Was ist bei der Credit Suisse schiefgelaufen?
Die Analysen dazu, was bei der Credit Suisse schiefgelaufen ist, kommen auf denselben Punkt: Eine internationale Bank, die den Bezug zu ihren Schweizer Wurzeln verloren hat, wurde von Leuten geführt, denen Profit wichtiger war als Umsicht.
Die Schweizer Grossbank Credit Suisse vermeldete kürzlich massive finanzielle Verluste und eine Umstrukturierung, in deren Folge 9000 Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz verlieren.
Was war geschehen?
Die Credit Suisse taumelt von einem Skandal zum nächsten: Bespitzelung eines ehemaligen Mitarbeiters, strafrechtliche Verurteilung wegen Geldwäsche von Drogenhändlern, Verstrickung in einen Korruptionsfall in Mosambik, Verletzung der Covid-Vorschriften durch einen Verwaltungsratspräsidenten und ein massives Leck von Kundendaten in den Medien.
Die Glaubwürdigkeit der Bank wurde durch die gescheiterten Investitionen in das britische Finanzunternehmen Greensill Capital und den US-Fonds Archegos Capital Management weiter beeinträchtigt. Beide waren im Jahr 2021 zusammengebrochen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die in Greensill investierten Kundengelder in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar (9,2 Mrd. Franken) in vollem Umfang zurückgezahlt werden. Und obwohl die Credit Suisse nicht die einzige Bank war, die von Archegos in Mitleidenschaft gezogen wurde, erlitt sie mit 5,5 Milliarden Dollar weitaus grössere Verluste als ihre Konkurrenz.
Die Schweizer Finanzmarktaufsicht warf der Bank vor, mehr als hundert Warnhinweise vorsätzlich ignoriert zu haben, als sie auf der Jagd nach Phantomgewinnen an den Rand einer Klippe geriet.
Wie konnte das passieren?
Im Nachhinein eine selbstzerstörerische Risikokultur zu erkennen, ist einfach. Aber es ist schwieriger zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Vor allem wenn so viele Analystinnen und Analysten darauf bestehen, dass die Risiken offensichtlich waren.
Unter solchen Umständen wird die Schuld auf die Führung der Bank geschoben.
Oswald Grübel, der ehemalige Geschäftsführer der Credit Suisse, sagt, dass die Schieflage begonnen habe, als er 2007 durch den amerikanischen Leiter des Investment Banking, Brady Dougan, ersetzt wurde.
«[Das Investmentbanking] war das einzige Geschäft, das ihn interessierte», sagte Grübel im Oktober der Boulevard-Zeitung Blick. «Er baute es aus, weil die finanziellen Anreize dort am grössten sind. Private Banking und auf die Schweiz fokussierte Geschäfte waren nicht seine Prioritäten.»
Dougans Nachfolger predigten nach dessen Abgang 2015 mehr Risikoverantwortung. Aber das scheint nicht in die Praxis gedrungen zu sein.
Hochrangige Risiko- und Compliance-Angestellte, die lange nach Dougans Abgang eingestellt wurden, gehören zu den Führungskräften, die im Zug der jüngsten Krise der Bank entlassen wurden.
Andere Kommentatorinnen und Kommentatoren machen Urs Rohner verantwortlich, der die Bank zwischen 2011 und 2021 leitete.
Die Konsequenzen
Unter dem Strich kommen steigende finanzielle Verluste, ein abstürzender Aktienkurs (84 Franken im Jahr 2007, 3 Franken heute), eine Abwanderung wohlhabender Kundschaft und eine rapide Erosion der Glaubwürdigkeit der Bank zusammen.
Die Bank ist so wichtig für die Schweizer Wirtschaft, dass sie von der Finanzmarktbehörde Finma als «too big to fail» eingestuft wird.
Aber die Credit Suisse hat noch einen anderen, weniger greifbaren Wert. Die Bank wurde 1856 vom berühmten Industriellen Alfred Escher gegründet, um die Finanzierung des Schweizer Eisenbahnnetzes zu unterstützen, das für die industrielle Entwicklung des Landes entscheidend war.
Dies könnte erklären, warum so viele Menschen in der Schweiz die aktuelle Misere der Bank auf angelsächsische Finanzexzesse zurückführen, welche die Schweizer Wurzeln der Credit Suisse schwächen.
Das Revival?
Das neue Managementteam der Credit Suisse hat eine radikale Umstrukturierung der Bank eingeleitet. Dazu gehören das Streichen von Teilen der risikoreicheren Geschäftsbereiche, Stellenabbau und eine zusätzliche Kapitalzufuhr, vor allem aus dem Nahen Osten.
«Die Bank wird auf ihren führenden Geschäftsbereichen Wealth Management und Swiss Bank aufbauen», versprach die Credit Suisse im Oktober 2022.
«Wir werden uns weiterhin voll und ganz darauf konzentrieren, unseren kulturellen Wandel voranzutreiben, und gleichzeitig daran arbeiten, unser Risikomanagement und unsere Kontrollprozesse weiter zu verbessern», sagte der aktuelle Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann.
Es ist nicht das erste Mal in den letzten Jahren, dass die Credit Suisse als an einem Scheideweg stehend beschrieben wird.
Die wichtigsten Ereignisse und Personen der letzten Zeit
Februar 2020: Geschäftsführer Tidjane Thiam muss inmitten eines Skandals um den Einsatz von Privatdetektiven zur Bespitzelung einer ehemaligen Führungskraft zurücktreten.
März 2021: Greensill Capital und Archegos Capital Management brechen zusammen, wodurch die Bank Verluste in Milliardenhöhe erleidet.
April 2021: Der langjährige Verwaltungsratspräsident Urs Rohner (2011-2021) tritt zurück, nachdem er im Jahr zuvor angekündigt hatte, die Bank zu verlassen.
Oktober 2021: Die Bank wird wegen ihrer Rolle in einem Korruptionsskandal in Mosambik, dem sogenannten «Tuna-Bond»-Betrug, mit einer Geldstrafe von 475 Millionen Dollar belegt.
Januar 2022: Der Präsident der Credit Suisse, António Horta-Osório, muss zurücktreten, weil er beim Besuch des Tennisturniers in Wimbledon gegen die Covid-Vorschriften verstossen hat.
Februar 2022: Im Rahmen des sogenannten «Suisse Secrets»-Leaks werden von einem Whistleblower Details zu 18’000 Kundenkonten an die Medien weitergegeben.
Juni 2022: Die Credit Suisse wird als erste inländische Grossbank in der Schweiz wegen Geldwäscherei strafrechtlich verurteilt. Dies im Zusammenhang mit einem bulgarischen Drogenschmuggelring.
Juli 2022: Geschäftsführer Thomas Gottstein wird abgesetzt und durch Ulrich Körner ersetzt.
Oktober 2022: Körner und Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann kündigen den Abbau von 9000 Stellen und eine Kapitalspritze von 4 Milliarden Franken an.
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch