Wie sich eine Moldauerin in der Schweiz für ihre Heimat einsetzt
Rund ein Drittel der Bevölkerung der Republik Moldau lebt im Ausland. Doch das Land macht aus dem Problem der Abwanderung ein Potenzial: Über ein Diaspora-Projekt mit Schweizer Beteiligung, das Modellcharakter hat.
Valentina Ceban war 23 Jahre alt, als sie das erste Mal die Republik Moldau verliess. Sie ging mit ihrem damaligen Partner nach Portugal, der dort bessere Jobaussichten hatte. Als sie 2012 in ihre Heimat zurückkehrte, gründete die studierte Betriebswirtschaftlerin ein Startup, das Produkte aus heimischer Schafwolle produzierte und vermarktete.
Später arbeitete sie in der Tourismusindustrie, bildete sich nebenbei zur Sommelière aus und unterstütze Rückkehrende aus der Diaspora, um in der Republik Moldau wieder Fuss zu fassen.
Heute, mit vierzig Jahren, lebt Ceban selbst wieder in der Diaspora, und zwar in der Schweiz. Vor drei Jahren ist sie mit ihrem Sohn erneut ausgewandert, da ihr Mann in Zürich einen Job im Finanzsektor bekam.
Im Rahmen eines Projekts von USAID, der amerikanischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit, unterstützt sie seither die Entwicklung ihrer Heimat, vor allem das ländliche Moldawien, um den Tourismus in der Region anzukurbeln. Von der Schweiz aus.
Die Jugend verlässt die Moldau
Ceban gehört zu jenem Drittel der moldawischen Bevölkerung, die im Ausland lebt. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 verliessen zahlreiche Menschen ihre Heimat. Gründe sind fehlende Jobchancen oder Ausbildungsmöglichkeiten, die hohe Inflation, mangelnde Infrastruktur und Korruption.
Zu der Abwanderungswelle beigetragen hat auch, dass Moldawier:innen aufgrund der gemeinsamen Geschichte einen rumänischen Pass erleichtert erwerben und damit leichter in der EU Fuss fassen können.
Es ist ein Teufelskreis: Viele Menschen verlassen wegen fehlenden beruflichen Perspektiven das Land, was jedoch den Fachkräftemangel verschärft und die wirtschaftliche Entwicklung bremst. Die Erwerbsquote ist mit gut 42% sehr niedrig. Zum Vergleich: In der Schweiz liegt sie bei über 83%, im Mittel der OECD bei 73%. In der Republik Moldau kehrt vor allem die Jugend der Heimat den Rücken und sucht ihr Glück im Ausland.
Zurück bleiben die alten Menschen, die oft allein und in Armut leben. Das besorgt auch Valentina Ceban: «Die Gesundheitsversorgung in der Republik Moldau ist schlecht und es gibt keine Altenheime wie in Europa.» Seit der Invasion Russlands in die Ukraine hat sich die Situation verschärft. Das Auswanderungsland musste auf einmal zahlreiche Geflüchtete beherbergen. Und dann sind auch noch die Energiepreise drastisch gestiegen.
Valentina Ceban beschloss, von der Schweiz aus etwas zu tun. Sie gründete den Verein «Our Roots – Unsere Wurzeln», dem sich bisher rund 35 Mitglieder der moldawischen Diaspora in der Schweiz angeschlossen haben. «Unser Ziel ist es, die Diaspora zu vernetzen, unsere Kultur in der Schweiz sichtbarer zu machen und gleichzeitig Moldawien zu unterstützen», sagt Ceban.
Dafür organisiert sie mit dem Verein regelmässig Veranstaltungen wie Konzerte oder Degustationen mit Wein, den sie von moldawischen Bauernfamilien importiert. Der Erlös gehe an bedürftige Familien in der Republik Moldau, besonders an alleinstehende Frauen und ältere Menschen.
Auch einen Sprachunterricht für Kinder der Diaspora werde von Vereinsmitgliedern angeboten, damit sie ihre Muttersprache nicht verlernten. Kürzlich erhielt Ceban für ihr vielfältiges Engagement ein Ehrendiplom der moldawischen Regierung.
Rücküberweisungen, Vernetzung und die Diaspora
Dass die moldawische Diaspora stark mit ihrer Heimat verbunden ist, hat auch die offizielle Schweiz erkannt. Radu Danii vom Kooperationsbüro der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in der Republik Moldau, sagt: «Die Moldawierinnen und Moldawier hängen sehr an ihrem Heimatland, viele haben den grössten Teil ihrer Familie zurückgelassen.»
Der Wunsch, in ihre Heimat zu investieren, sei daher gross. Und das nicht nur mittels Rücküberweisungen, die laut Schätzungen der Weltbank rund 35% des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.
«Die wichtigste Erkenntnis für uns war, dass man die Diaspora miteinbeziehen muss, um etwas zu bewirken», sagt Danii. Vor rund zehn Jahren hat deshalb die Deza, mit Unterstützung des Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), in der Republik Moldau das Projekt «Migration und Entwicklung» lanciert. Ziel sei es, den Zusammenhalt zwischen Einheimischen, der Diaspora, Rückkehrenden und der lokalen Verwaltung zu stärken.
Bisher habe das Projekt zu einer noch nie da gewesenen Mobilisierung moldawischer Emigrantinnen und Emigranten geführt: Rund 1/3 der rund 900 Gemeinden in Moldawien hätten pro-aktive Partnerschaften mit der Diaspora aufgebaut.
Beispielsweise durch sogenannte Home-Town-Associations, also Heimatvereinen. Diese sollen die Angehörigen der Diaspora mit den Gemeinden zusammenzubringen, in denen sie aufgewachsen sind. Dafür hat das UNDP zuerst die Einführung von umfassenden Datenbanken unterstützt, die es den lokalen Regierungen ermöglichten, Informationen über die im Ausland lebende Bevölkerung einzuholen und diese zu kontaktieren.
Daraufhin wurden in gross angelegten Kommunikationskampagnen moldawische Emigrant:innen dazu motiviert, solche Heimatvereine in ihren Herkunftsgemeinden zu gründen – in direktem Kontakt mit dem Bürgermeister oder der zuständigen lokalen Behörde.
Die Initiative sei ein Erfolg: Heute gibt es landesweit 170 solche Heimatvereine in denen rund 200 Projekte umgesetzt wurden, von denen die lokale Bevölkerung profitiert. Dazu gehören Fussgängerwege, Kinderspielplätze, eine verbesserte Wasserversorgung, aber auch kulturelle Angebote oder der Aufbau von touristischer Infrastruktur.
Finanziert werden die Projekte zu einem Grossteil von den Diaspora-Mitgliedern und den lokalen Behörden selbst; was fehlt, wird im Rahmen des Deza-Projekts oder mittels Crowdfunding finanziert.
Unterstützung aus der Fremde
Auch auf nationaler Ebene tut sich etwas: Es gibt ein Büro für Diaspora-Beziehungen (BRD) und eine Nationale «Diaspora-Strategie 2025» die unter anderem die Anliegen von Emigrant:innen und Rückkehrer:innen untersucht und Unterstützungsangebote ausarbeitet.
Im Auftrag des Büros berät auch Valentina Ceban hin und wieder von der Schweiz aus jene, die in die Republik Moldau zurückkehren und ein eigenes Unternehmen gründen wollen, etwa wenn es um das Verfassen von Förderanträgen geht. Für ihren Verein in der Schweiz möchte sie in Zukunft mehr Spenden generieren, um das Angebot ausbauen zu können.
Sie selbst schliesse nicht aus, irgendwann auch wieder zurückzukehren. So, wie es einst ihre Mutter getan hat, die nach dreizehn Jahren in Italien seit 2010 wieder in der Republik Moldau lebt. Ceban sagt: «Ich lasse mir die Tür zu meiner Heimat auf jeden Fall offen.»
Editiert von Marc Leutenegger
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