons Jura.
Das Ausmass der Verspätung ist den Kantonsbehörden aber nicht bekannt. Der Kanton Jura ist einer der 14 Kantone, in welchen die Gemeinden das Wahlmaterial verschicken.
Die Unterlagen sind also frühestens im Laufe der Kalenderwoche 38 verschickt worden – also über eine Woche später als vom Bundesrat gewünscht. Wertvolle Tage, die den Auslandschweizer:innen aus den Kantonen Solothurn und Jura fehlen, um an den Wahlen teilzunehmen.
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