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Wie kommen Schweizer Mikrochips in russische Kampfdrohnen?

Militärangehörige mit Dronen
In den Orlan-Drohnen, die von der russischen Armee eingesetzt werden, sollen Schweizer Mikrochips verbaut worden sein. Vadim Savitsky mil.ru

Trotz Sanktionen gehen die Exporte von Schweizer Chips und Präzisionsgeräten nach Russland weiter. Dies geht aus einer Recherche des Schweizer Radio und Fernsehens hervor. Wie Zolldaten zeigen, nehmen die Exporte einen Weg über Länder wie China und die Türkei.

Der neueste Schweizer Mikrochip wurde vor ein paar Tagen im Donbass gefunden. Er war in der russischen Aufklärungsdrohne Orlan installiert, die der Artillerie der Kreml-Soldaten ukrainische Stellungen meldet.

Das elektronische Bauteil wird von der Züricher Firma U-blox hergestellt, einem der weltweit führenden Unternehmen in der Automobil- und Medizinbranche.

RSI, das öffentlich rechtliche Radio und Fernsehen der italischsprachigen Schweiz, hat ein Video und Fotodokumente erhalten, die diesen und zwei weitere Fälle in der Ukraine belegen, bei denen Chips des Züricher Unternehmens auf ebenso vielen russischen Drohnen zu finden waren.

Auf Nachfrage von RSI erklärt U-blox, dass es «seit 2002 eine sehr strenge Politik verfolgt, die direkte und indirekte Verkäufe an Kunden verbietet, welche die Produkte in militärischen und waffentechnischen Anwendungen einsetzen».

Wir konnten zumindest die erste Etappe der Reise der Mikroprozessoren rekonstruieren: Diese wurden von dem Zürcher Unternehmen 2012, 2015 und 2019 im zivilen Bereich in Osteuropa und Russland verkauft.

Dann verliert sich ihre Spur. Bis sie in russischen Waffen wieder auftauchen. Wie ist es möglich, dass diese für die Verbindung von Drohnen mit dem russischen Navigationssystem nützlichen Halbleiter dorthin gelangt sind?

«Eine mögliche Erklärung ist, dass sie aus kommerziellen Produkten wie Elektrofahrrädern und Autos ausgebaut und dann in diese Drohnen eingebaut wurden», sagt U-blox-CEO Stefan Zizala.

«Wir verfolgen die Vertriebskette so weit wie möglich, um genau diese Dynamik zu vermeiden. Aber wenn ein Kunde eines Kunden gegen diese Regeln verstösst, haben wir keine Chance zu verhindern, dass sie dort landen.»

Aus Asien nach Russland trotz Sanktionen

Vor dem Krieg war es möglich, diese Produkte für zivile Zwecke nach Russland zu liefern, nicht aber für militärische Zwecke. Seit dem 4. März 2022, nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, hat die Landesregierung die direkte Ausfuhr generell verboten. Denn sie gelten als strategisch wichtig und unverzichtbar für die Waffen des Kremls.

Sie dürften also eigentlich nicht nach Russland gelangen. Und doch ist der Strom nicht abgerissen. RSI kann dies dank aggregierter Zolldaten beweisen.

Aus diesen Daten geht hervor, dass fünf chinesische Unternehmen mindestens 14 Lieferungen von als «nicht-militärisch» definierten Produkten – darunter Module des U-blox-Satellitensystems «GPS/Glonass» – getätigt haben. Der Zeitraum erstreckt sich vom 26. Mai 2022 bis zum 28. September 2022 mit einem Gesamtwert der Waren von rund 90’000 US-Dollar.

RSI ist nicht in der Lage, die tatsächliche Verwendung dieser Chips zu überprüfen oder festzustellen, ob sie ans russische Militär geliefert wurden. Empfänger dieser Sendungen soll das russische Unternehmen «SMT ILogic» gewesen sein, das – wie auf der Firmen-Website zu lesen ist – «2015 von einer Gruppe hochqualifizierter Spezialisten im Bereich der Telekommunikations- und Mikroprozessortechnik gegründet wurde und über langjährige Erfahrung und enge Beziehungen zu führenden Komponentenherstellern verfügt».

Recherchen von Reuters, IStories und dem Forschungszentrum Royal United Services Institute (RUSI) haben enthüllt, dass ein anderes russisches Unternehmen, das in St. Petersburg ansässige «Special Technology Center» (STC) – der Hersteller von Orlan-Drohnen – hinter SMT-ILogic steht.

Der vollständige Bericht des RSI-Programms Falò (in Italienisch):

Externer Inhalt

Die beiden Unternehmen sollen in der Vergangenheit einige gemeinsame Miteigentümer gehabt haben, «dann wurde die offensichtliche Verbindung gekappt», wie die genannten Medien berichten. Die Aufklärungsdrohne Orlan besteht fast vollständig aus westlichen, vor allem US-amerikanischen Komponenten.

Die USA selbst hatten das Unternehmen STC bereits 2016 sanktioniertExterner Link, wegen «Unterstützung des GRU (des russischen Militärgeheimdienstes) bei der Durchführung elektronischer Aufklärung». Die Schweizer Regierung dagegen erst am vergangenen 25. Januar.

Chinesische Unternehmen, die Russisch sprechen

Es sind chinesische Unternehmen, die an Russland verkaufen. Zumindest auf dem Papier. Eine sorgfältige Analyse offenbart etwas anderes. «Viele dieser Firmen sind in Wirklichkeit russisch: registriert und gegründet von russischen Staatsbürgern», so Denys Hutyk, Forscher am unabhängigen Forschungszentrum «Economic Security Council of Ukraine», gegenüber RSI.

Exportboom nach China

Noch nie wurden in den letzten Jahren so viele Schweizer Dual-Use-GüterExterner Link nach China exportiert. Im Jahr 2022 wurde der höchste Wert seit 2016 verzeichnet. Die von RSI aufbereiteten Seco-Daten zeigen, dass im vergangenen Jahr Waren dieses Typs im Wert von über 232 Millionen Franken nach Peking exportiert wurden.

«Wir haben herausgefunden, dass sich zumindest einige dieser chinesischen Unternehmen als Scheinfirmen des führenden russischen Drohnenherstellers Orlan entpuppen. Das ist das Muster.»

Bei der Durchsicht der Unternehmensliste wird ersichtlich, dass der Direktor von Asian Pacific Links Ltd – einem chinesischen Unternehmen, das U-Blox-Produkte an das Unternehmen SMT-ILogic verkauft hat – offenbar ein russischer Staatsbürger ist. Das Unternehmen wurde im Dezember 2014 nach der Invasion der Krim gegründet.

Das ist kein Einzelfall. In den letzten Monaten sind die Ausfuhren von Mikroprozessoren aus China nach Russland sprunghaft angestiegen. Auf unsere Nachfrage erklärte der CEO von U-Blox indes, er habe keinen Anstieg der Verkäufe nach Asien festgestellt.

Das russische «Waffenmuseum» in Kiew

In einem bescheidenen Gebäude im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt befindet sich ein kleines Büro im obersten Stockwerk, fast auf dem Dachboden. In einer Ecke, neben ein paar Regalen, liegen Fragmente von Kampfmitteln verstreut: Granatwerfer, Reste von Drohnen. Maria Pysarenko hat sie RSI in den letzten Wochen gezeigt: Waffen, die von den Russen in der Ukraine eingesetzt wurden.

Die Stiftung «Serhiy Prytula» sammelt diese Überreste, mit Freiwilligen, die die ukrainischen Streitkräfte unterstützen. Yevhen slavkinskyy zeigte uns die Überreste einer Orlan-Drohne.

«Im Inneren fanden wir einen Motor und eine Kamera aus Japan, chinesische und amerikanische Prozessoren und … ein Schweizer Navigationsmodul.» Die Orlan ist eine Aufklärungsdrohne, die an der Frontlinie eine entscheidende Rolle spielt: «Sie steigt über dem Ziel auf, hält an und übermittelt von dort aus die Koordinaten an die russische Artillerie, die dann das Ziel trifft.»

Dual-Use-Güter aus Zürich

Neben den Mikrochips, die in diesen Drohnen verwendet werden, hat RSI Präzisionsinstrumente «made in Switzerland» gefunden, die nach Russland exportiert wurden.

Darunter sind Werkzeuge, die für Wladimir Putins Kriegsindustrie unverzichtbar sind. Sie werden unter anderem von der Tochtergesellschaft eines Schweizer Unternehmens, das seit über 40 Jahren auf dem russischen Markt tätig ist, nach Moskau importiert: der Galika AG aus dem Kanton Zürich.

Aus den Zolldaten geht hervor, dass die russische Tochtergesellschaft von Galika 382 Lieferungen von Werkzeugmaschinen sowie von Ersatzteilen und Präzisionsinstrumenten getätigt hat.

Der Zeitraum erstreckt sich vom 4. März 2022 – dem Tag der auch von der Schweiz beschlossenen internationalen Sanktionen gegen Russland – bis zum 1. Februar 2023. Der deklarierte Wert beläuft sich auf mehr als 2,2 Millionen Dollar.

RSI ist nicht in der Lage zu bestimmen, wie viele dieser Produkte zur Kategorie der so genannten Dual-Use-Güter gehören, d. h. sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können. Dieser Typ von Exporten wurde von der Landesregierung mit Sanktionen belegt.

Maschinen aus dem Tessin

Unter diesen Sendungen ist auch eine Werkzeugmaschine des Schweizer Unternehmens GF Machining Solutions, mit Sitz in Losone, im Tessin. Dabei soll es sich um ein Modell «Mikron HPM 600 HD» handeln, das für die universelle Fertigung hochwertiger Metallteile für nichtmilitärische Zwecke konzipiert ist und einen Wert von über 220’000 USD hat.

Die russische Tochtergesellschaft von Galika hat sie angeblich von einem türkischen Unternehmen gekauft. Es ist unklar, wo die Maschinen später eingesetzt wurden, ob zivil oder militärisch.

Im Jahr 2018 waren 23 Maschinen desselben Modells – ebenfalls von Galika – an «JSC Konstruktorskoe Buro Priborostroeniya» geliefert worden, eines der führenden Unternehmen im Bereich der russischen Verteidigungsindustrie mit Sitz in Tula, etwa 200 Kilometer südlich von Moskau.

Es handelt sich um ein Unternehmen, das hochpräzise Waffensysteme für die Streitkräfte Putins sowie Flugabwehrsysteme, Hochleistungskanonen und Kleinwaffen entwickelt. Ein staatliches Unternehmen, das bereits 2014 von der US-Regierung sanktioniert wurde. Aber nicht von der Schweiz.

Verkäufe «in der Vergangenheit»

GF Machining Solutions hat trotz mehrfacher Nachfrage von RSI keine Auskunft über einzelne Exportfälle gegeben. Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wollte zu den erteilten Genehmigungen für die Maschinen, die später in der russischen Rüstungsindustrie landeten, nicht Stellung nehmen.

In einer E-Mail an RSI erklärt GF Machining Solutions, dass das Unternehmen «stets alle externen Anforderungen, Gesetze und Sanktionen sowie die internen Compliance-Prozesse eingehalten» habe. Das Unternehmen erklärt, dass es «keine direkten Geschäftsbeziehungen zu Russland und anderen Ländern in Osteuropa (einschliesslich der Ukraine)» unterhalte.

GF Machining Solutions weist in der Stellungnahme auf den Zwischenhändler hin, der das Unternehmen seit langem in Russland vertritt: «Alle Geschäfte wurden von unserem früheren Vertriebshändler Galika abgewickelt.»

Eine Geschäftsbeziehung, die, wie GF Machining Solutions betont, «mit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine endete». In seiner E-Mail weist das Unternehmen darauf hin, dass rund 25 Prozent seiner Produkte als Produkte mit doppeltem Verwendungszweck (zivil und militärisch) betrachtet werden könnten.

«In der Vergangenheit», heisst es weiter, «war es möglich, in Übereinstimmung mit den Seco-Ausfuhrbestimmungen Maschinen an bestimmte Sektoren der Verteidigungsindustrie in Russland und der Ukraine zu liefern.» GF Machining Solutions gibt zudem an, bereits an den Händler Galika gelieferte Maschinen im Wert von rund 4 Millionen Franken zurückgekauft zu haben, «um zu verhindern, dass diese möglicherweise nach Russland geliefert werden».

Trotz wiederholter Anfragen hat die Galika AG nie auf Fragen von RSI geantwortet.

Raketenfriedhof und Beweissammlung

Es geht also um grosse Maschinen. Aber auch – und damit begann die Untersuchung von RSI – um kleine Schweizer Mikrochips, die in russischen Drohnen und sogar Raketen stecken.

Um dies festzustellen, muss man sich nur auf diesen einen «Friedhof» begeben, der in der Ukraine einzigartig ist. Eine grosse Fläche mit Sprengköpfen, Metallzylindern und Teilen von S-300-Raketen, die heute nur noch ein Haufen Schrott sind, aber Häuser und Infrastrukturen getroffen und Menschen getötet haben.

RSI war in Begleitung von Dmytro Chubenko vor Ort, dem Sprecher der Staatsanwaltschaft in dieser Region. Die Anweisung war klar: Es dürfen keine Fernsehaufnahmen gemacht werden, die den genauen Ort verraten. Es sei zu befürchten, dass die Russen ihn lokalisieren könnten, auch wenn sie ihn schon vor einiger Zeit geortet haben könnten.

Es handelt sich nicht nur um ein beeindruckendes Waffenarsenal. Es ist auch der Ort, an dem die Beweise für die mutmasslichen Kriegsverbrechen der Russen an der örtlichen Bevölkerung aufbewahrt werden. Insgesamt sind hier über tausend Raketen katalogisiert. Diese Raketen, so erklärt der Sprecher, «haben in der Region Charkiw über 1600 Tote und mehr als 2500 Verletzte gefordert».

Nicht nur die Metallsplitter werden analysiert. Sondern auch die Mikrochips, die den Fachleuten des Verteidigungsministeriums anvertraut werden, damit sie anschliessend zu den Herstellerländern zurückverfolgt werden können. Darunter auch die Schweiz.

Mikrochip
Der Raketenfriedhof in Charkiw, wo auch Schweizer Komponenten in den Waffen gefunden wurden. RSI

Halbleiter von mindestens zwei Unternehmen – ST Microelectronics mit Sitz in Genf und Traco Power in Baar (Kanton Zug) – wurden in den «Kalibr»- und «Iskander»-Raketen gefunden.

Eine tragende Rolle kommt jedoch den USA zu. Dies wurde unter anderem von der Nako (Unabhängige Anti-Korruptions-Kommission), einer zivilgesellschaftlichen Organisation in der Ukraine, in einem von RSI vorweggenommenen und später veröffentlichten Bericht dokumentiert.

ST Microelectronics und Traco Power lehnten trotz wiederholter Anfragen von RSI ein Interview ab. Stattdessen schickten sie eine Erklärung.

Darin heisst es unter anderem, dass sie alle Verkäufe, alle Exporte und Aktivitäten in Russland eingestellt haben, um den nach dem Beginn der Invasion verhängten Sanktionen nachzukommen. «Wir bedauern und sind schockiert, dass elektronische Komponenten mit unserem Logo in militärischer Ausrüstung missbraucht worden sind», schreibt Traco Power.

Mann in Militärkleidung in der Hocke auf einem Feld mit Materialtrümmern
Dmytro Chubenko, Sprecher der Staatsanwaltschaft von Charkiw. Er zeigt dem Tessiner Fernsehen RSI die Schaltkreise, auf denen auch westliche Komponenten zu finden sind. RSI

ST Microelectronics erklärt: «Wir dulden nicht, dass unsere Produkte ausserhalb ihrer Zweckbestimmung verwendet werden.»

Zwischen Sorgfaltspflicht und Neutralität

Zur Rolle der schweizerischen wie der westlichen Unternehmen und Institutionen generell bleiben viele Fragen offen. Aus Kiew hören wir die Stimme derer, die eine bessere «Sorgfaltspflicht» fordern, d.h. eine interne Unternehmensverantwortung und dass Schlupflöcher in den Exportkontrollen geschlossen werden.

Während Putins Kriegsmaschinerie weiterhin nicht zum Stillstand kommt, fordert Denys Hutyk vom «Wirtschaftssicherheitsrat der Ukraine» dringende Massnahmen, um diese Exporte zu verhindern: «Wir sind hier in der Ukraine. Wir können nicht warten.»

Und Jaroslaw Jurtschyn, Abgeordneter und Mitglied des Anti-Korruptionsausschusses des Kiewer Parlaments, stellt die Rolle der Schweiz in Frage: «Offiziell ist sie neutral. Aber sie stellt weiterhin Mikroprozessoren her, die für Waffen verwendet werden können. Ist das wahre Neutralität?»

Übertragung aus dem Italienischen: Marc Leutenegger

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