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Mit 50 will das WEF beweisen, dass es einen besseren Kapitalismus gibt

Schwab
Der WEF-Gründer und Geschäftsführende Vorsitzende Klaus Schwab schrieb 1973 das erste Manifest, das als Ethik-Kodex für Wirtschaftsführer beschrieben wurde. Keystone / Valentin Flauraud

Auch ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Treffen der Eliten aus Wirtschaft und Politik in Davos ermutigt das Weltwirtschafts-Forum diese noch immer, zusammenzukommen und zu reden. Da immer mehr Menschen protestieren und Taten fordern, versuchen die WEF-Organisatoren zu zeigen, dass der Anlass, für den es eine Einladung braucht, über schöne Slogans hinausgehen kann.

Die Welt war entlang den ideologischen Linien des Kalten Kriegs geteilt, als der WEF-Gründer Klaus Schwab 1973 ein ManifestExterner Link veröffentlichte, in dem er argumentierte, dass Unternehmen sich um mehr als nur um Gewinn- und Verlustrechnungen kümmern sollten. Dies war – in einer Zeit, in der viele junge Menschen gegen Krieg protestierten und nicht für das Klima marschierten – eine bahnbrechende Idee.

Nur drei Jahre zuvor, etwa zur Zeit des ersten Weltkriegs, hatte der Wirtschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman seine seither oft zitierte TheorieExterner Link aufgestellt, dass die einzige soziale Verantwortung der Unternehmen darin bestehe, ihre Gewinne zu steigern.

In den folgenden Jahrzehnten gab Friedmans Theorie klar den Ton an, und Schwabs Ansichten traten in den Hintergrund, da die Wirtschaft in erster Linie die Aktionäre in den Vordergrund stellte.

Er habe dafür kämpfen müssen, sein Konzept als weiter herum verbreitete Idee zu etablieren, sagte Schwab, als er letzte Woche an einer Pressekonferenz über seine Theorie sinnierte.

Zum 50. Jahrestreffen in den Schweizer Alpen in Davos gibt das WEF Schwabs Originalmanifest ein neues Gesicht, bringt die Sprache des Stakeholder-KapitalismusExterner Link zurück und erinnert die Öffentlichkeit an sein Mantra aus den Anfangsjahren: Was gut ist für die Gesellschaft, ist gut für das Geschäft.

Regulierung im Zaum halten

Das neue Davos-ManifestExterner Link kommt zu einer Zeit erhöhter Besorgnis in der Unternehmenswelt, da Klimaaktivisten und -aktivistinnen in Massen auf die Strasse gehen, und die Politik versucht, Unternehmen in vielen Bereichen stärker an die Kandare zu nehmen, von Arzneimittelpreisen bis hin zu Datenschutz.

Und Unternehmen reagieren darauf. Im vergangenen Jahr machte eine Branchenorganisation von Führungskräften in den USA Schlagzeilen, als über 180 Unternehmenschefs eine ErklärungExterner Link unterzeichneten, in welcher der Zweck von Unternehmen neu definiert wurde, um die Interessen einer breiter gefächerten Gruppe von Stakeholdern einzubeziehen.

Die Erklärung war allerdings mehr eine Reaktion als bahnbrechend, in einer Zeit, in der Unternehmen unter wachsendem Druck von Mitarbeiternden, Zulieferern und Gemeinschaften stehen.

Oliver Claasen von der Schweizer Nichtregierungs-Organisation Public Eye, die im Lauf der Jahre etliche Anti-WEF-Aktionen in Davos organisiert hat, hinterfragt die Motive hinter gewissen Aussagen von Unternehmen und dem WEF.

«Noch nie standen Unternehmen so unter Druck wie heute», sagt er gegenüber swissinfo.ch und verweist auf die Buschfeuer in Australien. Unternehmen, vor allem in der Öl- und GasindustrieExterner Link, sehen sich in die Enge getrieben, mehr gegen den Klimawandel zu unternehmen, bevor schärfere Regulierungen erlassen werden.

Der öffentliche Druck ist auch in der Schweiz zu spüren, wo die lasche Regulierung oft ein Argument für Firmen war, sich hier niederzulassen. Es wird erwartet, dass das Schweizer Parlament in den nächsten Monaten die Debatte über die Konzernverantwortungs-Initiative wieder aufgreift.

Diese will die Schweizer Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland zu achten und für allfällige Verstösse oder Schäden zu haften. Das Schweizer Volk wird wahrscheinlich noch in diesem Jahr über die Initiative abstimmen.
Frédéric Dalsace, Professor am Management-Institut IMD in Lausanne, sieht die Dinge bis zu einem gewissen Grad ähnlich: «Es geht um Zuckerbrot und Peitsche. Es gibt ein Rennen. Kriegen die Unternehmen die Kurve rasch genug hin, oder werden die Regierungen einschreiten?»

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Auf die Probe stellen

Die Financial Times berichteteExterner Link, dass mehr als die Hälfte der grössten US-Unternehmen Briefe unterzeichnet haben, in denen sie die neue Definition des «Zwecks» von Firmen unterstützen. Sogar einige der von Nichtregierungs-Organisationen am stärksten verunglimpften Firmen änderten ihre Ausrichtung, was den «Zweck» ihres Geschäfts angeht.

So spricht der in der Schweiz angesiedelte Rohstoffgigant Glencore nun von seiner MissionExterner Link als «verantwortungsbewusste Beschaffung von Rohstoffen für das tägliche Leben», anstatt sich einfach als «Produzent und Vermarkter von Rohstoffen, der auf der ganzen Welt tätig ist» zu bezeichnen, wie er es in seinem Jahresbericht 2015Externer Link noch getan hatte.

Wenn jedoch die Kernaktivitäten von Unternehmen in Frage gestellt werden, kann die Bereitschaft zu Veränderungen an ihre Grenzen stossen. So wurde der deutsche Industriekonzern Siemens wegen seines Engagements in einem australischen Kohlbergwerk angesichts der Brände, die bereits einen Teil des Landes zerstört haben, der um ein Vielfaches grösser ist als die Schweiz, zur ZielscheibeExterner Link von Klimaschützern wie der jungen Schwedin Greta Thunberg.

Trotz des Drucks der Aktivistinnen und Aktivisten entschied sich Siemens aber, das Kohleprojekt weiterzuführen. Siemens-CEO Joe Kaeser erklärteExterner Link: «Ich habe zwar viel Einfühlungsvermögen für Umweltfragen, muss aber unterschiedliche Interessen der verschiedenen Interessengruppen in Einklang bringen.»

Dies führt dazu, dass Leute wie Christy Hoffmann, Generalsekretärin des Gewerkschafts-Dachverbands UNI Global Union, mit einer Portion Skepsis nach Davos kommen. «Es reicht nicht aus, zu sagen, dass wir die Welt zu einem besseren Ort machen wollen», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.

«Wenn der Stakeholder-Kapitalismus etwas wirklich Neues sein soll, und nicht einfach ein paar Tropfen gute Taten, muss er eine grundlegende Machtverschiebung zugunsten der arbeitenden Bevölkerung nach sich ziehen.»

Es gibt viele Beispiele von Unternehmen, die bei Produkten oder Projekten eine Kehrtwende vollzogen haben, weil sie nicht länger mit ihren eigenen Werten und ihrer Ethik in Einklang standen, oder Firmen, die Lösungen für drängende globale Herausforderungen entwickeln. Was auch immer die Motive sein mögen, so etwas hatte es in den 1970er-Jahren nicht gegeben.

Noch wirkungsvoller als Regulierung, Aktionäre oder auch Aktivisten, erklärt Dalsace, seien mit digitalen Werkzeugen ausgerüstete kritische Konsumentinnen und Konsumenten. «Als die Nespresso-Kapseln neu auf den Markt kamen, wurde der Nachhaltigkeit des Produkts nicht Rechnung getragen, doch die Konsumenten verlangten dies, und Nestlé musste sich ändern.»

Keine Solo-Aktionen mehr

Classen befürchtet auch, dass all das Gerede von der grundlegenden Notwendigkeit der Rechenschaftspflicht ablenke. «Es ist, als würden sich die Brandstifter selbst Feuerwehrleute nennen. Unternehmen präsentieren sich als diejenigen, welche die Probleme lösen, aber sie haben sie geschaffen», sagt er.

Für ihn ist das Partnerschafts-AbkommenExterner Link, welches das WEF und die UNO im vergangenen Jahr unterzeichnet haben, der Inbegriff des Problems. Das Abkommen «zeichnet ein Bild, das Firmenchefs zu Chefeinflüsterern der UNO-Agenturen und -Programme machen würde. Es ist das empörendste Beispiel für die Vereinnahmung der Globalen Gouvernanz durch Unternehmen, das wir je gesehen haben».

Unmittelbar nach der Ankündigung des Abkommens im letzten Jahr wurde es von mehr als 250 Gruppen der Zivilgesellschaft scharf kritisiert; sie unterzeichneten ein SchreibenExterner Link, in dem die UNO aufgefordert wurde, das Abkommen zu beenden. Sie erklärten, die «Korporatisierung der UNO» würde den Vereinten Nationen die Legitimation abgesprochen und die öffentliche Unterstützung werde reduziert, während der Multilateralismus ohnehin bereits bedroht sei.

UNO-Agenturen wurden schon mehrfach dafür kritisiert, dass sie Partnerschaften mit der Wirtschaft eingegangen sind, unter anderem die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) für die Annahme von Geldern der Tabakindustrie.

WEF-Chef Klaus Schwab argumentiert, die Probleme seien zu komplex, als dass sie ein einzelner Sektor oder Akteur alleine lösen könnte. «Grosse Herausforderungen, sei es die Umwelt oder die Armut, können nicht nur von Regierungen allein, von Unternehmen allein, oder von der Zivilgesellschaft gelöst werden», sagte Schwab gegenüber der Financial TimesExterner Link.

Dalsace stimmt zu: Firmen beiseite zu schieben, sei nicht die Antwort. «Man muss sich der Realität stellen. Heute gibt es Unternehmen, die Billionen Dollar wert sind. Das ist mehr als das BIP vieler Länder. Die UNO muss lernen, wie sie mit diesen Firmen reden kann, wenn wir Probleme lösen wollen.»

Und er argumentiert, kein Land wisse das besser als die Schweiz mit ihren zahlreichen multinationalen Unternehmen und internationalen Organisationen. «Es ist die Schweizer Art, Kompromisse zu suchen und Dinge zu regeln.»

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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