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Wenn Fans einer Netflix-Serie den Schweizer Bergfrieden stören

Asian tourists taking photos at the pier in Iseltwald.
Fans aus Asien besuchen Iseltwald, weil hier das romantische koreanische Netflix-Drama "Crash Landing On You" gedreht wurde, dessen Schlüsselszenen auf der malerischen Seebrücke des Dorfes spielen. Keystone / Peter Klaunzer

Die Fans der südkoreanischen Fernsehserie "Crash Landing on You" strömen aus ganz Asien in die Schweiz, genauer: Nach Iseltwald, eine kleine Ortschaft im Kanton Bern, der in der Serie als Drehort diente. Der Besucherstrom überfordert das Dorf und hat zu einer Gegenreaktion von Einheimischen und Tourismusverantwortlichen geführt.  

Als die Buslinie 103 von Interlaken an diesem Montagmorgen Ende August sein Ziel erreicht, das malerische Dorf Iseltwald im Kanton Bern, steuern die asiatischen Fahrgäste umgehend das Ufer des Brienzersees an.

Das Endziel dieser Reise, die für einige in Korea oder Vietnam begann, ist ein hölzerner Steg am See. Hier spielt eine der Hauptfiguren der Netflix-Serie «Crash Landing on you» Klavier. Während er spielt, kommt das Mädchen seines Herzens mit einer Fähre aus Interlaken an. Seitdem ist der Ort ein Muss für Fans der Serie.

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Rund um den 1,5 m breiten und 7 m langen Pier warten bereits etwa 10 Tourist:innen, um einzusteigen und Fotos zu machen. Den ganzen Tag über wechseln sich Gruppen dieser Grössenordnung auf dem Pier ab, die ihre Reise fotografisch verewigen wollen. Sie kommen mit Stativen, Selfie-Sticks und sogar Drohnen. Wenn jeweils der nächste Bus eintrifft, wird die Warteschlange noch länger.

Das Drama ist eine Liebesgeschichte über die südkoreanische Erbin eine Familienkonzerns, die mit einem Gleitschirm in Nordkorea abstürzt und sich in einen nordkoreanischen Soldaten verliebt. Die Serie wurde in Südkorea im Dezember 2019 erstmals ausgestrahlt und verzeichnete hohe Einschaltquoten. Das beispiellose Setting, in dem sich eine südkoreanische Frau und ein nordkoreanischer Mann ineinander verlieben, führte zu einem Boom in Südkorea und anderen asiatischen Ländern, darunter Japan, Vietnam und China. Der Film wird derzeit von Netflix auf neun Sprachen in 190 Ländern vertrieben.

In der Schweiz dienten Zürich, Luzern und Bern als Drehorte für das Drama. Die Szene auf besagtem Steg, wo eine der Hauptfiguren (Ri Jeong-hyeok) Klavier spielt, ist besonders berühmt und für Fans der Serie zu einem «Must-have-seen» geworden.

Frau Lee und Frau Park, zwei einundzwanzigjährige Studentinnen aus Südkorea, kommen mit dem Bus um 9:06 Uhr an und machen sich auf den Weg zur Anlegestelle. Sie besuchen einen Monat lang die Sommerschule in Deutschland und haben beschlossen, in die Schweiz zu reisen, um die verschiedenen Drehorte der Serie zu besuchen: Iseltwald, Luzern und Zürich. «Die natürliche Schönheit der Schweiz ist sehr attraktiv. So etwas haben wir in Südkorea nicht», sagt Park. 

Korean tourists posing in front of post bus 103.
Frau Park und Rau Lee aus Südkorea. Kaum aus dem Bus geht’s direkt zum Pier. swissinfo.ch / Helen James

Neben den beiden fotografiert ein vietnamesisches Paar in Hochzeitskleid und Smoking. «Wir werden im November heiraten und sind für ein Fotoshooting vor der Hochzeit hierhergekommen. Wir haben diesen Ort wegen der Serie gewählt. Es ist sehr romantisch», sagt die Braut, Thu Nguyen, mit einem Augenzwinkern. Während sie spricht, bewegen sich ihre Hände unaufhörlich, während sie ihre Tasche packt. «Wir bleiben nur einen Tag in Iseltwald. Wenn wir jetzt nicht aufbrechen, verpassen wir den Zug», sagt sie, nimmt die Hand des Bräutigams und eilt vom Pier. Ihr nächster Halt ist Luzern, das ebenfalls in der Serie vorkommt.

Bride and groom posing for a commemorative photograph.
Frisch Vermählte dokumentieren ihre Hochzeit mit Fotos in Iseltwald. swissinfo.ch / Helen James
Tourists taking commemorative photos.
Fans von «Crash Landing on You» finden die richtige Pose für ihr Fotoalbum. swissinfo.ch / Helen James

Die Zahl der Tourist:innen, die den Ort Iseltwald besuchen, nimmt gegen Mittag zu. Der abfahrende Bus ist voll.

Tourists on a bus
Busladungen von Tourist:innen sind zu einem Problem für die Einheimischen geworden. «Es gab Zeiten, in denen ich zurück ins Dorf wollte, aber nicht in den Bus einsteigen konnte», beklagt sich die lokale Ladenbesitzerin Marion Krähenbühl. swissinfo.ch / Helen James

Die Betreiberin der Strecke, die PostAuto AG, kündigte am 22. Juli an, dass sie die Zahl der Verbindungen zu anderen Orten um vier pro Tag erhöhen werde. Das ist eine Steigerung um 30% gegenüber dem Stand vor der Pandemie im Jahr 2020. Das Unternehmen begründete diesen Schritt mit der gestiegenen Nachfrage von Tourist:innen, welche die Schauplätze der Serie besuchen wollten. Diesen Monat beschloss das Unternehmen ausserdem, den Zeitraum der verstärkten Verbindungen bis Oktober zu verlängern.

Der Ort wird zusätzlich auch von privaten Carunternehmen angesteuert. Laut Schweizer PresseExterner Link kamen zu den Spitzenzeiten im August bis zu zwölf grosse Touristenbusse pro Tag an.

Dieser unerwartete Besucherstrom ist eine Belastung. «Natürlich freut uns diese Nachfrage sehr, so wie wir uns immer freuen über viele Fahrgäste, die mit uns unterwegs sind», schreibt Urs Bloch, Sprecher der PostAuto AG, Ende August auf Anfrage. «Wir haben seit einer Woche aber eine Herausforderung: Wegen einer Baustelle und dichtem Verkehr auf der engen Strasse am See gibt es viele Staus. Es ist deshalb eine grosse Herausforderung, den Fahrplan der regulären Kurse und der Extrafahrten einzuhalten.»

Die TV-Serie wurde erstmals im Dezember 2019 ausgestrahlt. Mit der wachsenden Popularität der Serie wollten immer mehr Zuschauer:innen die Schweizer Drehorte besuchen, doch die weltweiten Reisebeschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie legten ihre Pläne auf Eis. Die Aufhebung aller Einreisebeschränkungen durch die Schweiz im April dieses Jahres führte jedoch zu einem erneuten Anstieg der Zahl der internationalen Besucher:innen.  

Wie das Bundesamt für Statistik (BFS) am 5. August mitteilte, führte die Rückkehr der internationalen Besucher:innen nach der Aufhebung der Einreisebeschränkungen zu 16,9 Millionen Übernachtungen in Schweizer Hotels zwischen Januar und Juni dieses Jahres, was einem Anstieg von 47,3% gegenüber 2021 entspricht. Während 70% der Besucher:innen aus Europa kamen, gab es auch einen Anstieg von 727’000 Übernachtungen aus Asien, mehr als zehnmal mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Nach Regionen aufgeschlüsselt, stieg die Nachfrage nach Einreisen in allen 13 Regionen, wobei insbesondere die Region Bern einen Anstieg um das fast fünffache im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete.

Vietnamese couple posing for a photo at Lake Brienz.
Kusuma Senjaya aus Vietnam musste seinen Besuch in Iseltwald wegen der Pandemie verschieben. «Ich hatte geplant, die Schweiz vor Corona zu besuchen. Jetzt, wo die Beschränkungen endlich aufgehoben sind, habe ich meine Frau mitgebracht.» swissinfo.ch / Helen James

«Abfalltourismus»

Der Boom wird von den örtlichen Tourismusunternehmen und den Einheimischen jedoch nicht immer begrüsst. In Iseltwald wird befürchtet, dass die Region finanziell nicht von Boom profitiert und dass die Gemeinde nichts davon hat, sondern nur den zurückgelassenen Müll beseitigen muss. Die Einwohner:innen befürchten auch, dass der Besucherstrom «normale» Tourist:innen verscheucht, die den Ort normalerweise wegen der erholsamen Ruhe ansteuern.

«Iseltwald ist ein ruhiges Dorf mit 420 Einwohner:innen. Die Einheimischen sind nicht nur glücklich über diese Welle von Tourist:innen», sagt Marion Krähenbühl, die in dem kleinen Supermarkt und Souvenirladen gegenüber der Bushaltestelle arbeitet.

Strandhotel at the Lake Brienz
Das Strand-Hotel in Iseltwald, das 420 Einwohner:innen hat. swissinfo.ch / Helen James

Der Ruhm ihres Heimatdorfes hat die Einheimischen verwirrt und überwältigt. «Reisegruppen verlassen das Dorf innerhalb von fünf Minuten, nachdem sie am Pier Fotos gemacht haben. Tourist:innen, die mit dem Bus kommen, bringen ihr eigenes Essen und Trinken mit, essen also nicht in den Restaurants. Daher hat das Dorf so gut wie keine zusätzlichen Einnahmen durch diesen Boom. Alles, was übrigbleibt, ist der Müll, der weggeworfen wird. Das ist einfach ‹Abfalltourismus'», beklagt sie.

Das Tourismusbüro Bönigen-Iseltwald räumt ein, dass diese Aussagen «leider wahr» sind. «Die Tourismuseinnahmen des Dorfes haben sich durch die Serie nicht besonders erhöht. Wir haben lediglich Geld für die Entsorgung des Mülls ausgegeben. Wir sind derzeit in Gesprächen mit der Gemeinde, um eine Lösung zu finden», so das Büro. Dazu gehöre auch, wie man finanziell von den neuen Tourist:innen profitieren könne.

«Iseltwald zeichnet sich durch den Charme des kleinen Fischerdorfes auf der Halbinsel des Brienzersees aus, welches immer schon eine Oase der Ruhe war», schreibt der Tourismusverband. «Seit Jahren wird dies von Stammgästen geschätzt. Uns ist es ein Anliegen, dass Iseltwald diesen Charme behält.»

Iseltwald on the shores of Lake Brienz
Iseltwald ist das einzige Dorf am linken Ufer des Brienzersees und trägt den Spitznamen «Perle des Brienzersees». Dieser Weg diente als Drehort für die Eröffnungsszene des Dramas. swissinfo.ch / Helen James

Manche Einheimische empfinden es aber auch als Kompliment, dass durch die Netflix-Serie Besucher:innen nach Iseltwald reisen. Ein Schweizer Ehepaar, das in Iseltwald lebt, zeigt sich erfreut über den Besucherstrom. «Wir leben hier und sind schon mindestens hundertmal um die Seebrücke gelaufen. Die Zahl der Tourist:innen ist überwältigend im Vergleich zu der Zeit, als die Serie gedreht wurde. Aber sobald der Boom nachlässt, wird es wieder ruhig werden. Solange wir keine zusätzlichen Steuern zahlen müssen, stört uns das nicht besonders.»

Die Frage, wie man die Bedürfnisse der Tourist:innen mit denen der Einheimischen in Einklang bringen kann, wird auf der nächsten Gemeindeversammlung diskutiert.

In der Zwischenzeit werden die Tourist:innen wohl weiterhin nach Iseltwald kommen. Die Gemeindeschreiberin von Iseltwald schreibt: «Ende Mai 2022 hat uns Interlaken Tourismus darüber informiert, dass sie Schauspieler und deren Filmcrew aus Thailand in Interlaken untergebracht haben. Neben Interlaken, Giessbach und Brienz würden sie gerne auch Szenen in Iseltwald am See bei der Schifflände für eine Thai Drama Serie aufnehmen.»

Editiert und aus dem Japanischen übersetzt von Virginie Mangin, ins Deutsche adaptiert von Sibilla Bondolfi

Sibilla Bondolfi

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