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«Wir wollen im Tessin mehr Tourist:innen aus den USA, England und den Golfstaaten»

Grosse Menschenmenge, die in einem südländischen Dorf flaniert
Ascona am oberen Lago Maggiore: Einer der Tourismus-Hotspots im Kanton Tessin. © Ti-press

Simone Patelli, Präsident von Ticino Turismo, der Tourismusagentur des Tessins, ist bemüht, mit einigen Klischees aufzuräumen, die dem Kanton in der Südschweiz hartnäckig anhaften. Wir haben Patelli in Tenero am Lago Maggiore getroffen.

Simone Patelli, geboren 1975, absolvierte eine Bankausbildung und begann seine Karriere bei der UBS in Locarno. Seit 2019 ist er Direktor des Campofelice Camping Village in Tenero, einem 15 Hektar grossen Ferienzentrum am Ufer des Lago Maggiore.

Simone Patelli ist ausserdem Vorsitzender oder Mitglied mehrerer Verwaltungsräte von Unternehmen aus dem Bereich Tourismus. Unter anderem ist er Vorsitzender von Ticino Turismo und Vorstandsmitglied von Schweiz Tourismus.

Der Sportbegeisterte war auch Trainer mehrerer Fussballmannschaften, darunter der AC Bellinzona, die aktuell in der zweithöchsten Liga der Schweiz spielt.

swissinfo.ch: Gemäss Ihren eigenen Zahlen war 2023 ein schlechtes Jahr für das Tessin, während die Zahl der Übernachtungen in der Schweiz mit fast 40 Millionen einen historischen Rekord erreichte. Wie erklären Sie sich das?

Simone Patelli: Die Pandemiejahre waren für den Tessiner Tourismus aussergewöhnlich, da die Schweizer Bevölkerung gezwungen war, sich für nationale Ferien zu entscheiden, insbesondere im Tessin. Es wäre daher sinnvoller, 2023 mit 2019, dem Jahr vor der Pandemie, zu vergleichen. Dann stellen wir nämlich ein moderates Wachstum fest.

Wie hat sich der Tessiner Tourismus entwickelt?

In den letzten Jahrzehnten haben wir von zahlreichen privaten Investitionen profitiert, die oft durch kantonale Anreize gefördert wurden. Ich denke da zum Beispiel an die Eröffnung verschiedener Touristenattraktionen wie Spas und Kinos sowie an die Modernisierung einer Vielzahl von Hotels.

Jüngerer Mann in Anzug vor einem blauen See
Simone Patelli leitet seit 2020 Leiter Ticino Turismo, der Agentur zur Förderung des Tourismus im Tessin. Der Südkanton wird gerne klischeehaft als Sonnenstube bezeichnet. © Ti-press

Was sind die wichtigsten touristischen Vorteile des Tessins?

Unser touristisches Angebot ist reich und vielfältig und verbindet Seen und Berge mit einer vielfältigen Kultur und Gastronomie – und das alles auf kleinem Raum. Unser Angebot beschränkt sich keinesfalls auf einige bekannte Veranstaltungen wie das Internationale Filmfestival von Locarno. Kurz gesagt: Wir bieten mediterrane Gastfreundschaft gepaart mit Schweizer Sicherheit.

Welches sind Ihre wichtigsten Konkurrenzregionen?

Unsere Schweizer Konkurrenten sind vor allem die Kantone Wallis und Graubünden. Auf internationaler Ebene konkurrieren wir mit Destinationen wie dem benachbarten Österreich und dem Aostatal wegen ihrer Berge sowie mit Ligurien und dem Gardasee wegen ihres mediterranen Angebots.

Wie gehen Sie konkret vor, um Touristen anzuziehen?

Wir konzentrieren uns auf bestimmte Länder und führen Werbekampagnen durch, oft in Zusammenarbeit mit der nationalen Organisation Schweiz Tourismus. Diese Zusammenarbeit ist sehr wichtig, vor allem, wenn wir auf ferne Märkte abzielen.

Versteht die nationale Förderorganisation die Besonderheiten des Tessins?

Da unser Kanton eine Schlüsselrolle im Schweizer Tourismus spielt, werden unsere Besonderheiten von den nationalen Stellen, darunter auch Schweiz Tourismus, gut verstanden. Unter den 13 Vorstandsmitgliedern von Schweiz Tourismus sind auch zwei Personen aus dem Tessin.

Welche Arten von Tourist:innen wollen Sie ansprechen?

Wir bevorzugen Touristinnen und Touristen, die an einer eingehenden Erkundung unseres touristischen Angebots interessiert sind, die unsere Umwelt respektieren und sich für ökologische Fragen interessieren. Wir richten uns weder an den Massentourismus noch an Durchreisende.

Wie können Sie Touristen zu einem längeren Aufenthalt in Ihrem Kanton überzeugen?

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, insbesondere aus Umweltgründen. Um unsere Gäste zu ermutigen, länger in unserem Kanton zu bleiben, bieten wir sogenannte Pakete an, mit denen wir die Vielfalt unserer Aktivitäten und unseres Territoriums hervorheben.

Wir bieten auch das «Ticino Ticket» an, das für die gesamte Dauer des Aufenthalts die kostenlose Nutzung des öffentlichen Verkehrs sowie Ermässigungen bei bestimmten Attraktionen und Skiliften und Bergbahnen ermöglicht.

Ihr Kanton ist bei deutschsprachigen Gästen an den verlängerten Wochenenden über Ostern oder Auffahrt und während der Schulferien sehr beliebt. Sind diese punktuellen Ströme ein Problem?

Wir werden uns weiter bemühen, die touristische Saison über die Monate Juli und August sowie die Schulferienzeiten der anderen Schweizer Kantone hinaus auszudehnen. Um dies zu erreichen, betonen wir, dass unser Kanton während vieler Monate perfekt für Outdoor-Aktivitäten geeignet ist, und wir ermutigen unsere Tourismusanbieter:innen, ihre Saison ebenfalls zu verlängern.

Diese Bemühungen zur Glättung der Nachfrage haben sich bereits ausgezahlt, aber wir haben noch Potenzial für weitere Verbesserungen. Darüber hinaus planen wir, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen kantonalen Stellen und den Regionen zu verbessern, um beispielsweise mehr Geschäftstourist:innen anzuziehen.

Wäre es jedoch nicht sinnvoll, mehr Gäste aus anderen Regionen anzuziehen?

Es stimmt, dass die meisten unserer Gäste aus der Schweiz kommen, gefolgt von Deutschland und Italien. Wir sind jedoch bestrebt, mehr Touristinnen und Touristen aus den USA, Grossbritannien, den nordischen Ländern, Frankreich, den Benelux-Staaten und den Golfstaaten anzuziehen.

Eine solche Diversifizierung ist für ein besseres Risikomanagement von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass die Diversifizierung auch Komplikationen mit sich bringt und Anstrengungen erfordert, um unsere Kompetenzen zu erweitern.


Text editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi.

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