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Weltweit tätige Konzerne in die Pflicht nehmen

In den Bergwerken der Demokratischen Republik Kongo sind Multis immer wieder der Menschenrechtsverletzungen angeklagt. Reuters

Tochterfirmen von Schweizer Konzernen im Ausland verletzen immer wieder Menschenrechte und Umweltstandards, ohne dass der Hauptsitz der Konzerne dafür rechtlich einstehen muss. Eine Kampagne von 50 Organisationen fordert deshalb klare Instrumente.

Die Schweiz weist die höchste Dichte an international tätigen Firmen auf. Nicht nur alteingesessene wie Nestlé, Holcim, Novartis, Roche, Syngenta und Triumph geraten wegen Missachtung von Arbeits- und Menschenrechten oder Schäden der Umwelt immer wieder unter Beschuss.

Laut der «Allianz Recht ohne Grenzen», eine Vereinigung von 55 Schweizer Entwicklungs- und Menschrechts-Organisationen, gibt es immer wieder neue Fälle: Dass die Ölexplorationsfirma Transocean ihren Sitz in Zug hat, ist durch die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko bekannt geworden.

In den letzten zehn Jahren haben rund 270 ausländische Firmen wegen Steuervorteilen ihren regionalen oder globalen Hauptsitz in die Schweiz verlegt. Die Konzerne und ihre Tochterfirmen stellten ein «Reputationsrisiko für die Schweiz» dar, hält die Allianz fest.

Rahmen schaffen

«Wir wollen nicht einzelne Unternehmen anklagen», betonte Peter Niggli, Geschäftsleiter Alliance Sud der grossen Hilfswerke. «Es geht uns um den politischen, gesetzlichen und institutionellen Rahmen.»

Und um Rechtsverbindlichkeit: Mit der am Donnerstag in Bern lancierten Kampagne und Unterschriftensammlung werden Bundesrat und Parlament aufgefordert, zwingende Bestimmungen zu schaffen, die hier ansässige Konzerne verpflichten, Menschenrechte und Umweltstandards weltweit zu respektieren.

Bisher seien diese Anliegen dem Gutdünken der Konzerne überlassen, diese wählten «à la carte» aus, welche Prinzipien sie unter welchen Umständen berücksichtigen wollen, konstatierte Danièle Gosteli Hauser, zuständig für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz.

Initiativen wie der Global Compact oder die kürzlich revidierten OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen nützten nur beschränkt. «Profite ja, aber nicht auf Kosten der Menschenrechte und der Umwelt», betonte Gosteli.

Neue Instrumente

Es gibt derweil Instrumente: Der UNO-Menschenrechtsrat hat Professor John Ruggie beauftragt, einen besseren Handlungsrahmen zu entwerfen und im Juni entsprechende Leitlinien verabschiedet. Diese pochen auf die Verantwortung von Staaten wie von Unternehmen und wollen sicherstellen, dass Opfer klagen und Wiedergutmachung einfordern können.

Verstosse zum Beispiel ein Glencore-Tochterunternehmen in der Republik Kongo gegen Menschenrechte und Umweltstandards, hätten die Opfer heute keine Möglichkeit, die verantwortliche Mutterfirma einzuklagen, kritisierte Chantal Peyer von Brot für alle / Fastenopfer. Die kirchlichen Entwicklungsorganisationen prangern seit längerem Probleme bei der Ausbeutung von Bodenschätzen an.

Gewinn für alle möglich

Auch die Erklärung von Bern (EvB) weist auf das «Klumpenrisiko Rohstoffbranche» hin: Zwei Drittel aller Metall- und Energierohstoffe stammen aus Entwicklungsländern und oft aus Konfliktregionen, wobei Schweizer Firmen beim Abbau an vorderster Front seien.

Wenn die rohstoffarme Schweiz im Handel mit Rohstoffen weltweit eine Spitzenposition erlangt habe, müsse sie auch rasch klare Bestimmungen zu Menschenrechten und Umwelt einführen, sagte Urs Rybi von der EvB.

Dass schnelles Handeln möglich ist, zeigt der Fall der weltweit grössten Söldnerfirma Aegis: Nachdem sich diese in Basel niedergelassen hat, sind Parlament und Bundesrat bestrebt, Söldnerfirmen den Standort Schweiz zu verbieten.

Der scheidende Tessiner FDP-Ständerat und Menschenrechtsspezialist Dick Marty fügte an, die Schweiz könne angesichts der hohen Dichte internationaler Konzerne gar eine Vorreiterrolle übernehmen statt immer verspätet zu reagieren wie bei Korruption oder Steuerflucht.

«Das Sitz-Problem hat ein Potenzial, der Schweiz einen weiteren Image-Schaden zuzufügen», konstatierte Marti. Dank den von der Allianz geforderten Massnahmen könnten alle gewinnen, die betroffenen Menschen, die Firmen und die Schweiz als Staat.

Ziel der Kampagne «Recht ohne Grenzen» ist es, eine Parlamentsmehrheit für gesetzliche Bestimmungen zu gewinnen, damit Schweizer Konzerne, ihre Tochterfirmen und Zulieferer weltweit die Menschenrechte und Umweltnormen einhalten. Vorstösse gibt es noch keine, diese sollen bis Sommer 2012 folgen.

Innerhalb der EU sei die Debatte bereits fortgeschritten, vergleicht die Kampagne: Das EU-Parlament hat 2007 eine Resolution zu Corporate Social Responsibility (CSR) verabschiedet, die betont, freiwillige Massnahmen sollten mit verbindlichen Regeln und auch Sanktionsmechanismen kombiniert werden. Ende Oktober hat die EU-Kommission dies für die Öl- und Bergbauunternehmen konkretisiert. Weitere Massnahmen fordert die Kampagne «European Coalition for Corporate Justice» (ECCJ).

Auch die UNO und die OECD versuchen, international tätige Unternehmen auf die Respektierung von Menschenrechten und Umweltstandards zu verpflichten. Bei den Schweizer Behörden habe das Thema jedoch noch kein grosses Echo gefunden.

Marktbeobachter gehen davon aus, dass etwa 70% der russischen Ölhandelsgeschäfte über die Schweiz abgewickelt werden und etwa ein Drittel des Handels mit Rohöl-Produkten in Genf über die Bühne geht.
 
Genf liegt zudem beim Handel mit Kaffee, Zucker, Getreide und Ölsaaten auf dem ersten Platz. Den Rang als weltweit grössten Handelsplatz für Baumwolle teilt sich die Stadt mit London.
 
In der Region zwischen Genf und Lausanne sind etwa 400 Firmen im Sektor Rohstoffhandel tätig. Sie beschäftigen knapp 10’000 Personen und schlagen gemeinsam globale Rohstoffe im Wert von etwa 800 Milliarden Dollar um. 

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