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Wer wird die Fluggesellschaft Swiss retten?

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Dutzende Flugzeuge der Swiss sind seit dem 23. März auf dem Flughafen Dübendorf bei Zürich abgestellt. Keystone / Ennio Leanza

Leere Flughäfen, Flugzeuge am Boden, Fluggesellschaften am Rande des Bankrotts: Die Zivilluftfahrt ist mit am stärksten von der Coronavirus-Pandemie betroffen und wird vielleicht am längsten darunter leiden. Droht der Schweiz fast 20 Jahre nach dem Ende der Swissair nun auch der Verlust der Swiss?

Am 2. Oktober 2001 blieben die Flugzeuge der Swissair am Boden. Die Schweizer Fluggesellschaft war Opfer einer riskanten Übernahmestrategie des Managements geworden. Dem Unternehmen ging sogar das Geld für den Treibstoff der Flugzeuge aus. Mit dem Grounding der Swissair brach auch eines der Wahrzeichen des wirtschaftlichen und technologischen Erfolgs der Schweiz seit den 1950er-Jahren zusammen.

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Dank eines grossen Rettungsplans für die nationale Zivilluftfahrt in Höhe von 3 Milliarden Franken – umgesetzt von Bund, Kantonen und Privaten – wurde im März des folgenden Jahres aus der Asche der Swissair die Swiss geboren. Die neue, bescheidenere Fluggesellschaft wurde 2005 für ein Butterbrot, nämlich für 330 Millionen Franken, an die deutsche Lufthansa verkauft.

Fast 20 Jahre später stehen die Flugzeuge wieder am Boden. Und das nicht nur in der Schweiz. Infolge der Coronavirus-Pandemie ging die Zahl der Flüge Anfang April im Vergleich zum Vorjahr weltweit um 80% zurück.

Nach Angaben der International Air Transport Association (IATA) wird erwartet, dass sich das Passagieraufkommen bis 2020 im Vergleich zum Vorjahr halbieren wird. Und es wird erwartet, dass die Einnahmen der Fluggesellschaften Verluste in Höhe von 314 Milliarden Dollar erleiden werden (-55% im Vergleich zu 2019).

Viele Staaten, allen voran europäische Länder und die USA, haben umfangreiche finanzielle Unterstützungsprogramme für die Zivilluftfahrt angekündigt. Doch die Zukunft vieler Fluggesellschaften scheint ziemlich ungewiss, nicht zuletzt, weil es nach wie vor schwierig ist, die Dauer der Pandemie vorherzusagen. Auch heute ist noch unklar, wie die Schweiz aus dieser Krise hervorgehen wird.

Seit ihrer Gründung hat die Swiss verschiedene Umstrukturierungen durchlaufen: Von mehr als 130 Flugzeugen ist ihre Flotte innerhalb weniger Jahre auf rund 80 geschrumpft.

Die Integration in den Lufthansa-Konzern ist jedoch erfolgreich verlaufen: Die in der Schweiz ansässige Fluggesellschaft Swiss schloss 2007 zum ersten Mal mit einem Überschuss ab. Das beste Ergebnis wurde 2018 mit einem Umsatz von mehr als 5,3 Milliarden Franken und einem Rekordbetriebsgewinn von 636 Millionen Franken erzielt. Sowohl die Zahl der Flugzeuge als auch die Zahl der Arbeitsplätze haben in den letzten Jahren wieder zugenommen.

Im Jahr 2019 beförderte die Swiss 19 Millionen Passagiere in 45 Länder. Der Güterverkehr, der durch die Division Swiss Worldcargo ausgeführt wird, umfasste 130 Destinationen in 80 Ländern. Seit Mitte März war die Fluggesellschaft jedoch gezwungen, ihren Betrieb drastisch einzuschränken: Der Passagierverkehr beschränkte sich auf einen einzigen Langstreckenflug zwischen Zürich und Newark (USA) und nur noch acht europäische Verbindungen.

In den letzten Wochen hat sich die Swiss auch an einer Reihe von Rückholflügen für im Ausland gestrandete Schweizer Bürgerinnen und Bürger beteiligt, die vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten organisiert wurden, sowie am Transport von medizinischer Ausrüstung aus Asien.

Die finanzielle Situation wurde innerhalb weniger Wochen prekär, und auch die Swiss musste Kurzarbeit anmelden, um die fixen Personalkosten (9560 Stellen) zu decken. Das Unternehmen sieht sich mit Verlusten konfrontiert, die auf 4 bis 5 Millionen Franken pro Tag geschätzt werden.

Die Swiss verfügt nicht über ausreichende Reserven, um diesen Abfluss langfristig zu tragen – Gewinne sind regelmässig in die deutsche Gruppe geflossen. Der CEO der Swiss, Thomas Klühr, sagte vor einigen Tagen, dass er für sein Unternehmen bis Ende des Jahres einen maximalen Flugdienst von 75% erwartet.

Diese Krise fällt in eine heikle Zeit für die deutsche Gruppe, die seit einigen Jahren mit Turbulenzen zu kämpfen hat, insbesondere im Hinblick auf die Rendite von Kurz- und Mittelstreckenflügen. Der Wert ihrer Aktien hat sich zwischen 2017 und 2019 bereits halbiert, noch vor Beginn der Pandemie. Die Lufthansa verliert nach Angaben ihres CEO Carsten Spohr heute rund 1 Million Franken pro Stunde.

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Vor einigen Tagen kündigte der deutsche Konzern erste radikale Massnahmen an, darunter die Schliessung seiner Billigfluggesellschaft Germanwings und einen Abbau um rund 10% der 760 Flugzeuge umfassenden Flotte.

Die Swiss wird ihrerseits die Auslieferung bereits bestellter Flugzeuge verzögern und einige ihrer älteren Flugzeuge rasch aus dem Verkehr ziehen müssen. Dabei handelt es sich jedoch nur um ein erstes Paket der Restrukturierung.

Der Lufthansa fehlt es an Liquidität. Sie verhandelt mit Banken über Kredite und hat den deutschen Staat bereits um Milliardenhilfe gebeten. Die Regierung von Angela Merkel scheint bereit zu sein, grosse Geldspritzen im Austausch gegen Aktien zu gewähren. Damit würde der Staat mehr als 20 Jahre nach der Privatisierung der Lufthansa eine erhebliche Beteiligung an deren Kapital übernehmen.

Das Schicksal der Swiss hängt auch von diesen Verhandlungen ab. Sicherlich hat der deutsche Konzern jedoch kein Interesse daran, der in der Schweiz ansässigen Swiss die Flügel zu stutzen, da sie sich bisher als gute Investition erwiesen hat. Seit der Übernahme hat die Swiss der Lufthansa bereits rund 5 Milliarden Franken Gewinn eingebracht, davon allein 2 Milliarden in den letzten vier Jahren.

Auch die Schweizer Regierung zieht in Erwägung, der Zivilluftfahrt Kredite zu gewähren, weil diese eine «kritische» und für das ganze Land wichtige Infrastruktur darstellt. Die Zivilluftfahrt generiert jährlich rund 30 Milliarden Franken Wertschöpfung für die Schweizer Wirtschaft und bietet direkt oder indirekt 190’000 Arbeitsplätze. Die Flugverbindungen ermöglichen es, mehr als einen Drittel der Exportprodukte ins Ausland zu transportieren und 38% der Touristinnen und Touristen in die Schweiz zu bringen. Das Passagieraufkommen hat sich in den letzten 20 Jahren praktisch verdoppelt.

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Der Bundesrat will aber nur unter der Bedingung eingreifen, wenn die Fluggesellschaften präzise Garantien liefern (neben der Swiss soll auch Easyjet Switzerland finanziell unterstützt werden).

Insbesondere sollen die Fluggesellschaften nachweisen, dass sie alle anderen Möglichkeiten zur Lösung ihrer Liquiditätsprobleme ausgeschöpft haben. Zudem darf kein Geld mehr an die Muttergesellschaften im Ausland fliessen, beispielsweise in Form von Gewinnen, bevor nicht die Kredite zurückgezahlt sind.

Hilfen gewährt werden sollen auch anderen Unternehmen, die zum Sektor der Luftfahrt gehören, zum Beispiel den Flughäfen, Skyguide, Swissport oder Gategroup.

Die meisten Parteien unterstützen die Hilfsbereitschaft der Regierung, doch es gibt auch Kritik. Laut Thomas Matter von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist es inakzeptabel, dass die Gewinne der Swiss nach Deutschland abfliessen und die Verluste nun mit Schweizer Hilfe getilgt werden sollen. Seiner Meinung nach wäre es für die Schweiz interessanter, die Swiss Konkurs gehen zu lassen, um sie anschliessend zu einem niedrigen Preis zurückzukaufen.

Die Idee, wieder eine echte «nationale Fluggesellschaft» in der Schweiz zu haben, mag für viele verlockend erscheinen, ist aber wenig realistisch. Genau wie in den Tagen des Swissair-Groundings sind Investoren nicht bereit, die Risiken eines Unternehmens mit einem Umsatz von mehreren Milliarden Franken in einer unsicheren Branche zu übernehmen. Auch die Beteiligung von Bund und Kantonen, die seit mehr als 20 Jahren eine Politik der Privatisierung und Liberalisierung verfolgen, erscheint nicht realistisch.

Die Grünen sind der Meinung, dass die Fluggesellschaften nur dann gerettet werden sollten, wenn sie sich verpflichten, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Unterstützt von anderen Parteien und Organisationen haben die Grünen einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die Regierung auffordern, nicht das ungebremste Wachstum des Flugverkehrs zu begünstigen. Dieser verursache 19% der Klimabelastung in der Schweiz. Der Bundesrat solle umweltfreundlichere Verkehrsmittel bevorzugen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)

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