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Wenig Kredit der Schweizer Presse für Hollande

Eklat in Frankreich nach der Polemik des Wirtschaftsministers: Nun soll Premier Manuel Valls (rechts im Bild) ein neues Kabinett bilden - ein disziplinierteres. AFP

Mit seiner Kritik am Sparkurs hatte Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg eine Regierungskrise ausgelöst, worauf François Hollande seinen Regierungschef beauftragte, ein neues Kabinett zu bilden. Die Schweizer Medien sind skeptisch, ob sich der französische Staatspräsident damit Autorität verschaffen kann. 

«Unterwegs nach nirgendwo», betitelt die Westschweizer Tageszeitung Le TempsExterner Link ihren Kommentar zur Regierungsumbildung Frankreichs. Die Grande Nation könne Arnaud Montebourg danke sagen dafür, dass er die Auflösung der Regierung provoziert habe. Der Wirtschaftsminister habe die Exekutive zu einer längst fälligen Klärung gedrängt, mit welchen Mitteln sich die zweitgrösste Wirtschaft Europas wieder aufrichten lasse.

Die Rezepte seien hinreichend und seit Jahren bekannt, sagt Le Temps: das enge Korsett des überregulierten Arbeitsmarkts lockern, die Steuern für Unternehmen senken, um Anreize für Investitionen zu schaffen (was die Regierung zur grossen Empörung der «wahren Linken» zu tun begonnen habe), die Abgaben reduzieren, welche die Löhne amputierten. Damit verbunden seien zwangsläufig «eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben und eine Reduktion der elefantösesten Behörde Europas».  

Dies sei «die andere Politik», welche alle Regierungen Frankreichs in den letzten 30 Jahren nicht umzusetzen wagten. «Und nicht der grobschlächtige Keynesianismus, den Arnaud Montebourg und seine Verbündeten predigen.»

Die Frage sei nur, ob eine Mehrheit der Sozialisten bereit sei, diesen Kurs zu unterstützen. Montebourg sei auf einer Route unterwegs, die nirgends hinführe und die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass Frankreich echte Reformen benötige.

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«Begnadeter Selbstdarsteller»

Ins gleiche Horn stösst die Neue Zürcher ZeitungExterner Link (NZZ). «Es kommt nicht jeden Tag vor, dass der Wirtschaftsminister eines Landes die Wirtschaftspolitik seiner eigenen Regierung in Grund und Boden verdammt und dann auch noch glaubt, einfach weiter auf seinem Sessel kleben zu können.

Aber in Frankreich habe man sich schon derart an die «Clownerien des begnadeten Selbstdarstellers Arnaud Montebourg» gewöhnt, dass die ungewöhnlich resolute Reaktion aus dem Elyséepalast das ganze Land überrascht habe.

«Die dreiste Forderung des Ministers nach einem fundamentalen Kurswechsel in der Haushaltspolitik, kurz nachdem Präsident Hollande genau dies öffentlich ausgeschlossen hatte, geht offenkundig selbst dem ständig lavierenden Staatschef zu weit.» Indem Hollande nun gleich die ganze Regierung auflöse, versuche er seine Autorität wiederherzustellen. Ob dies gelingen werde, bezweifelt die NZZ allerdings.

Jahrestag der Befreiung

Inmitten der schweren Regierungskrise hat Paris am Montagabend den 70. Jahrestag seiner Befreiung gefeiert. Frankreichs Präsident François Hollande hob vor dem Rathaus der Hauptstadt den Mut und die Opferbereitschaft der Widerstandskämpfer gegen die NS-Besatzer hervor.

Offenbar mit Blick auf die derzeitige Situation sagte er: «Ohne Anstrengungen, ohne Opferbereitschaft und ohne Mut erreichen wir nichts.» Ziel allen Handelns müssten immer «die Wettbewerbsfähigkeit» und «die Unabhängigkeit» Frankreichs sein, wobei auch das «soziale Gleichgewicht» im Auge behalten werden müsse.

(Quelle: sda)

Hollande, der «notorische Zauderer», habe sich entscheiden müssen zwischen Premierminister Valls und Wirtschaftsminister Montebourg. Dass die Beiden das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben, ist kein Geheimnis. «Valls ist seine letzte Trumpfkarte, auf sie kann er auf keinen Fall verzichten.» Der Name Valls werde erneut an der Spitze der neuen Regierung stehen, der Name Montebourg mit Bestimmtheit fehlen, mutmasst die wirtschaftsnahe Zeitung, Vielleicht müssten auch zwei oder drei andere Minister, die den offiziellen Kurs nicht mittragen würden, die Koffer packen. Hollande habe damit die Rebellion in den eigenen Reihen im Keim erstickt – aber nur vorerst. «Montebourg bleibt ein Machtfaktor. Ausserhalb der Regierungsverantwortung wird es ihm sogar leichter fallen, in den Augen seiner Anhänger politisch glaubwürdig zu bleiben.»

Wenig Kredit hat der französische Staatspräsident auch bei der Basler ZeitungExterner Link BaZ. «In wenigen Monaten ist es ihm gelungen, den Grossteil seiner Wähler zu frustrieren, Skeptiker zu bestärken und seine Gegner zu Protesten auf die Strasse zu treiben.» Jetzt sei er mit interner Kritik aus den eigenen Reihen konfrontiert und wirke zunehmend einsam. «Es ist zu offensichtlich, dass diese Regierungskrise das Symptom einer Schwäche ist.» Mit der Umbildung der Regierung auf interne Disziplin zu pochen, sei es nicht getan. Viel komplizierter sei die Aufgabe, so die BaZ,  «eine Wirtschaft mit Rezepten auf Trab zu bringen, die seit mehr als 20 Jahren in Europa gegen den Strom schwimmen».

«Nichts zu verlieren»

«Hollandes letzte Chance», heisst der Titel des Kommentars, der im Zürcher Tages-AnzeigerExterner Link und im Berner Bund Externer Linkerscheint. Der französische Staatspräsident könne sein Mandat theoretisch zwar auch mit null Prozent Beliebtheit zu Ende führen – so wolle es die Verfassung –, «Autorität ist aber zentral für die Führung der Geschäfte». Die linken Kritiker aus den eigenen Reihen hätten Holland herausgefordert und ihn als Schosshündchen Angela Merkels belächelt. «Im Grunde sprachen sie ihm die Fähigkeit ab, das hohe Amt angemessen auszufüllen. Ein Affront sondergleichen war das, der nach entschlossenem Handeln schrie.»

Es könnte bewirken, dass Hollande nun endlich regiere und die restlichen drei Jahre für eine couragierte Reformagenda nutze, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten in seiner Partei. «Vielleicht war die Gelegenheit, dieses reformrenitente Land zu reformieren und dessen Verkrustungen aufzubrechen, nie so günstig wie jetzt, da der Präsident nichts mehr zu verlieren hat.»

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