Warum Schweizer Uhren «grüner» werden müssen
Auch wenn sie gerne behaupten, Produkte für die Ewigkeit zu verkaufen, stehen die Schweizer Uhrenhersteller erst am Anfang einer echten Auseinandersetzung mit den Umweltauswirkungen ihrer Industrie. In den Augen des jungen deutschen Ökonomen Robert Schacherbauer ist es an der Zeit, dass sich Nachhaltigkeit als Schlüsselelement des Swiss-Made-Labels etabliert.
Robert Schacherbauer (22) studiert Wirtschaftswissenschaften an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee und hat eine Bachelorarbeit zum Thema Nachhaltigkeit in der Schweizer Uhrenindustrie geschrieben. Im Laufe seiner achtmonatigen Recherche, während der er mehrere Reisen in die Schweiz unternahm, traf er sich mit zahlreichen Spezialist:innen und Insidern der Branche.
Sein Fazit ist eindeutig: Die Uhrenindustrie muss noch viel tun, um die Transparenz und die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte zu verbessern. Um die neue Generation von Konsument:innen zu überzeugen, die verantwortungsvoll und umweltbewusst einkaufen will, müsse die Branche ihr Wertschöpfungsmodell von Grund auf überdenken, so Schacherbauer.
swissinfo.ch: Luxusuhren sind von Natur aus für die Ewigkeit gemacht. Warum sollten sich Schweizer Uhrenfirmen um Nachhaltigkeit bemühen?
Robert Schacherbauer: Es gibt einige Faktoren, die eine Luxusarmbanduhr von Natur aus nachhaltig machen: Sie wird nicht mit fossilen Brennstoffen betrieben, sie kann von mehreren Generationen getragen werden und sie erhält ihre Energie durch eine einfache Drehung der Krone oder eine Bewegung des Handgelenks.
Dennoch muss man sich fragen, ob die Industrie genug tut. Der konkrete ökologische Fussabdruck der Produktion einer Uhr ist noch unbekannt. Zudem ist oft nicht klar, woher die Rohstoffe stammen, welche die Uhrenindustrie verwendet. Die neuen Erwartungen der Konsumierenden und der Druck des Klimawandels bieten die Gelegenheit, den Status quo der Branche zu überdenken.
Warum betonen die grossen Marken in ihrer Werbung nicht stärker den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz der Umwelt?
Die Luxusuhrenindustrie ist um das Versprechen internationaler Reisen, exklusiver Sportarten und hedonistischer Werte herum aufgebaut. Umweltschutz und recycelte Rohstoffe sind – vereinfacht gesagt – nicht en vogue.
Dennoch ist die Branche dabei, ihre Unternehmensstrategie zu überdenken und auf einen nachhaltigeren Ansatz umzustellen. Dasselbe gilt für die Kommunikation zu diesem Thema, die sich noch in den Kinderschuhen befindet. Das ist auch einer der Nachteile der Luxusgüterindustrie: Sie kann sich nur langsam an aktuelle Trends anpassen, da sie sich auf alte Erfolgsfaktoren stützt.
Ich persönlich sehe die Zukunft der Luxusindustrie darin, Luxus und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen und die Begriffe «Luxus» und «Vermögen» neu zu definieren. Prognosen zufolge werden die nach dem Jahr 2000 Geborenen bis 2025 weltweit 70% des potenziellen Marktes für persönliche Luxusgüter ausmachen. Mit der Ankunft dieser Generation Z muss sich die Branche grundlegend neu aufstellen.
Ende 2018 veröffentlichte der WWF einen vernichtenden Bericht über die Schweizer Uhrenindustrie, in dem es hiess: «Die meisten Unternehmen scheinen sich nicht um die Umwelt zu kümmern und sind nicht transparent». Hat sich seitdem etwas geändert?
Die Dinge haben sich in den letzten vier Jahren verändert, aber ich kann nicht sagen, ob dies eine Folge dieses Berichts ist oder nicht. Die Einstellung der Konsumierenden und der Verantwortlichen in der Uhrenindustrie hat sich stark verändert. In letzter Zeit haben einige Marken grosse Anstrengungen unternommen, um ökologische Nachhaltigkeit in ihre Produkte zu integrieren, aber es bleibt schwierig, gut geölte industrielle Kreisläufe zu verändern.
In welchen Bereichen der Uhrenindustrie besteht besonders viel Verbesserungsbedarf?
Die kritischsten Bereiche sind die Beschaffung von Rohstoffen – insbesondere von Edelmetallen – und die Transparenz der Lieferkette. Die Bemühungen in diesem Bereich sind von entscheidender Bedeutung, da viele Manufakturen noch immer nicht in der Lage oder nicht willens sind, darüber Auskunft zu geben.
Viele Betriebe verfolgen die Herkunft der von ihnen verwendeten Rohstoffe nicht zurück und vertrauen blind darauf, dass ihre Zulieferer nach den Nachhaltigkeitsprinzipien der Marke operieren. Insgesamt mangelt es der Branche an Transparenz. Sie operiert oft in einem von Geheimhaltung geprägten Klima und versucht, ihren Wettbewerbsvorteil zu wahren, indem sie die Namen ihrer Partner in der Kette der Zulieferfirmen nicht offenlegt.
Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte über die Schweizer Uhrenindustrie im Jahr 2021 investieren 72% der Marken in nachhaltige Lösungen, um ihren CO2-Fussabdruck zu reduzieren und den Anforderungen der Konsumierenden gerecht zu werden. Wie viel davon ist «Greenwashing»?
Greenwashing ist ein Problem, wie aktuell auch in vielen anderen Branchen. In der Uhrenindustrie tritt dieses Phänomen oft unbewusst auf. Die Marken wissen oft nicht, welche Auswirkungen ihre Handlungen tatsächlich haben. Dies zeigt sich auch darin, dass es unmöglich ist, die Umweltauswirkungen einer mechanischen Uhr zu bewerten.
Gegenwärtig konzentrieren sich die meisten Bemühungen auf die Herstellung von Armbändern aus recycelten Materialien. Die Idee, Abfall zu recyceln, ist grundsätzlich gut, aber wenn die Umweltkosten des Recyclings höher sind als die der Herstellung eines Stoffarmbands, sollte sich die Marke fragen, ob es das wirklich wert ist.
Viele Start-ups, die agiler sind als die grossen Marken, bieten innovative Uhren und Prozesse an, deren Umweltauswirkungen geringer sein sollen. Können sie als Katalysator für den Rest der Industrie dienen?
Das Ökosystem der Start-ups in der Uhrenbranche wächst rasant. Neue Uhrenherstellerfirmen beschäftigen sich mit der Kreislaufwirtschaft und bauen ihr Angebot bewusst auf Nachhaltigkeit aus. Sie müssen jedoch noch beweisen, dass sich dieser Weg langfristig auszahlt, sowohl in Bezug auf Wettbewerbsvorteile als auch auf die Vermarktung in einem bestimmten Umfang. Die ersten von diesen Start-ups entwickelten Produkte zeigen, dass die Ausrichtung auf eine nachhaltige Produktion positive Auswirkungen auf die Kostensenkung hat und zu einer höheren Effizienz führt. Dies ist ein gutes Zeichen für die zukünftige Lebensfähigkeit dieser Marken.
Am Ende Ihrer Forschungsarbeit plädieren Sie für eine Anpassung des Swiss-Made-Labels. Aus welchen Gründen?
Rund 95% aller weltweit verkauften Luxusuhren tragen den Stempel Swiss Made. In einer Zeit, in der die Funktion der Zeitanzeige durch das Smartphone ersetzt wurde, ist die technische Qualität nicht mehr das wichtigste Kriterium.
Heute dient das Swiss-Made-Label vor allem der Wahrnehmung durch die Konsumierenden. Die Industrie hat die Möglichkeit, den Begriff dieses Labels neu zu definieren und es mit Nachhaltigkeitskriterien anzureichern. Die Aufnahme von Nachhaltigkeitsanforderungen in das Gesetz würde den Mangel an politischem Handeln in Bezug auf die Wertschöpfung und die Herkunft der Materialien beheben.
Was schlagen Sie konkret vor?
Es gibt bereits einige Vorschläge, wie Nachhaltigkeit in das Swiss-Made-Label integriert werden könnte: Anstatt zu verlangen, dass 60% der Wertschöpfung einer Uhr in der Schweiz erfolgen muss, sollte die Produktion insgesamt auf Europa beschränkt werden, um «Reshoring» zu unterstützen und den Verbrauch und die Verschwendung von Ressourcen einzuschränken.
Die Herkunft und der Extraktionsprozess der Rohstoffe sollten nachvollziehbar sein, und Transparenz sollte zu einer Anforderung entlang der gesamten Wertschöpfungskette werden. Weitere Optionen sind regulatorische Anforderungen für eine kohlenstofffreie Produktion, beispielsweise durch die Nutzung von Energie aus Solarpanels auf den Dächern der Fabriken oder die Wiederverwertung von Fabrikwärme, einem Nebenprodukt der Uhrenherstellung.
Adaptiert aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi
Sibilla Bondolfi
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